Die 25-jährige Ellie ist prinzipiell kein einsamer Mensch: Sie hat einige enge Freundschaften. Diese Freund:innen sind momentan allerdings alle in einer Beziehung – und das wirkt sich enorm auf Ellies Leben aus. „Ich fühle mich manchmal sehr allein. Ich habe den Eindruck, sie schätzen mich nicht mehr so wie zu den Zeiten, als sie Single waren“, erzählt sie. „Eins der Pärchen, mit denen ich befreundet bin, ist schon seit unserer gemeinsamen Schulzeit zusammen. Ein anderes Paar ist seit etwa zwei Jahren zusammen, und eine andere Freundin hat gerade eine neue Beziehung begonnen und steckt in der ‚Wir müssen jede freie Minute gemeinsam verbringen‘-Phase.
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„Ich freue mich total für meine Freund:innen, dass sie sich verlieben und glücklich sind. Ich bin aber selbst seit sechs Jahren Single und schätze meine Freundschaften extrem. In letzter Zeit habe ich aber immer mehr den Eindruck, dass unsere Freundschaften sehr einseitig werden, weil meine Freund:innen ihren Beziehungen mehr Priorität schenken. Langsam kränkt mich das. Ich fühle mich nicht wertgeschätzt und denke manchmal, dass sie gar nicht merken würden, wenn ich plötzlich weg wäre (obwohl ich natürlich weiß, dass sie es sehr wohl merken würden). Ich gehe auf Dates und habe Spaß, habe aber bisher noch niemanden getroffen, den ich gern häufiger treffen würde. Von meinem eigenen Liebesleben bin ich also eher enttäuscht, und ich vermute, dass einige meiner Gefühle auf Neid zurückzuführen sind. Was kann ich gegen diese Gefühle unternehmen?“
Dr. Sheri Jacobson, eine pensionierte Psychotherapeutin mit über 17 Jahren Berufserfahrung, kann hier weiterhelfen.
Dr. Sheri Jacobson: Das Erste, was du tun solltest, ist, deine komplizierten Gefühle dazu anzuerkennen und dir selbst einzugestehen, dass sie absolut verständlich sind. So zu empfinden, gehört zu einem sogenannten „Zyklus der Veränderung“ dazu. Bei jeder Veränderung oder jedem Verlust in unserem Leben machen wir eine Übergangsphase durch, die wiederum mehrere Schritte durchläuft (die jedoch nicht immer in derselben Reihenfolge aufkommen).
Typischerweise sind diese Stufen Schock, Leugnen, Wut, Verhandeln, Depression und schließlich Akzeptanz. Diese letzte Stufe sollten wir unbedingt erreichen, um mit den Veränderungen Frieden schließen zu können.
Das heißt: Konzentriere dich nicht auf die Vergangenheit, sondern darauf, die Emotionen zu durchleben, die sich ganz natürlich für dich ergeben – in dem Wissen, dass du die neue Situation mit der Zeit akzeptieren wirst.
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Es ist außerdem wichtig einzusehen, dass Beziehungen im Vergleich zu Freundschaften häufig mehr Priorität eingeräumt wird. Das spiegelt aber einfach die begrenzte Zeit wider, die wir im Laufe des Tages haben. Wenn wir mehr Zeit und Energie hätten, könnten wir den Kontakt zu unseren Freundschaften womöglich genauso intensiv halten wie vorher. Fakt ist aber – egal, ob du in einer neuen Beziehung oder verheiratet bist –, dass auch andere Facetten deines vorherigen Single-Lebens „verdrängt“ werden. Das sind nicht bloß Freundschaften, sondern zum Beispiel auch Hobbys, Interessen und Gewohnheiten.
Was ich damit sagen will: Es ist nichts Persönliches. Und wenn sich etwas verändert, heißt das ja nicht zwangsläufig, dass es jetzt „vorbei“ ist. Das ist ein ganz normales Phänomen; unsere Interessen verändern sich im Laufe des Lebens.
Ob du deine Gefühle mit deinen Freund:innen besprechen möchtest, ist ganz dir überlassen. Wenn es dich so sehr stört und du glaubst, dass es dir gut tun könnte, das zu kommunizieren, tu das auf jeden Fall. Aber bitte fordere deine Freund:innen in diesem Gespräch nicht dazu auf, ihr Verhalten dramatisch zu verändern. Stattdessen geht es jetzt darum, deinem Gegenüber mitzuteilen, wie du dich fühlst – und dass du daran arbeitest, es zu akzeptieren.
Wenn wir uns an solche neuen Situationen nämlich nicht anpassen, enttäuschen wir uns damit selbst nur immer wieder. Veränderungen sind ein natürlicher Bestandteil jedes Lebensbereichs – und wenn wir darauf hoffen, es würde sich nie etwas ändern, macht uns das bloß unglücklich. Eine mentale Anpassungsfähigkeit an sich wandelnde Situationen musst du immer weiter trainieren. Und wenn dir ein:e Freund:in verspricht, das eigene Verhalten wegen deiner Gefühle zu ändern, solltest du dir darüber bewusst sein, dass das vielleicht nicht langfristig klappt und eure Freundschaft schließlich sogar darunter leiden könnte.
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Es ist toll, dass du betonst, dass du dich für deine Freund:innen freust. Konzentriere dich daher doch auf deine Zufriedenheit, dass es deinen Freund:innen gut geht, und ändere gegebenenfalls deine Perspektive darauf, wie du in ihr Leben passen könntest. Das bedeutet womöglich, dich mit weniger gemeinsamer Zeit abzufinden – aber dafür vielleicht mit schönerer Zeit. Es ist außerdem wichtig, klare Grenzen zu setzen und diese auch zu kommunizieren. Wenn du zum Beispiel von jemandem für dessen:deren Partner:in versetzt wirst, stelle klar, dass dich das enttäuscht. Gleichzeitig solltest du darauf achten, dass eure Freundschaft beidseitig bleibt und nicht stark einseitig wird.
Wenn du deine Gefühle konkret ansprechen möchtest, konzentriere dich dabei auf spezifische Beispiele, anstatt nur über die Tatsache zu sprechen, dass er:sie eine:n Partner:in hat. Das erfordert auch „innere Arbeit“: Frage dich, welche Werte dir selbst am wichtigsten sind, und was du über dich selbst und dein Umfeld denkst. In der kognitiven Verhaltenstherapie werfen wir häufig einen Blick darauf, was dich konkret an deiner Situation stört. Fühlst du dich im Stich gelassen? Wenn das zutrifft, könnte das zum Beispiel bedeuten, dass du dich selbst nicht für liebenswert hältst. Die innere Arbeit verlangt es dir daher ab, an diesen Überzeugungen zu arbeiten und dich in Akzeptanz zu üben.
Und schließlich solltest du auch bedenken, dass es auch hier zwei Seiten gibt. Auch Beziehungen sind nicht einfach; manche deiner Freund:innen beneiden dich vielleicht sogar ein bisschen um deinen Single-Status. Und falls du selbst wieder eine Beziehung beginnen solltest, wünschst du dir dann sicher auch Verständnis dafür, dass du dieser neuen Liebe vielleicht erstmal ein wenig mehr Aufmerksamkeit schenkst.