„John Mayer durfte schon legal Alkohol trinken, als Kiernan Shipka geboren wurde.“ Das war einer von Hunderten von Tweets, die Anfang November die Feeds beherrschten, als bekannt wurde, dass die damals 22-jährige Mad-Men-Darstellerin beim Abendessen mit dem 45-jährigen Musiker gesehen wurde. Es gibt keinen Beweis dafür, dass die beiden zusammen sind (Fans haben seitdem Fotos von Kiernans angeblichem Freund geteilt), aber allein die Vorstellung ihrer Beziehung löste online heftige Reaktionen aus.
Obwohl die Existenz romantischer Beziehungen mit großen Altersunterschieden nichts Neuartiges ist, hat die Online-Kritik in den letzten Jahren an Lautstärke zugenommen. In letzter Zeit hat diese Kritik aber auch eine wissenschaftliche Komponente dazubekommen. Wenn heutzutage Gerüchte über eine neue Beziehung mit einem großen Altersunterschied auftauchen, fragen sich die Internetnutzer:innen, warum ältere Menschen mit jemandem ausgehen wollen, dessen oder deren Gehirn noch nicht vollständig ausgebildet ist.
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Diese Aussage basiert auf der Vorstellung, dass der präfrontale Kortex (der Teil deines Gehirns, der für die Entscheidungsfindung zuständig ist) erst mit 25 Jahren seine „endgültige Form“ erreicht hat. Nachdem sich diese Tatsache in den sozialen Medien verbreitet hatte, stand sie unweigerlich mit der Ablehnung von Beziehungen mit großen Altersunterschieden in Verbindung. Kürzlich wurde die 20-jährige Musikerin Billie Eilish in diese Diskussion einbezogen, nachdem sie öffentlich mit dem 31-jährigen Musiker Jesse Rutherford gesehen wurde. In Twitter-Kommentaren wurde Rutherford vorgeworfen, er wolle eine Freundin mit einem „unterentwickelten Gehirn“.
Nicht nur Außenstehende werfen einen genaueren Blick auf Beziehungen mit Altersunterschied. Sängerin Demi Lovatos neueste Single 29 handelt angeblich von ihrer früheren Beziehung mit Wilmer Valderrama, die begann, als sie 17 und er 29 Jahre alt war. Siehe auch Taylor Swift, deren Fans behaupten, sie habe ihr neues Album Midnights über ihre romantische Beziehung zu John Mayer geschrieben, in der sie 19 und er 32 Jahre alt waren. Auch Taylors aktuelle Wiederveröffentlichung All Too Well handelt angeblich von ihrer Beziehung zu Jake Gyllenhaal, die begann, als sie 20 und der Schauspieler 29 Jahre alt war.
Die Debatte über Altersunterschiede wird vor allem mit Leonardo DiCaprio in Verbindung gebracht. Im August dieses Jahres, nachdem er sich von dem Model und der Schauspielerin Camila Morrone wenige Monate nach ihrem 25. Geburtstag getrennt hatte, ging in den sozialen Medien eine Grafik viral, die aufzeigte, dass jede einzelne der Ex-Freundinnen des 48-Jährigen 25 Jahre oder jünger war. Kürzlich wurde gemunkelt, der Schauspieler sei mit der 27-jährigen Gigi Hadid zusammen.
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Wie solide ist die wissenschaftliche Grundlage für die Internet-Behauptung, dass Menschen unter 25 Jahren noch ein unvollständig entwickeltes Gehirn haben? Und was bedeutet das für Beziehungen mit Altersunterschied?
„Die Info ist total verlässlich“, sagt die Neurowissenschaftlerin Dr. Tara Swart, die seit fast zehn Jahren in ihren Vorlesungen über dieses Thema unterrichtet. „Das Gehirn wächst und verändert sich bis zum Alter von 25 Jahren“, erklärt sie. „Früher dachten wir, dass unser Gehirn, wenn wir mit 18 Jahren aufhören zu wachsen, schon zeigt, wie wir für den Rest unseres Lebens sein werden, aber in letzter Zeit haben wir festgestellt, dass es sich bis zum 25. Lebensjahr verändert.“
Laut einer Studie der Saint James School of Medicine aus dem Jahr 2013 über die Reifung des Gehirns „ist bekannt, dass das Gehirn einen ‚Neuverdrahtungsprozess‘ durchläuft, der erst im Alter von etwa 25 Jahren abgeschlossen ist“. Die Studie erklärt, dass mit der Entwicklung des Gehirns das Myelin oder die weiße Substanz in den Frontallappen des Gehirns zunimmt. Mehr Myelin bedeutet eine bessere neurologische Verschaltung, die einen besseren Informationsfluss zwischen den Gehirnregionen ermöglicht. Das wirkt sich besonders auf Dinge wie Impulskontrolle, Problemlösungsskills und die Fähigkeit aus, kurzfristige Belohnungen mit langfristigen Zielen in ein Gleichgewicht zu bringen. „Der präfrontale Kortex, der rationale Teil unseres Gehirns, ist eine der letzten Hirnregionen, die ihre Reifung erreichen, was einen Großteil der Verhaltensunreife erklärt, die so oft mit Jugendlichen in Verbindung gebracht wird“, sagt die Psychotherapeutin Helen Burke-Smith, die nicht an der Studie beteiligt war.
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Was sind also die emotionalen Unterschiede zwischen jemandem mit einem „voll ausgereiften“ Gehirn und einer Person, deren Gehirn sich noch in der „Entwicklungsphase“ befindet? „Erwachsene können den präfrontalen Kortex nutzen, den ‚rationalen‘ Teil des Gehirns, der uns hilft, auf Situationen mit gutem Urteilsvermögen und einem Bewusstsein für langfristige Konsequenzen zu reagieren, während Jugendliche Informationen mithilfe der Amygdala, dem emotionalen Teil, verarbeiten“, sagt Burke-Smith. „Das bedeutet, dass Jugendliche eher nach emotionalen Erfahrungen streben, auch wenn diese potenziell bedrohlich sind“, fährt sie fort. Jüngere Menschen sind „weniger in der Lage, die Gefahr zu rationalisieren oder zu erkennen, wie es Erwachsene tun“.
Laut der Beziehungsberaterin und Therapeutin Victoria Jeffries könnte die mangelnde Entwicklung des präfrontalen Kortex bei Menschen unter 25 Jahren große Auswirkungen auf ihre Beziehungen haben. Ihrer Meinung nach ist es für Menschen unter 25 Jahren schwieriger, auf ihre Intuition zu vertrauen. „Das ungute Gefühl, das man hat, wenn sich etwas nicht richtig anfühlt, ist seltener zu spüren.“
Gut, akzeptieren wir diese wissenschaftliche Erkenntnis, dann bedeutet das einen großen Unterschied bei der Beziehung zwischen zwei Jugendlichen und einer Beziehung, in der ein:e Partner:in deutlich älter ist. „Da wertvolle Funktionen wie Einsicht, Moral und Intuition vom präfrontalen Kortex gesteuert werden, könnte man sagen, dass ein:e jüngere:r Partner:in [also unter 25 Jahren] besonders beeinflussbar ist“, erklärt Jeffries.
Die Konsequenzen daraus werden sich natürlich unterscheiden. Es gibt keine allgemeingültigen Richtlinien. Das bedeutet nicht, dass jede ältere Person, die eine Beziehung mit unter 25-Jährigen sucht, ein:e Triebtäter:in ist. Es bedeutet auch nicht, dass alle unter 25 Jahren nicht in der Lage sind, ihrem eigenen Urteilsvermögen zu vertrauen, wenn es um die Partner:innenwahl geht. Jeffries warnt jedoch: „Es könnte sein, dass die jüngere Person weniger gut einschätzen kann, welches Verhalten oder welche Handlungen ihres Partners oder ihrer Partnerin wirklich richtig oder falsch sind oder was möglicherweise manipulativ sein kann und zum allgemeinen Ungleichgewicht der Machtdynamik in der Beziehung führt.“
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Jüngere Menschen, deren Teil des Gehirns, der für die Entscheidungsfindung zuständig ist, sich noch nicht entwickelt hat, neigen eher dazu, sich von anderen leiten zu lassen, als ihre eigene Meinung zu vertreten. „Diejenigen, die ältere Partner:innen haben, neigen vielleicht dazu, der Führung dieser Personen zu folgen, ohne abzuwägen, was das Beste für sie ist. Das kann dazu führen, dass der:die Jüngere von beiden die eigenen Bedürfnisse nicht vollständig erkennt und nicht weiß, was im eigenen Interesse ist“, sagt Jeffries.
Obwohl die reine Wissenschaft zeigt, dass sich die Gehirne unter 25 Jahren aufgrund der Physiologie noch entwickeln, sagt Dr. Swart, dass auch Umweltfaktoren einen Einfluss auf den Reifegrad eines Menschen haben und dies nicht außer Acht gelassen werden sollte. „Bis zum Alter von 25 Jahren leben viele Menschen noch zu Hause und sind finanziell noch von ihren Eltern abhängig. Was in der Welt da draußen passiert, stimmt also mit dem überein, was die Gehirnscannertechnologie zeigt.“ Mit anderen Worten: Wir mögen die Wissenschaft in den Mittelpunkt der Argumentation über den Altersunterschied stellen, aber der Mangel an Lebenserfahrung (oder auch das Gegenteil) ist genauso entscheidend.
Auch andere Lebensstilfaktoren können den Prozess beeinflussen. „Es ist nicht nur das Alter, es hängt auch von den Genen ab, wie du erzogen wurdest, von deinem Persönlichkeitsstil und davon, wie stark die Emotionen in deiner Familie zum Ausdruck gekommen sind“, erklärt Dr. Swart.
„Im Allgemeinen sind deine Fähigkeit, deine Impulse zu kontrollieren, und deine Fähigkeit, Risiken zu beurteilen und Entscheidungen zu treffen, bei denen der präfrontale Kortex die emotionalen Systeme des Gehirns ausbalanciert, unter dem Alter von 25 Jahren weniger ausgeprägt als über dem Alter von 25 Jahren.“
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Bedeutet das also, dass unter 25-Jährige niemals mit Menschen ausgehen sollten, die älter sind als sie, weil sowohl körperliche als auch umweltbedingte Faktoren einen großen Einfluss aufs Erwachsenwerden haben? Nein. Jeffries ist der Meinung, dass jede Beziehung mit Altersunterschied individuell ist und von Fall zu Fall betrachtet werden sollte. „Eine Beziehung mit Altersunterschied ist nicht unbedingt eine schlechte Idee“, erklärt sie. „Man muss sich nur darüber im Klaren sein, dass es erhebliche Unterschiede und Herausforderungen gibt, mit denen das Paar konfrontiert werden kann.“
Der entscheidende Punkt für jede jugendliche Person, die eine Beziehung zu einer älteren Partnerin oder einem älteren Partner aufbaut, ist es also, zu verstehen, wie wichtig es ist, eine gesunde Dynamik aufzubauen, die für beide Parteien funktioniert. „In einer Beziehung gibt es keine Hierarchie, auch wenn der Altersunterschied groß ist“, sagt Jeffries. „Erinnere dich daran, dass nur, weil eine:r von euch älter ist, er oder sie deshalb nicht mehr weiß oder überlegen ist. Und nur, weil dein:e Partner:in jünger ist als du, heißt das nicht, dass er oder sie weniger vom Leben versteht. Keine:r von euch sollte die eigene Stimme verstummen lassen oder die eigenen Bedürfnisse ignorieren.“
Am wichtigsten für eine gesunde Dynamik ist, dass beide Partner:innen ein Gefühl der Unabhängigkeit haben. Burke-Smith stellt fest, dass ein großer Teil der Identitätsentwicklung bei Jugendlichen durch die Interaktion mit Gleichaltrigen erfolgt. „Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass, wenn jemand in dieser Entwicklungsphase in einer Beziehung mit einer älteren Person lebt, Beziehungen zu Gleichaltrigen weniger wichtig werden. Das kann sich negativ auswirken auf die entscheidenden Schritte eines Jugendlichen in Richtung Unabhängigkeit, die Suche nach dem eigenen Platz in der Gesellschaft und die Identitätsfindung“, erklärt sie.
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Gibt es vor diesem Hintergrund eine Möglichkeit, die unterschiedlichen Bedürfnisse der Partner:innen zu berücksichtigen? „Habe deine eigenen Interessen und bewahre sie. Dazu gehört, dass du Zeit mit Menschen deines Alters verbringst und die Interessen pflegst, die du hattest, bevor du deine:n Partner:in kennengelernt hast. Ihr seid unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Interessen und es ist wichtig, das anzuerkennen“, erklärt Jeffries.
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