Für mich war Ehe eigentlich immer gleichbedeutend mit Monogamie. Das bedeutet aber nicht, dass ich mich irgendwann bewusst für eine Ehe anstelle eines polyamorösen oder offenen Verhältnisses entschieden hatte. Mir wurde bloß mein Leben lang eingetrichtert, dass eine monogame Ehe die einzig existenzfähige Option sei. Schon eine:n Partner:in zu haben, den:die man nicht heiraten würde, wurde in meinen Kreisen immer als zutiefst beschämend angesehen.
Meine Einstellung zu diesem Thema änderte sich aber in meinen 20ern. Ich zog nach London, schloss mich einer fabelhaften (und ich benutze dieses Wort nicht einfach mir nichts, dir nichts) Queer-Crowd an, hatte Lover, die zu Freund:innen wurden, Freund:innen, aus denen mehr wurde, und fand mich in Dark Rooms mit meinen Partner:innen wieder, die das taten, was der beliebte homosexuelle Podcaster Dan Savage „mehr oder weniger monogames“ Verhalten nennen würde. Und all das fühlte sich eigentlich weitgehend richtig an. Natürlich wurden hie und da einige Grenzen überschritten, aber jedes Mal, wenn das passierte, war das, was darauf folgte, keine Trennung, sondern ein reifes Gespräch zwischen Erwachsenen. Wir sprachen darüber, ob die soeben überschrittene Grenze vielleicht keine mehr zu sein brauchte oder ob sie vielleicht eine war, die wir von nun an klar als solche definieren und deshalb auf keinen Fall mehr missachten sollten.
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In drei Monaten werde ich 30. Die meisten meiner Freund:innen, mit denen ich aufgewachsen bin, sind entweder verheiratet oder planen ihre Hochzeit. Das gilt auch für viele von den Leuten, die ich in London kennenlernte. Es fühlt sich an, als würden wir alle blind irgendwelchen Konventionen folgen. Das finde ich beängstigend.
Bei der Recherchearbeit für mein neuestes Buch beschäftigte ich mich mit großem Interesse mit allem, das wir kulturell mit Ehe gleichsetzen: Liebe, Freundschaft, Ewigkeit und Monogamie.
Nachdem ich ein wenig nachgeforscht hatte, wurde mir klar, dass es einfacher ist, die Ehe ideologisch abzulehnen, als das in der Realität zu tun. Wir können uns die harte, ausgrenzende Geschichte dieser Institution ansehen oder die Art und Weise, wie sie von Regierungen und Individuen weltweit missbraucht wird, und zu dem Schluss kommen, dass die Ehe zum Schmeißen ist. Wir können sie aber auch aus einer anderen Perspektive betrachten, nämlich einer, die Rechte gewährleistet und Unterstützung verspricht, in einer Gesellschaft und unter einem Staat, dem dein Wohlergehen vielleicht nicht so wichtig ist, wie du es gerne hättest. Und so begann ich nach Wegen zu suchen, die Ehe anders zu gestalten, sie von innen umzustürzen. Für mein Buch sprach ich mit geschiedenen Personen, mit Menschen, die sich selbst geheiratet hatten, mit Leuten, die mit Objekten verheiratet sind, und mit Personen, die – vielleicht am wichtigsten in diesem Zusammenhang – in offenen Ehen leben.
Die Daten in Hinblick auf offene Ehen sind leider sehr verzerrbar. In San Francisco zum Beispiel leben Statistiken zufolge über die Hälfte der gleichgeschlechtlichen verheirateten Paare in offenen Beziehungen. In Europa gibt es aber leider im Grunde keine Information rund ums Thema offene und Poly-Ehen. Das könnte daran liegen, dass diese Ehekonstellationen viel zu liberal für viele unserer Regierungen sind, um Daten darüber zu sammeln. Aber eine Sache, die wir mit Sicherheit wissen, ist, dass es sie gibt. Vielleicht haben dein Onkel und deine Tante eine „Vereinbarung“ untereinander, oder möglicherweise hast du einen Artikel in einem coolen Kulturmagazin über ein Paar gelesen, das eine offene Ehe führt und angibt, die Beziehung zu öffnen, sei die beste Entscheidung aller Zeiten gewesen. Außerdem haben es viele von uns schon einmal gefühlt: Sogar meine beste Freundin, die überzeugte Monogamistin ist, erzählte mir in einem Interview für das Buch, dass sie bereits einmal darüber nachgedacht hat, mit anderen Personen zu schlafen. Sie würde diese Fantasie aber nicht in die Tat umsetzen. Als ich sie fragte, warum nicht, sagte sie entsetzt: „Weil ich doch verheiratet bin!“
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In diesem Moment wurde mir klar, dass die Ehe als Mechanismus benutzt wird, um unsere Vorstellungen von den Möglichkeiten dessen, was sein könnte, abzuschneiden. Eine meiner größten Ängste hat nichts mit der Ehe selbst und den guten Dingen zu tun, die sie repräsentiert, wie die Mühe, die sich zwei Personen geben, die Zweisamkeit und die Feier. Ich mache mir Sorgen darüber, dass ich meine Wünsche langsam immer mehr und mehr herunterschrauben würde. Und warum? Weil ich verheiratet wäre!
Als Teil meiner Recherchearbeit verbrachte ich eine ganze Menge Zeit damit, mit Menschen in Poly- und offenen Ehen zu sprechen. Die meisten von ihnen hatten aus ähnlichen Gründen geheiratet: eine unvergessliche Zeremonie, Stabilität in einer instabilen Welt, Liebe. Tatsächlich waren einige der inspirierendsten Geschichten, die ich hörte, solche, in denen Menschen in polyamorösen Ehen festgestellt hatten, dass ihre Verbindung durch das Öffnen der Beziehung stärker geworden ist. Weil es ihnen in einem anderem Bereich Raum gab, die Probleme in ihrer Ehe zu besprechen. Weil sie nicht mehr das schreckliche Gefühl hatten, gefesselt zu sein. Weil sie der Welt nicht erklären mussten, dass sie sich, seitdem sie verheiratet sind, nicht mehr begehrenswert fühlen. Weil sie mehr Sex hatten, und weil sie „Compersion“ empfanden – eine Art gute Eifersucht, bei der man sich für den Partner oder die Partnerin freut und ihn oder sie noch mehr begehrt, weil jemand anderes ihn oder sie auch heiß findet.
Tatsächlich finde ich Ehe und Nicht-Monogamie aber immer noch etwas widersprüchlich. Ein großer Teil von mir fragt sich, warum wir überhaupt heiraten, wenn wir dann etwas tun, das als so radikal wahrgenommen wird, sobald wir verheiratet sind. Ein anderer großer Teil von mir fragt sich, ob ich mir vielleicht doch Monogamie wünsche? Möglicherweise kann ich mir jetzt aber immer mehr und mehr eine Welt vorstellen, in der beide koexistieren können; eine Welt, in der die Ehe eine Ehe ist und nicht unbedingt mit etwas anderem gleichgesetzt werden muss wie Liebe, Freundschaft, Ewigkeit oder Monogamie.
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