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Zählt es als Fremdgehen, wenn ich Kontakt zu meinem Ex habe?

Foto: Zaineb Abelque.
Vor ein paar Jahren war ich gerade in einer relativ frischen Beziehung, als eines Abends (als mein Freund gerade nicht da war) mein Handy vibrierte. Ich schaute drauf – und sah eine WhatsApp-Nachricht von meinem Ex. Ich hatte die Nachricht noch nicht mal geöffnet, und trotzdem klopfte mein Herz plötzlich viel schneller.
Meinen Ex hatte ich das letzte Mal rund ein halbes Jahr zuvor gesehen. Damals war ich Single, und nach einer ultrapeinlichen Begegnung auf einer Party – auf der ich ihm eigentlich hatte sagen wollen, dass ich es mit uns gern nochmal versuchen würde, und stattdessen mit seinem Date Smalltalk führen musste – hatte ich seine Nummer gelöscht und mir vorgenommen, mit ihm abzuschließen. Kurz darauf lernte ich meinen neuen Freund kennen und begann eine glückliche neue Beziehung. Als ich aber den Namen meines Ex-Partners auf meinem Handy las, wusste ich: Ich konnte jetzt nicht einfach mit ihm schreiben. Das hätte sich falsch angefühlt, weil ich – obwohl ich glücklich neu vergeben war – allein von seinem Namen auf meinem Sperrbildschirm Schmetterlinge und Herzrasen bekam. Das hieß natürlich nicht, dass ich stattdessen mit ihm zusammen sein sollte, oder dass ich mit meinem aktuellen Partner nicht glücklich sei. Ich wusste aber, dass es sich irgendwie zu sehr wie Fremdgehen anfühlen würde, mit meinem Ex zu sprechen oder zu schreiben.
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Die Frage, was eigentlich als Fremdgehen zählt, wurde schon tausendfach durchgekaut – eine verständliche Konsequenz „einer Welt, in der offene und polyamouröse Beziehungen zunehmend normal sind und das Interesse an ethischer Nicht-Monogamie unter jungen Leuten zunimmt“, schreibt Eloise Hendy in einem Artikel für Vice. Die Grenzen einer Beziehung sind nicht mehr immer das, was sie mal waren, und die gesellschaftliche Definition eines Seitensprungs wird immer schwammiger, während Paare die individuelle Form von Mono- oder Polygamie erkunden, die für sie funktioniert, anstatt einfach die Beziehungsgrenzen zu übernehmen, die vorherige Generationen etabliert haben.
Und wenn dann noch Ex-Partner:innen mit ins Spiel kommen, wird die Sache umso komplizierter.
„Die Definition von Untreue ist alles andere als eindeutig, und im digitalen Zeitalter haben wir immer mehr die Möglichkeit zu ‚verbotenen‘ Kontakten“, schreibt die Therapeutin Esther Perel in ihrem Buch The State of Affairs: Rethinking Infidelity. (Sie betrachtet den Kontakt zu einem:einer Ex übrigens als potenzielle Form von Untreue.) Sie ergänzt: „Klar ist, dass alle Charakterisierungen der modernen Untreue von einer Art ‚Vertragsbruch‘ zwischen zwei Individuen ausgehen […]. Im Kern des Betrugs steht heutzutage ein Vertrauensbruch.“
Und genau dieser Vertrauensbruch kann uns Aufschluss darüber geben, ob der Kontakt zu einem oder einer Ex als Fremdgehen betrachtet werden kann – denn letztlich ist ein Seitensprung laut Perel ja genau das: ein Vertrauensbruch.
„Meiner Meinung nach ist der Kontakt zu einem oder einer Ex nicht direkt ein Seitensprung, sofern du mit deinem:deiner jetzigen Partner:in ehrlich darüber sprichst“, sagt die Psychotherapeutin Tamara Sears. „Wenn du aber mit einem:einer Ex in Kontakt stehst, ohne dass dein:e Partner:in davon weiß, kann das definitiv Fragen rund um Ehrlichkeit und Betrug aufwerfen. Wenn sich beide Parteien darauf geeinigt haben, keinen Kontakt mehr zu den Ex-Partner:innen zu haben, und sich jemand daran nicht hält, leidet darunter das Vertrauen innerhalb der Beziehung.“
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Natürlich ist es nicht immer automatisch ein Vertrauensbruch, noch mit dem oder der Ex zu reden. „Es gibt alle möglichen unschuldigen Gründe dafür, mit einem:einer Ex zu schreiben oder zu sprechen“, betont auch der Psychotherapeut und Autor Toby Ingham. „Manchmal ist die Welt eben sehr klein, und vielleicht kreuzen sich eure Wege zufällig. Das zählt aber nicht automatisch als Fremdgehen. Wenn du dich aber darum bemühst, das geheim zu halten, hast du vielleicht insgeheim das Gefühl, doch etwas zu tun, was nicht ganz harmlos ist.“
Um das mal klarzustellen: Ich finde, es macht einen großen Unterschied, ob man mit einem oder einer Ex nur redet oder mit ihm:ihr befreundet ist. Viele von uns führen gesunde, schöne Freundschaften mit Ex-Partner:innen, und das finde ich toll. In meinem eigenen Freundeskreis waren diverse Leute schon miteinander zusammen. Die Vorstellung, es würde als Seitensprung gegenüber ihren jetzigen Partner:innen zählen, dass diese Leute weiterhin Kontakt haben, finde ich lachhaft – und ich bin mir sicher, das würden ihre jetzigen Partner:innen auch so sehen. Manchmal verbinden uns ja auch noch geteilte Verpflichtungen mit unseren Ex-Partner:innen, und es würde wohl kaum als Fremdgehen zählen, wenn du deine:n Ex anrufst, um über eure gemeinsamen Kinder zu sprechen, zum Beispiel.
Für mich fühlte es sich aber an diesem Abend irgendwie falsch an, mit meinem Ex zu schreiben – auch wenn er mir eigentlich nur einen Artikel geschickt hatte, von dem er glaubte, ich könnte ihn interessant finden –, eben weil wir nicht befreundet waren. Unsere einzige Verbindung war die unserer Ex-Beziehung. Mein neuer Freund und ich hatten nicht explizit darüber gesprochen, ob es als Betrug gelten würde, spätnachts mit unseren Ex-Partner:innen zu schreiben; ich brauchte aber keinen Beziehungsvertrag, um zu wissen, dass es vermutlich sein Vertrauen in mich verletzt hätte, wenn ich mit jemandem chattete, mit dem ich nicht befreundet war und der mir vor nicht allzu langer Zeit komplett das Herz gebrochen hatte.
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Dieses ungute Gefühl, das ich in dieser Nacht empfand, ist scheinbar ziemlich normal. Schon nach einem kurzen Scrollen durch den r/relationship_advice-Subreddit wurde mir klar, dass das „Reden mit dem:der Ex“-Problem dort recht oft besprochen wird. „Was haltet ihr davon, mit Exen zu reden, wenn ihr in einer festen monogamen Beziehung seid?“, fragte zum Beispiel jemand.
Dabei sollten wir wohl vor allem die Perspektive der aktuellen Partner:innen bedenken. „Ein:e Partner:in in einer neuen Beziehung kann sich manchmal von jedem Kontakt bedroht fühlen, den du zu einem oder einer Ex aufrechterhältst. Daraus können Unsicherheiten entstehen. Die Person fragt sich dann womöglich, ob du diese:n Ex vielleicht gern zurück hättest“, erklärt Sears. „Nach dem Motto: Wenn du diese Person schon mal mochtest, liegt es nahe, dass du sie auch wieder mögen könntest.“
Bis zu einem gewissen Grad solltest du Unsicherheiten dieser Art auf jeden Fall respektieren. Immerhin willst du deine:n Partner:in bestimmt nicht verärgern oder verängstigen. Dennoch muss es dahingehend irgendwo eine Grenze geben, wie weit du dich für diese Person einschränkst. Unsicherheiten sind nämlich eine Sache, Eifersucht eine ganz andere – und Kontrolle (die auch zu Missbrauch führen kann) wiederum etwas völlig anderes. Betrachte das Ganze als eine Skala: An einem Ende respektierst du deine:n Partner:in und verhältst dich einfühlsam und verständnisvoll; am anderen Ende übt dein:e Partner:in Kontrolle darüber aus, mit wem du (keinen) Kontakt haben darfst.
„Es macht einen großen Unterschied, ob du dich gemeinsam mit deinem:deiner Partner:in auf Grenzen einigst, und ob diese Person dir vorschreibt, mit wem du sprechen darfst und mit wem nicht“, meint auch Sears. „Wenn dein:e Partner:in von dir erwartet, keinen Kontakt zu deinen Ex-Partner:innen zu haben, dich gleichzeitig aber dafür verurteilt, wenn du wütend wirst, weil er oder sie mit seinen Exen Kontakt hat, ist das ein Problem. Grenzen sollten in einem offenen Gespräch gezogen werden, nicht auf Basis von Manipulation oder gar Zwang. Das wäre dann nämlich Missbrauch.“
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Letztlich gilt: Ob der Kontakt zu einem oder einer Ex als Seitensprung zählt, solltet ihr als Partner:innen einvernehmlich und respektvoll zusammen entscheiden.
„Es ist wichtig, schon sehr früh in der Beziehung klarzustellen, was ihr als Fremdgehen betrachtet“, meint Sears. Das kann ein schwieriges Gespräch voraussetzen. Das ist es aber wert, wenn du dich nicht dafür schuldig fühlen willst, mit einem lachenden Emoji auf ein Video zu reagieren, das dir ein:e Ex schickt, oder eine nette Nachricht zu schreiben, wenn es in seiner:ihrer Familie zu einem Todesfall kommt.
„Wenn ihr beide verschiedene Vorstellungen davon habt, was in einer Beziehung akzeptabel ist, und diese Vorstellungen nicht von Anfang an miteinander diskutiert, können daraus später enorme Probleme entstehen“, warnt Sears. „Dabei kannst du das ganz einfach klären, indem du beispielsweise sagst: ‚Ich will sichergehen, dass wir uns darin einig sind, wie wir uns die Treue in dieser Beziehung vorstellen. Deswegen möchte ich dir erklären, was ich als Vertrauensbruch empfinde.‘“ 
„Sei dabei so deutlich wie möglich“, rät Ingham. „Sprich davon, was du dir wünschst, und frage, wie es bei deinem Partner oder deiner Partnerin aussieht. Klar und offen miteinander zu sprechen und nichts voreinander zu verheimlichen, ist die stressfreiere Option.“
Die Definition dessen, was wir als Gesellschaft als Fremdgehen bezeichnen, wird nie in Stein gemeißelt sein – und sollte es auch nicht. Noch dazu ist es sehr leicht, dir hierbei zu sehr den Kopf zu zerbrechen. Bloß, weil es sich wie ein Seitensprung anfühlt, muss es dadurch noch keiner sein; und eine plötzliche Nachricht von einem oder einer Ex muss ja auch nichts Größeres als ein Schulterzucken und eine freundliche Antwort nach sich ziehen. Du brauchst dich in dieser Situation nicht selbst dafür fertig zu machen, gegebenenfalls etwas „Falsches“ getan zu haben – vor allem, wenn du mit deinem:deiner Partner:in ganz offen umgehst. „An eine:n Ex zu denken, ist noch kein Fremdgehen“, meint auch Ingham. „Bloß, weil wir mit jemandem nicht mehr zusammen sind, heißt das ja nicht, dass wir an diese Person nie wieder denken. Es kann ein Zeichen dafür sein, dass du über deine ehemalige Beziehung noch nicht ganz hinweg sein, kann aber genauso gut auch völlig harmlos und ein normaler Teil dessen sein, dich von deiner Ex-Beziehung immer weiter zu lösen, während du eine neue beginnst.“
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Einige dich einfach mit deinem Partner bzw. deiner Partnerin darauf, wo ihr beim Kontakt zu Ex-Partner:innen die Grenze ziehen möchtet. Wenn dich die Grenze deines Partners oder deiner Partnerin stört, frag nach und sprich das Thema an. Wie Perel schreibt (und Sears und Ingham bestätigen): „Geheimniskrämerei ist der Grundstein der Untreue.“ Geheimnisse zu haben, bedeutet natürlich nicht, dass du fremdgehst. Ein Seitensprung ist aber eben für gewöhnlich ein Geheimnis. Wenn du also ehrlich und transparent bist, kannst du nicht viel falsch machen. 
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