Wenn wir von Trends und Bewegungen reden, beschränken wir unser Blickfeld gerne und verständlicherweise erst einmal auf unsere Gesellschaft und ihr Verständnis von Schönheit und Körperlichkeit. Doch direkt vor unserer Nase wächst ein ganz bestimmter Modezweig ganz schön kräftig und sorgt bereits jetzt für Milliardenumsätze.
Die „Modest Fashion“ bedient die Wünsche muslimischer, aber auch jüdischer und christlich orthodoxer Frauen, die zwar Wert auf Trends und ein modisches Auftreten legen, dabei jedoch dezent gekleidet bleiben und nicht zu viel Haut zeigen wollen. Die Einflüsse der „Modest Fashion“, der zurückhaltenden Mode, haben laut Vogue gar das Ende des Porn-Chic eingeläutet und Marken von H&M über Zara bis Acne Studios und Max Mara sind bereits mitgezogen. Große Modehäuser wie Dolce & Gabbana präsentierten bereits vor über einem Jahr eigene Kollektion mit Hijabs und Abaya-Mänteln für die kaufkräftige Kundschaft in Nahost.
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Global Player Nike sorgte dieses Jahr mit seinem Sport Hijab für (positive) Furore und wurde für den mutigen Schritt durch die Bank weg gelobt. Natürlich möchte ich Nike nicht absprechen, mit dem Hijab dazu beigetragen zu haben, weitere Barrieren in Köpfen einzureissen, doch es war sicherlich auch eine strategische Entscheidung des Brands, möglichst bald auf dem Markt der „Modest Fashion“ mitzumischen. Mit geschätzten 1,5 Milliarden Muslimen weltweit und weiteren rund 300 Millionen Juden und orthodoxen Christen ist die potentielle Käuferschaft für die dezente Kleidung gigantisch. Wir tun ja gerne überrascht, wenn wir feststellen, dass es doch irgendwie noch Gesellschaften und Normen auf dieser Welt geben, die unseren so gar nicht ähneln, doch wir sind eben nicht alleine und es ist eigentlich schon erstaunlich, dass viele Marken erst in den vergangenen Jahren das Potential erkannt haben, das sich hier verbirgt.
Vorangetrieben wurde die Erkenntnis, dass dezente Kleidung, Trends und Mode ganz wunderbar Hand in Hand gehen können, von Influencern, die auf Instagram ihre Interpretation von modischer und gleichzeitig moderater Kleidung präsentierten. Frauen wie Maria Al-Sadek (@mariaalia) oder Maryam Asadullah (@sincerelymaryam) begeistern ihre im sechsstelligen Bereich liegende Followerschaft täglich mit Bildern aus ihrem Leben. Interior-Inspirationen, Essensposts, Outfitposts – alles eigentlich wie bei den uns bekannten Influencern, nur eben mit Hijab und weniger Haut. Deshalb aber alles andere als weniger interessant und inspirierend.
Gemeinsam mit Maria Al-Sadek präsentierte die Online-Luxus-Plattform Farfetch sogar den Ramadan-Style-Guide. Hier plaudert die schöne Muslima über „Modest Dressing“, ihren Ramadan und die neuesten Styles. Auch, wenn viele Muslimas hier den Ton angeben, es gibt auch „Modest Fashion“ aus anderen Denominationen. Mit ihrer Seite ModLi betreibt die orthodoxe Jüdin Nava Brief-Fried von Jerusalem aus einen der größten Marktplätze für dezente Mode. Mehr als 100 Boutiquen bieten hier ihre Kleidung an und beweisen, dass „dezent“ schon lange nicht mehr für „altbacken“ oder „verhüllt“ stehen muss.
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„Modest Fashion“ ist nicht nur im Mainstream angekommen, sondern wird auch ernst genommen. Es gibt keine herablassenden oder irritierten Blicke, wenn die arabische Designerin Anniesa Hasubian auf der New York Fashion Week ihre Kollektion für Muslimas zeigt (inklusive Hijabs und Riesenbrillen á la Gucci). Fragend wird eher angeschaut, wer diese Industrie noch immer nicht wahrgenommen hat. Mit Gigi Hadid zierte gar eine sehr westliche Schönheit das Cover der ersten arabischen Vogue im März und sie wurde von Inez und Vinoodh mit üppigem Schleier und stark geschminkten Augen in Szene gesetzt. Mehr High Fashion geht nicht.
In Zukunft werden Blogger wie Dina Torkia oder Models wie Halima Aden und viele andere Vertreter aus allen Bereichen der dezenten Kleidung dafür sorgen, dass die Wahrnehmung auch in unseren Breitengraden weiter wachsen wird. Ich bin mir zudem sehr sicher, dass uns der Menüpunkt „Modest Fashion“ sehr bald auch auf den Seiten der großen Luxusonlinern wie Mytheresa oder Net-a-Porter begegnen wird. Denn bis 2019 soll der Umsatz der zurückhaltenden Mode bei satten 484 Milliarden Dollar liegen, laut des „State of the Global Islamic Economy Report“ von 2015.
Lasst euch von diesem Wörtchen „Modest“ also in Zukunft nicht in die Irre führen, denn diese Modebewegung ist alles andere, als zurückhaltend und etabliert sich weiterhin mehr und mehr auf dem Markt. Im Mainstream mag sie inzwischen sogar angekommen sein, der nächste Schritt durfte dann in der Wahrnehmung aller Menschen liegen, sodass Hijabs und Burkinis nicht mehr nur Stoff für Diskussionen oder gar Repressalien und Festnahmen sind, sondern einfach als Kleidungsstück wahrgenommen werden.
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