Als meine Erstgeborene ein paar Monate alt war, färbte ich mir meine taillenlangen braunen Locken knallrot. Ermutigt durch diese Veränderung beschloss ich, den alternativen Teil meines Stils wieder mehr auszuleben und wieder dunklen Lippenstift und Netzstrumpfhosen zu tragen. Nach Wochen des Schlafentzugs und einer so drastischen Veränderung meines Lifestyles, die ich wohl nie in Worte fassen werden kann, half mir dieser Look, mich wieder etwas mehr wie ich selbst zu fühlen – und nicht “nur“ wie eine Mutter.
Kurz darauf ging ich zum allerersten Mal zu einem Krabbelgruppentreffen. Weil ich die erste in meinem Freundeskreis war, die ein Kind bekommen hatte, sehnte ich mich danach, andere Eltern kennenzulernen. Ich wollte mit jemanden über’s Stillen reden, über das Thema Schlaftraining und über den Struggle, alles haben zu wollen. Ich hoffte, Menschen kennenzulernen, die verstehen, wie ich mich fühle und welche Sorgen, Ängste und Fragen einen als frischgebackene Mama umtreiben. Das ist doch schließlich der Sinn solcher Gruppentreffen, oder? Gab es sie nicht genau deswegen? Damit die Babys andere Babys kennenlernen und die Eltern sich gegenseitig helfen. Damit sich niemand mehr alleine fühlen muss. Oder?
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Also ich mit meinen roten Haaren, meinen braunen Lippen und meinen schwarzen Dr. Martens zur Tür hereinkam, wurde mir schlagartig bewusst, dass ich das Treffen wohl eher nicht mit einer neuen Freundin verlassen würde. Auf dem Boden saß etwa ein Duzend Mütter und ein paar Väter in einem Kreis und ich hatte das Gefühl, jede*r einzelne starrte mich an. Ein paar zogen eine Augenbraue hoch, ein paar flüsterten. In dem Moment wusste ich, das war nicht der richtige Ort für mich.
Als dicke Frau (und einstiges dickes Kind und dicker Teenager) bin ich es gewöhnt, von anderen be- und verurteilt zu werden – einfach nur, weil ich existiere. Und trotzdem hatte ich gedacht, frisch gebackene Eltern würden irgendwie herzlicher und aufgeschlossener sein. Doch das Meer aus nudefarbenem Lipgloss, strahlend weißen Sneakern und beigefarbenen Cardigans, das mir hier begegnete, strahlte das so gar nicht aus. Von Wärme und Offenherzigkeit keine Spur. Die Unterhaltungen wurden einfach weitergeführt, ich wurde ignoriert. Nicht eine einzige Person sagte Hallo zu mir – selbst die Gruppenleiterin ließ meine Tochter Luna und mich aus, als sie “alle“ begrüßte.
In den Jahren, die seitdem vergangen sind, bin ich zum zweiten Mal Mama geworden und habe weiterhin mit Mode und Make-up herumexperimentiert. In den sozialen Medien habe ich Gruppen für alternative Eltern gefunden und Menschen kennengelernt, die niemals so auf mich reagieren würden, wie es die Personen der besagten Babygruppe damals getan hatten. Doch ich muss trotzdem immer wieder feststellen, dass ich komisch angeschaut werde, wenn ich mich etwas alternativer style. Als ich mir beispielsweise einen Undercut schneiden ließ oder ein pinkfarbenes Kleid mit Puffärmeln im Café um die Ecke trug, schienen viele meine Fähigkeiten als Mutter zu hinterfragen. Und das ist auch heute noch so. Es zeigt sich dann darin, dass mich fremde Leute alles andere als unauffällig anglotzen, ich von Personen aus dem Gesundheitswesen abschätzig behandelt werde oder andere Eltern mich und meine beiden Töchter im Park einfach ignorieren.
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„Ich habe auf jeden Fall das Gefühl, von anderen Eltern wegen meines Aussehens be- und verurteilt zu werden“, sagt auch Brookelle Skoyles, eine Mutter und 1,80m große Goth-Frau. „Sie scheinen anzunehmen, dass ich eine nachlässige Mutter wäre – dass ich meinen Sohn wild und gefährlich sein lasse und an dieser Einstellung ändert sich auch nichts, wenn sie sehen, wie ich mit ihm rede und wie engagiert ich bin. Manchmal denken Leute, er wäre gar nicht mein Kind, was wirklich komisch ist, denn er nennt mich ja schließlich Mama.“
In Sachen Krabbelgruppen hat Brookelle ähnliche Erfahrungen gemacht wie ich. „In einer Gruppe, die wir eine Weile wöchentlich besuchten, wurde ich ausgestoßen und keine von den anderen Müttern sprach wirklich mit mir“, erinnert sie sich. „Als mein Sohn ein anderes Kind urplötzlich biss, war ich genauso schockiert wie alle anderen auch – das hatte er schließlich noch nie getan! Ich nahm ihn zur Seite, um mit ihm zu sprechen (er war etwa 20 Monate alt) und hörte zufällig, wie eine Mutter zu einer anderen sagte: ‚Natürlich ist das ihr Sohn. Wir wissen schon warum wir ihm aus dem Weg gehen‘.“
Pam, eine Mutter, die in Brighton lebt, hat ebenfalls toxische Erlebnisse in Krabbelgruppen gemacht. „Ich erinnere mich noch daran, wie ich und mein damals noch sehr junger Sohn in einen Raum mit vielen anderen frischgebackenen Müttern hereinkamen. Mit wurde sofort das Gefühl vermittelt, komplett fehl am Platze zu sein, mit meinem knalligen Lidschatten und meinen Dr. Martens – bei all den “normalen“ Menschen dort“, sagt sie. „Es war Sommer, weshalb meine Tattoos für alle sichtbar waren und ich stillte mein Baby überall da, wo ich es musste; ich fiel auf wie ein bunter Hund.“ Niemand sprach mit Pam und in Kombination mit ihrer (damals noch nicht diagnostizierten) Wochenbettdepression war die Erfahrung für sie niederschmetternd.
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Pam meint, weil sie homosexuell ist, kennt sie das Gefühl, be- und verurteilt zu werden bereits. Und weil sie jünger aussieht als sie ist, scheinen manche Menschen außerdem zu glauben, sie wäre nicht in der Lage, ein Kind großzuziehen. Viele Leute scheinen ein alternatives Aussehen mit Unreife zu assoziieren. Sie glauben, Frauen, die sich nicht “normal“ kleiden, wären keine guten Mütter, weil sind kindisch sind. Das ist etwas, das Sarah Hadland bereits während ihrer Schwangerschaft am eigenen Leib erfuhr. „Zwar war meine Hebamme an sich super, doch als ich sie das erste Mal traf – es war ein warmer Tag und ich trug ein Top, so dass man nicht nur meine Tunnel in den Ohren auf den ersten Blick sehen konnte, sondern auch meine tätowierten Arme –, sprach sie mit meiner Mutter wie mit einer Erwachsenen, mit mir dagegen wie mit einem Kind.“
Einmal hat Sarah sogar ein Experiment gewagt und sich verkleidet, um herauszufinden, ob sie dann ernster genommen wird. Damals war ihr Sohn 18 Monate alt und sie versuchte herauszufinden, ob er Autismus haben könnte. „Er hatte Trotzanfälle, die so intensiv waren, dass er uns beide dabei verletzte; er schrie so lange und stark, bis er sich übergab und irgendwann aus Erschöpfung zusammenbrach. Er schlief nie. Wenn dann nur, wenn er mit in meinem Bett war oder ich mit ihm im Tragetuch stundenlang durch die Gegend lief“, erzählt sie. Als sie Rat bei einem Arzt suchte, sagte man ihr einfach nur, sie solle doch mal versuchen, ihn zu baden. Das war alles. Sie beschloss, sich eine Zweitmeinung einzuholen. Und dafür verkleidete sie sich. Sie zog Leggings und einen schlichten Cardigan an und setzte eine Perücke auf. „Mir wurden drei Sessions mit einem (leider sehr schlechten) Schlafspezialisten verschrieben.“
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In der Hoffnung, dass das nur Zufall war, verkleidete sie sich beim nächsten wichtigen Termin nicht. Dieses Mal suchte sie zusammen mit ihrem Sohn eine Logopädin auf und die Therapeutin verhielt sich auch okay – was man allerdings nicht von einer Mitarbeiterin des Kinder- und Jugendgesundheitsdiensts sagen kann, mit der Sarah anschließend Kontakt hatte. „Erst als ihr Auto eine Panne hatte und sie bei mir Zuhause eine Stunde lang auf den Abschleppdienst warten musste, unterhielt sie sich wirklich mit mir über meinen Sohn und seine Diagnose.“
Sarah vermutet, es gibt noch einen anderen Grund, warum Menschen “alternative“ Mütter so stark kritisieren. „Ich denke es liegt daran, dass die Art und Weise wie wir uns kleiden etwas sehr Persönliches ist. Wenn eine Mutter einen eigenen Stil oder eine persönliche Identität hat, wird sie schnell als egoistisch abgestempelt; als würden sie ihr Kinder nicht so sehr wertschätzen.“
Auf Müttern lastet immer noch ein sehr großer Druck. Viele erwarten immer noch, sie müssen das Personsein gegen das Muttersein eintauschen und jeden wachen Moment und jeden einzelnen Gedanken den Kindern widmen – ungeachtet dem Fakt, dass wir dabei die Dinge verlieren, die uns zu Individuen machen. „Ich frage mich außerdem, ob es sich zum Teil auch um ein Überbleibsel des Klassen-Bias aus den 70ern und 80ern handelt (in der viele Eltern, medizinisches Fachpersonal und Kinderbetreuer*innen großgeworden sind)“, überlegt sie und sagt, die Punk- und Gothszene ist in der Unterschicht entstanden, in der Schicht der armen, arbeitenden Menschen. Und gegenüber der bestehen auch heute noch viele Vorurteile. Sarah hat aber die Hoffnung, dass sich die Dinge verändern werden, wenn die Millennials und Zoomers in ihren 50ern sind. Sie glaubt, diese Generationen sind generell freundlicher und offener.
Als Elternteil von anderen ausgeschlossen und verstoßen zu werden, weckt in mir extreme Gefühle der Einsamkeit. In einer Zeit, in der wir uns gegenseitig unterstützen und uns helfen sollten, uns weniger gestresst, ängstlich und hilflos zu fühlen, sind gemeine Eltern (aka die Erwachsenenvariante der “Girls Club – Vorsicht bissig!“-Clique) das, was wirklich niemand gebrauchen kann.
Pam hofft, einige dieser Eltern werden irgendwann lernen, über das Aussehen und die Assoziationen, die sie damit verbinden hinwegzukommen. „Ja, ich habe eine Kurzhaarfrisur, trage sehr viel Make-up und bin tätowiert, aber ich bin die beste Mutter, die sich mein Sohn wünschen könnte“, sagt sie. „Alle Mütter erleben dieselben Dinge und müssen sich denselben Herausforderungen stellen; es sollte doch möglich sein, das miteinander teilen zu können.“