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Non-binary ist kein Look, sondern eine Identität

Wenn ich Leuten erzähle ich identifiziere mich als nicht-binär, reagieren sie fast immer gleich: „Aber du siehst doch gar nicht non-binary aus?!“. 
Es ist frustrierend, aber irgendwie verstehe ich auch, warum sie das sagen. Wir leben schließlich in einer Gesellschaft, in der es ganz klare Vorstellungen a.k.a. Schubladen gibt. Ich weiß, sie sind nicht mit Absicht unhöflich, verletzend oder abwertend. Sie haben einfach noch keine Erfahrungen mit Menschen gemacht, die sich keinem gesellschaftlichen Gender zugehörig fühlen. Sie haben noch nie mit non-binary Personen geredet und wissen deswegen nicht, wie das geht. Und trotzdem fällt es mir schwer, die implizierte Aussage zu ignorieren, die bei Sätzen wie diesen mitschwingt und die lautet: Mit meiner Identität stimmt etwas nicht.
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Es gibt nicht eine Art und Weise, nicht-binär zu sein. Manche von uns sehen androgyn aus, andere nicht. Manche von uns – aber nicht alle – identifizieren sich als trans. Was wir jedoch alle teilen ist die Tatsache, dass Gender für uns ein Spektrum ist. Und wir ordnen uns irgendwo in der Mitte ein.
Selbst im Jahr 2019, gibt es immer noch (Kommunikations-)Probleme. So wurde Ende Oktober beispielsweise Apple für seine geschlechtsneutralen Emojis kritisiert, weil sie den Mythos bekräftigen, Geschlechtsidentität (wer du bist) wäre das Gleiche wie Geschlechtspräsentation (wie du aussiehst). In Wahrheit ist die Sache aber viel komplizierter: Die beiden Begriffe sind zwar verschieden, aber sie hängen trotzdem zusammen. Viele nicht-binäre Personen ist das Spiel mit dem eigenen Aussehen eine Möglichkeit, die eigene Gender-Identität zu erforschen und zu kommunizieren – aber das gilt nicht für alle.
Nachfolgend stelle ich dir sechs nicht-binäre Personen vor. Sie alle haben ganz unterschiedliche Erfahrungen zum Thema Aussehen gemacht.
„Früher hatte ich immer das Gefühl, mich zurückhalten und mir ganz genau überlegen zu müssen, wie ich mich kleide, aber jetzt zieh ich an, worauf ich gerade Lust habe“, erzählt Styleblogger Ben Pechey. Bens Kleiderschrank ist randvoll mit knalligen Farben und aufregenden Silhouetten. „Wenn ich überlege, was ich anziehen soll, geht es darum, wie mich fühlen werde, wenn ich ein Kleid mit einem bestimmten Schnitt anziehe oder wie die Kleidung meine Laune verändern wird. Ich finde, Kleidung kann einen Stimmungswechsel kreieren.“ Gender spielt dagegen keine Rolle bei der Outfitwahl.
Für das Bild, das viele von nicht-binären Menschen haben, sind laut Ben zu einem großen Teil die Medien verantwortlich: „Sie verbreiten Halbwahrheiten, Mythen und Irrglauben“. Dabei könnte alles so einfach sein: „Meine Geschlechtsidentität und die Pronomen, die damit einhergehen werden nicht dadurch bestimmt, wie ich mich kleide. Zu denken, jemand müsse einen bestimmten Look haben, um nicht-binär zu sein, ist eine gefährliche Annahme.“
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„Und dennoch kann es schwer sein, den Druck androgyn aussehen zu müssen nicht zu verinnerlichen. Ich habe Make-up als eine Art Schutzschild getragen; ich dachte, wenn ich optisch kommuniziere, dass ich mich als nicht-binär identifiziere, könnte ich mögliche Fragen im Keim ersticken.“
Charlie ist 23 Jahre alt und experimentierte vor ihrem Coming-out mit dem Gender-Spektrum: „Ich habe manchmal versucht, mich maskuliner anzuziehen. Das fühlte sich zwar nicht schlecht an, aber trotzdem irgendwie auch nicht richtig. Ich fühlte mich einfach nicht immer feminin und dachte, das wäre die einzige Möglichkeit das auszudrücken. Aber das war vor meinem Coming-out. Heute fühle ich mich wohl dabei, mich ab und zu feminin anzuziehen, weil ich weiß, ein Kleid macht mich nicht automatisch zu einer Frau!“
Einer der Gründe für das Herumexperimentieren war das Bedürfnis, nicht als Frau wahrgenommen werden zu wollen: „Ich hatte das Gefühl, wenn ich mich feminin anziehe, würde ich deutlicher als Frau wahrgenommen werden“. Non-binary Menschen glauben, sich androgyn zu präsentieren würde das Risiko senken, dass Leute sie einem Gender zuordnen. Insofern kann das Aussehen eine Art Hilfsmittel sein, in der Welt zurechtzukommen und so wenig Frustration zu erfahren wie möglich.
Aber ein androgynes Erscheinungsbild ist nicht für jede*n eine Option – besonders, wenn dein Körper von der superdünnen Norm abweicht, die die Modebranche oft bei androgynen Editorials als Grundlage nimmt. „Ich wollte mich schon immer maskuliner kleiden“, sagt Devin (27). „Aber als Plus-Size-Person mit “femininen“ Kurven ist das schwer. Es hat Jahre gedauert, bis ich maskuline Kleidung gefunden habe, in der ich mich wohlfühle – Kleidung, die nicht an manchen Stellen super weit und an anderen viel zu eng ist!“ Doch im Januar fand Devin dann endlich den perfekten Klamottenladen, auch wenn Devin mittlerweile gar nicht mehr die Notwendigkeit verspürt, sich maskulin kleiden zu müssen, um sich als “echte“ nicht-binäre Person zu fühlen.
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Sich auf eine visuelle Identität festzulegen, war für CHAV, ein*e New Yorker Musiker*in, nicht leicht: „Manchmal denke ich darüber nach, was es für mich bedeuten würde, ein heterosexuelles Publikum für mich zu gewinnen und meine persönliche Ausdrucksweise auf ein Minimum herunterzufahren, um überhaupt eine Chance zu haben… Aber auf der anderen Seite ist es auch mein Job, queeren POC und Femme-Personen zu helfen; ich habe eine Verpflichtung ihnen gegenüber, authentisch zu sein.“
CHAV gibt zu, dass es manchmal eine Herausforderung ist. Eine nie endende Unterhaltung. Besonders, wenn das Thema Kunst ins Spiel kommt. „Ich steckte gerade mitten in einer Promo-Tour und hatte einen Bart – um den sich die Single drehte. Irgendwie hatte ich das Bedürfnis, den Bart abzurasieren, aber das machte mir auch Sorgen, denn all meine Pressefotos zeigten mich mit Bart. Ich hatte Angst, es wäre zu früh, anders auszusehen, weil mich die Leute gerade erst kennenlernten. Aber dann wurde mir schlagartig bewusst: Ich bin ein Individuum. Als nicht-binäre Person habe ich das Recht, mich von diesen veralteten Ideen, was es heißt, ein*e Popmusiker*in und erfolgreich in dieser Branche zu sein, zu distanzieren.“
Tom Pashby erzählte mir, der Grad der gendervarianten Präsentation hängt vom Umfeld ab. „Wenn ich nicht arbeite, fällt es mir leichter, Klamotten und Make-up zu tragen, die zeigen, ich bin nicht-binär; die Arbeitskultur ist allerdings immer noch ziemlich konservativ. Wenn ich also Meetings im Parlament habe, fühle ich mich weniger unsicher, wenn ich nur dezent darauf hindeute, dass ich queer bin – mit blondierten Haaren oder lackierten Nägeln zum Beispiel.“
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Photo by Ayla Carli
Bei Aktivist*in, Sprecher*in und Trainer*in Jules Guaitamacchi ist es Teil des Jobs, Menschen, die nichts über nicht-binäre Personen wissen, aufzuklären: „Ich versuche permanent, mit dem Vorurteil aufzuräumen, die Geschlechtsidentität hänge mit der Geschlechtspräsentation, der Biologie oder der sexuellen Orientierung zusammen.“
Jules befindet sich gerade im Prozess der Geschlechtsumwandlung, sagt aber auch, das würde nichts ändern. „Die meisten nehmen an, ich wäre männlich, weil meine Geschlechtspräsentation maskulin ist. Es gibt viele nicht-binäre Personen, die als binär wahrgenommen werden, aber trotzdem stark an ihrer Genderidentität festhalten.“
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Jede nicht-binäre Person mit der ich gesprochen habe, erzählte mir, sie oder er hätte sich irgendwann mal verwirrt, durcheinander oder missverstanden gefühlt – oder sich dazu gezwungen gesehen, sich auf bestimmte Art und Weise zu präsentieren, um die eigene Identität zu “beweisen“. Non-binary zu sein ist ohnehin schon kräfteraubend. Es mag nicht wie eine große Sache wirken, aber kleine Aussagen oder Fragen, die implizieren, wir wären falsch, sorgen für noch mehr Frustration. Und glaub mir, davon haben wir bereits genug, denn wir leben in einer Welt, die nur widerwillig anerkennt, dass wir existieren.
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