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Sollte ich besorgt sein, weil mein Freund und ich keine gemeinsamen Fotos haben?

Foto: Eylul Aslan
Letztes Wochenende schickte ich einer sehr guten Freundin ein Bild von meinem Freund. Darauf sitzt er mit unserem Hund auf dem Schoß vor einer Bar. Sein Haar kräuselt sich über seinen Ohren, während er in ein Bierglas starrt. Ich fand, dass er darauf wirklich gut aussah. Im Schatten dieser hündischen Perfektion ist aber nur der Umriss meines Freundes zu sehen, denn unser geliebter Vierbeiner verdeckt sein Gesicht. Er ist eigentlich nur an seiner Mütze und seinem Arm erkennbar, den er um den Hund schlängelt, um das Getränk vor Geschlabber zu schützen.
Nichtsdestotrotz war meine Freundin hocherfreut darüber, einen handfesten (wenn auch nicht unwiderlegbaren) Beweis dafür zu erhalten, dass der Mann, für den ich zwischen Lockdown-Runden und nach nur einer Handvoll Begegnungen in natura das Land verlassen hatte, eine lebende, atmende Person ist und nicht bloß ein Hirngespinst von mir. „Das ist er also“, antwortete sie trocken. „Er existiert!“, schrieb ich nur halb scherzend zurück. Achtzehn Monate, nachdem wir uns kennengelernt haben, gibt es immer noch keine gemeinsamen Fotos von meinem Freund und mir; nicht ein Fitzelchen eines bildlichen Beweises – weder in unseren Handys, noch in den sozialen Medien, noch eingerahmt über dem Kamin –, um unsere jeweilige Existenz im Leben der anderen Person zu bestätigen.
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„Pics or it didn't happen“ (zu Deutsch: Fotos, oder es ist nicht passiert), heißt es oft. Zugegebenerweise: Das 21. Jahrhundert könnte sich auf viel schlimmere Weise beschreiben lassen. Zu gleichen Teilen Bedrohung und Mantra, abgerundet mit einem Spritzer Skepsis, könnte dieser Satz die perfekte Überschrift für ein Zeitalter der zwanghaften Dokumentation sein, in dem wir unsere Erfahrungen aufzeichnen und abspeichern, selbst wenn sie sich um uns herum entfalten. „Pics or it didn't happen!“, schreien wir und trommeln die gesamte Crew für eine Aufnahme auf der Tanzfläche zusammen, gerade als der Beat einsetzt und die Menge wild zu tanzen anfängt. „Pics or it didn't happen“, antworten wir auf eine Nachricht unserer besten Freundin, die voller Freude ihre Verlobung verkündet.
Das ist vielleicht unvermeidlich, da es in den sozialen Medien hauptsächlich um Bestätigung geht – und gibt es etwas, das unser Dasein noch mehr bestätigt, als jemand, der:die sich entscheidet, das Leben mit dir zu teilen? Instagram hat einen Ableger unseres Zwanges, alles festzuhalten, kultiviert, der im Wesentlichen eine Schritt-für-Schritt-Prozedur ist, um der Welt eine:n neue:n Partner:in vorzustellen. Heutzutage entscheiden sich Paare für gewöhnlich für einen Soft-Launch in den sozialen Medien. Sie teilen zuerst bloß Ausschnitte eines Pics mit anderen Usern: ein Ellbogen hier oder ein Detail eines Tattoos dort. Das komplette Bild gibt es erst dann zu sehen, wenn beide Personen sich einig sind, dass die Beziehung ernst genug ist, um sie auf Instagram offiziell bekanntzugeben. Dann bekommen wir endlich das vollständige Foto zu Gesicht.
Sollte ich mir deshalb Sorgen machen, dass mein Freund und ich keine gemeinsamen Fotos wie alle anderen haben? Beziehungsexpertin Cheryl Muir hat dazu Folgendes zu sagen: „Gemeinsame Fotos vermitteln Verbundenheit und Hingabe. Manche Paare genießen es, sie mit ihren anderen in ihren Kreisen zu teilen, während andere es vorziehen, das Ganze etwas privater zu halten. Der Schlüssel zum Erfolg ist es, sicherzustellen, dass Partner:innen die gleiche Einstellung zu(m Teilen von) Fotos haben.“ Das beruhigt mich etwas. Mein Freund und ich verhalten uns ähnlich, wenn es um soziale Medien und das Posten von Aufnahmen geht, da wir beide eher Beobachter:innen sind. Neben der gemeinsamen Vorliebe für Ananas auf unseren Pizzen ist es möglicherweise genau das, was uns als Pärchen zusammenhält.
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Denk aber daran: In dem Moment, in dem du alles fallen lässt, um einen Augenblick fotografisch festzuhalten, ist er zu Ende – zumindest für dich und vielleicht sogar verfrüht.

Ich kann aber ganz gut verstehen, dass es schön wäre, eine private Aufzeichnung unserer Beziehung zu haben, auf die wir zurückblicken können, wenn wir älter sind und unser Gedächtnis langsam nachlässt. Mit Mitte 30 und bereits schwerhörig verbringen wir jetzt schon die meiste Zeit unseres Tages damit, der anderen Person „Was? Was hast du gesagt?“ zuzurufen. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis wir uns irgendwann mit zugekniffenen Augen in der Küche überraschen und schreien: „Eindringling! Eindringling! Hau ab!“
Doch irgendetwas an dieser Logik – eine Art zukunftssichernde Denkweise – erscheint mir extrem unsexy. Nenn mich ruhig leichtsinnig, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich mich an die Schulter meines Freundes lehnen möchte, um einen besonders romantischen Sonnenuntergang zu genießen, um mich dann plötzlich auf die Suche nach meiner Kamera machen zu müssen.
Natürlich gibt es viele Menschen, die dem Thema gegenüber anders eingestellt sind. Cheryl erklärt, dass es auf unsere individuellen „Liebessprachen“ ankommt, die von Gary Chapman in seinem New York Times-Bestseller The 5 Love Languages: The Secret To Love That Lasts beschrieben werden. Sie fährt fort: „Wenn sich deine Liebessprache dadurch auszeichnet, dass du gerne eine schöne Zeit mit deiner besseren Hälfte verbringst, dann ist ein Foto, das diesen Moment einfängt, natürlich von unglaublicher Bedeutung für dich. Immerhin wirst du dich so für immer an diesen schönen Augenblick erinnern können.“
Denk aber daran: In dem Moment, in dem du alles fallen lässt, um einen Augenblick fotografisch festzuhalten, ist er zu Ende – zumindest für dich und vielleicht sogar verfrüht. Jedes Foto, das du anschließend machst, zeigt einen Augenblick, der bereits zu Ende ist. Möglicherweise hält das Foto auch einen ganz anderen Moment fest als den, an den du dich eigentlich erinnern wolltest. So wird dieser Augenblick zu einem, in dem du nicht mehr Teilnehmer:in, sondern nur noch Beobachter:in bist. Es ist, als ob du auf dem Videoband deines Lebens zuerst auf Pause und dann auf Play drückst und feststellst, dass deine Geschichte vorgespult wurde und du eine ganze Etappe verpasst hast. Ein Leben mit unvollendeten Szenen: Was für eine Art von Existenz ist das denn?
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Susan Sontag beschrieb dieses Dilemma 1973 in ihrem Essay Photography. „Mit Fotos lassen sich Erfahrungen bezeugen“, schrieb sie, „aber auch verweigern – indem wir sie in ein Bild, ein Souvenir, verwandeln.“ Eine angstgeplagte Frau Mitte 30, die sich über die Feinheiten ihres persönlichen Lebens auslässt, ist offensichtlich nicht das, was Sontag im Sinn hatte, als sie dieses kritische Werk verfasste. Ich vermute aber – und bitte hier um Nachsicht –, dass unser gemeinsamer Widerwille, uns gemeinsam ablichten zu lassen, kein Zeichen dafür ist, dass mein Freund und ich den Anblick des:der anderen nicht ertragen können, sondern eher eine Bestätigung dafür, dass es ziemlich gut zwischen uns läuft (danke der Nachfrage). Ich will nichts verallgemeinern, aber mir scheint, dass die große Mehrheit der Paare, die Soft-Launches auf Instagram bevorzugen, Anfang bis Mitte 20 sind. In diesem Alter dehnt sich die Zukunft endlos vor einem aus und hinter jeder Ecke lauert eine neue Erfahrung. Warum also nicht aus dem Rahmen springen, um ein Foto zu machen? Der nächste unglaublich schöne Augenblick kommt doch bestimmt gleich. Vielleicht zögert dieses (ziemlich viel ältere) Paar hier deshalb, Momente zu unterbrechen, um sie zu fotografisch festzuhalten, weil wir uns einig sind, dass der Schrank mit neuen Erfahrungen nicht mehr so voll ist, wie er einmal war. Was nützt es, etwas zu haben, um sich an die guten Zeiten zu erinnern, wenn du die guten Zeiten nicht auskostest, während sie gerade passieren?

Vielleicht sind wir nur ein paar egozentrische Hohlköpfe, denen es nicht gefällt, wie wir vor der Kamera aussehen.

Letztlich frage ich mich, ob wir vielleicht einfach Angst davor haben, die Messlatte für unsere Beziehung zu hoch zu legen. Es gibt eine Szene in Harry und Sally, in der Harry Sally erklärt, warum er seine Partner:innen nie zum Flughafen bringt: „Das ist für mich der eindeutige Beginn einer Partnerschaft. Dann entwickelt sich die Sache weiter und irgendwann begleite ich die andere Person nicht nicht mehr zum Flughafen. Ich wollte einfach verhindern, dass mich jemand jemals fragt: ‚Wieso kommst du nicht mehr zum Flughafen mit?‘“ Das ist zugegebenermaßen eine zynische Haltung und Harry begreift schließlich, wie beschränkend diese Denkweise ist. Doch ich glaube, dass das eine sehr reale Angst anspricht, die viele von uns haben, nämlich den Funken in unseren Beziehungen zu verlieren, sobald wir die sogenannte Flitterwochenphase hinter uns haben. Wenn wir uns gemeinsam fotografieren, heben wir einen bestimmten Moment hervor – für gewöhnlich einen glücklichen Moment. Verurteilen wir uns damit zu einem Leben, in dem wir versuchen, dem Moment gerecht zu werden, in dem wir vollkommen glücklich waren? Ein ganzes Leben, ohne uns je wieder gegenseitig zum Flughafen zu begleiten?
Vielleicht ist das Ganze aber auch nicht so tiefgründig. Vielleicht sind wir nur ein paar egozentrische Hohlköpfe, denen es nicht gefällt, wie wir vor der Kamera aussehen. Vielleicht sind wir faul. Vielleicht haben wir dieses Jahr wegen der Pandemie einfach nichts unternommen, was es sich zu fotografieren lohnt. Wenn wir das nächste Mal in die Kneipe gehen, richten wir vielleicht die Kamera auf uns selbst und finden es heraus. Ich frage mich, ob unser Hund weiß, wie man ein Smartphone bedient…
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