Wenn man die Fotografien von Petra Collins betrachtet, fühlt es sich an, als stünde man an einem heißen Sommertag vor einem Ofen. Ihre Bilder strömen eine Hitze aus, die uns an unsere frühe Teenagerzeit erinnert: All die widersprüchlichen Emotionen, die in unserem Kopf herumwirbeln, die Angst, Aufregung und Verwirrung, die von unserer aufkeimenden Sexualität ausgeht und die Frage, wo eigentlich unser Platz in dieser Welt sein soll. Dass ihre Bilder solche Erinnerung hervorrufen, hat mehrere Gründe. Oft sieht man darauf junge Menschen, die in warmem, farbigem Licht baden, was sie so wirken lässt, als würden sie sich in einer anderen Welt befinden und gleichzeitig vor den Leuchtreklamen mitten in der Großstadt stehen und darauf warten, dass ihr Leben beginnt. Petra Collins war außerdem selbst noch ein Teenager, als sie mit dem Fotografieren anfing. Dabei schaut die Künstlerin nicht in die Vergangenheit oder verklärt ihre Anfänge in einer nostalgischen Schwelgerei. Vielmehr möchte sie seit Anbeginn ihrer Karriere die Dinge um sich herum so darstellen, wie sie selbst sie sieht und fühlt.
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Zur Fotografie kam Collins, nachdem sie das Tanzen nach einer Verletzung aufgeben musste und „eine Beschäftigung“ suchte. Mittlerweile zählt sie, auch wegen des starken Wiedererkennungswertes ihrer Handschrift, zu den einflussreichsten Künstler*innen ihrer Generation. Ihre Arbeit beschränkt sich mittlerweile schon lange nicht mehr auf Fotos: Sie hat für das MoMA Performancekunst kuratiert, bei Musikvideos für Carly Rae Jepsen, Lil Yachty und Selena Gomez Regie geführt und eine Gucci-Kampagne entworfen, in der sie auch selbst zu sehen war. Vor genau einem Jahr wurde ihr Buch Coming of Age veröffentlicht. Es enthält eine Sammlung einiger ihrer frühen Arbeiten und neben einem Essay, das Collins selbst verfasst hat, auch eines der Künstlerin Laurie Simmons sowie ein Gespräch zwischen Collins und der Künstlerin Marilyn Minter. Mit dieser Konversation sichert sich Collins nicht nur einen festen Platz in der ersten Riege feministischer Künstlerinnen, sondern auch in der Ruhmeshalle aktueller Kunstschaffender.
Ihr Erfolg ist kein Zufall. Bei allen Pastelltönen in ihrer Arbeit, die mittlerweile auf Social Media omnipräsent sind, sind ihre Bilder durchaus ernst – und sie eine Künstlerin, mit der gerechnet werden muss. Zu Refinery29 sagte Collins: „Ich wusste zunächst nicht so recht, wohin es mit diesem Buch gehen sollte. Aber mir war aufgefallen, dass ich meine künstlerische Vergangenheit bisher nie so veröffentlicht hatte, dass sie greifbar ist. Deswegen war es mir wichtig, einen Ort zu schaffen, an dem ich meine Geschichte zusammenhängend erzählen konnte. Nicht nur, um diese Lebensphase abzuschließen, sondern auch, um den Leuten ein bisschen Hintergrundwissen zu geben, damit sie meine Bilder in einen Kontext setzen können. Ich wollte erzählen, wieso ich die Fotos auf diese Weise schieße und wieso ich so arbeite, wie ich es tue.“
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Collins, die in der kanadischen Stadt Ontario als Tochter ungarischer Eltern aufgewachsen ist, hatte schon früh in ihrem Leben mit psychischen Problemen zu kämpfen. In dem Essay, das sie in ihrem Buch veröffentlicht hat, schreibt sie darüber. Der gnadenlos ehrliche Ton, den sie anschlägt, ist, zusammen mit den dazu publizierten Familienfotos aus ihrer Kindheit, der Grund dafür, dass eine intime Atmosphäre aufgebaut wird, die sich durch das gesamte Buch zieht. Diese Intimität findet sich auch in ihrer Arbeit wieder. Natürlich sind ihre Bilder schön, trotzdem sind sie mit einer Melancholie überzogen, die oftmals die Gefühle der Fotografin widerspiegeln.
„Ich dachte nicht, dass ich meine Familienfotos in dem Buch abdrucken würde. Aber durch sie ist mir sehr viel über mich selbst bewusst geworden. Ich fand das spannendste an der Arbeit an diesem Buch war, zu sehen wie sich meine Gedanken entwickeln, wie ich über mich selbst und über andere Frauen denke. Als ich angefangen habe, zu fotografieren, waren meine Bilder sehr gewalttätig und düster, weil ich früher nicht so recht wusste, wie ich andere Frauen darstellen kann, ohne sie dabei auszunutzen.“
Sich selbst und andere junge Frauen so darzustellen, wie sie sind, war, und ist heute noch, eine der Hauptantriebsfedern ihrer Arbeit. Sie hatte schon früh eine Sammlung von Bildern des Künstlers Ryan McGinley in einer Ausgabe der Vice entdeckt, und war tief beeindruckt davon gewesen, wie er es schaffte, nackte Körper so darzustellen, dass sie nicht sexuell wirkten. Sein Einfluss auf ihr Werk wurde noch deutlicher, nachdem sie in einer seiner Serien als Modell aufgetaucht war.
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„Diese Serie war entscheidend für mich, denn sie kam zu einem Zeitpunkt, an dem ich so unsicher und rücksichtslos mit meinem eigenen Körper war. Ich hasste es, angesehen zu werden und gleichermaßen hasste ich es, nicht angesehen zu werden. Auf den Bildern war ich komplett nackt, aber nicht sexualisiert. Und ich konnte ein Teil der Bilder sein, die ich liebte. Ich erkannte, dass ich nicht in irgendwas gefangen sein musste, das ich nicht wollte. Schlussendlich hat diese Erfahrung dazu geführt, dass ich nach New York gezogen bin. Mir wurde bewusst, was Kunst und Fotografie gerade auch bei der Person, die portraitiert wird, auslösen kann.“
Diese Erfahrung ermutigte Collins, ihrer neuen Obsession nachzugehen. Sie gründete The Ardorous, ein Kollektiv weiblicher Fotografinnen und Künstlerinnen, weil sie „es leid war“, wie sie selbst behandelt wurde. „Ich wollte eine Gemeinschaft bilden, weil ich eh schon mit den Arbeiten dieser Frauen verbunden war und ihren Prozess verfolgte.“ Außerdem erinnert sie sich an ihre Teenagerzeit. „Ich musste auf eine alternative Schule gehen, weil ich durch mein letztes High School Jahr gefallen war. Dort hatte ich eine Lehrerin, Pamela, die mich dazu ermutigte, während der Schulzeit meiner eigenen Arbeit nachzugehen. Das war sehr cool. Einen solch positiven weiblichen Einfluss in meinem Leben zu haben war wichtig für mich, weil es mir zeigte, wozu ich fähig war.“
Collins’ Erfolg kam zur gleichen Zeit, in der der Feminismus den Mainstream erreichte. Es wurde salonfähig, über den male gaze, also die männliche Sichtweise auf Frauen, zu sprechen, und ihr den female gaze entgegenzusetzen. Wenn man sich die jungen Künstlerinnen anschaut, die die weibliche Perspektive auf andere Frauen in ihre Arbeit einbinden, ist Collins’ Einfluss auf sie unschwer zu erkennen. Tatsächlich sind viele der heutigen Werke ohne ihre frühen Fotografien, die Tavi Gevinson in ihrem Rookie Magazine veröffentlichte, kaum vorstellbar. Collins sieht diese Evolution jedoch nicht nur positiv.
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„Ich versuche, nicht in diese eine Schublade gesteckt zu werden. Natürlich ist es wichtig, in der Fotografie verschiedene Perspektiven darzustellen. Aber das bedeutet doch nicht zwangsläufig, dass aus einer Perspektive ein ganzes Genre werden muss.“ Man merkt ihr an, dass sie eine sehr starke Meinung zu diesem Thema hat. „Mir gefällt einfach nicht, dass der female gaze so gegendert ist und mittlerweile quasi erwartet wird. Ich sehe zum Beispiel aktuell jede Menge Artikel, in denen es hauptsächlich darum geht, dass Fotografinnen jetzt die weibliche Perspektive zeigen. Da denke ich mir: Nein, ich mache Fotos. Nur weil ich eine Frau bin, muss man mir nicht dieses Label aufzwängen."
Dieses Label ist ein Effekt der Kommerzialisierung des Feminismus, und Petra Collins ist sich dessen mehr als bewusst. „Ich persönlich fände es besser, wenn die gesamte Kunstlandschaft sich ändern würde, sodass etwas Inklusives entsteht. Wenn ich beispielsweise engagiert werde, um Fotos zu machen, liegt der Fokus darauf, dass ich eine weibliche Fotografin bin. Wenn ich eine Kampagne fotografiere, wollen sie es als etwas anderes als eine Kampagne verkaufen und zum Beispiel sagen, es sei eine „Story“ von mir. Als ob es keine Kampagne sei.“ Um es kurz zu machen: Collins hat gar keine Lust, die billigen Marketingmaschen irgendwelcher Brands mit ihrem Namen zu unterstützen.
Bisher hat sie Glück gehabt, dass sogar ihre kommerziellsten Projekte stets ihre persönliche Handschrift getragen haben. Insbesondere ihre Arbeit für Gucci, für die sie nach Budapest flog um ihre Cousinen und Großmutter zu fotografieren. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass die Bilder so aussehen würden, wie sie schlussendlich geworden sind. [Dass sie so besonders sind,] lag an der Verbindung, die wir alle miteinander haben. Wie sie in die Kamera sehen, mich ansehen, den Betrachter ansehen, zerreißt einem das Herz. Sie sehen aus wie Heilige, und das hätte ich unmöglich vorher planen können. Es ist einfach wunderschön, wie wohl sie sich vor der Kamera fühlen und wie viele Emotionen sie in das Shooting gesteckt haben.“
Am Ende geht es bei Petra Collins um Liebe. Ihre Liebe zur Fotografie, zu ihrer Familie und dazu, mehr inklusive Orte zu schaffen, hat dafür gesorgt, dass sie immer weitergemacht hat. An ihre Anfänge erinnert sie sich bescheiden: „Ich habe nie gedacht: Oh, ich bin gut, die Fotos sind toll! Es ging mehr darum, auszuprobieren. Ich habe einfach gemacht, was ich gerne mache. Wahrscheinlich bin ich irgendwie davon ausgegangen, dass das schon ganz gut ist, was ich da mache, aber ich habe nie zu mir selbst gesagt: Oh mein Gott, meine Fotos sind großartig!“ Der Rest der Welt ist da ganz offensichtlich anderer Meinung.
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