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Es regt mich auf, dass meine Freund:innen nonstop am Handy hängen

Foto: Eylul Aslan.
Stell dir vor: Du sitzt abends mit einer Freundin in einer Rooftop-Bar, als sie dir sagt, wie schön die untergehende Sonne dein Gesicht beleuchtet. Also greift sie zu ihrem Handy, um schnell ein Foto von dir zu machen.
Bevor sie es aber überhaupt entsperrt hat, sieht sie auf dem Display die Nachricht von ihrem Freund und eine DM von einer anderen Freundin, neben ein paar E-Mails und einem verpassten Anruf von ihrer Mutter. „Sorry, gib mir kurz ’ne Sekunde“, murmelt sie, während ihr Blick aufmerksam über ihren Bildschirm wandert.
Vielleicht bist du in diesem Moment ein bisschen genervt, vielleicht auch enttäuscht, weil du ihr eigentlich gerade was Wichtiges erzählen wolltest. Und trotzdem bittest du sie nicht darum, ihr Handy beiseitezulegen. Stattdessen sagst du… gar nichts.
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Was ist „Phubbing“? 

Für diese Situation gibt es tatsächlich einen Namen: „Phubbing“, eine Kombination aus den englischen Worten „phone“ und „snubbing“ – es bedeutet also quasi „jemanden für das Handy abblitzen lassen“. Den Begriff erfand schon 2012 die Werbeagentur McCann. Phubbing ist definitiv unhöflich, aber leider angesichts der wichtigen Rolle unserer Handys in unserem Leben nicht überraschend. 
„Weil Apps eben so entwickelt werden, dass sie uns dauernd Benachrichtigungen schicken können, kann es uns schwer fallen, unser Handy nicht immer wieder in die Hand zu nehmen“, erklärt Dr. Catherine Talbot, Cyberpsychologin und Dozentin für Psychologie an der Bournemouth University. „Manchmal fällt es uns vielleicht nicht mal auf, dass wir jemanden ‚phubben‘, weil wir es so gewohnt sind, Zeit am Handy zu verbringen.“
Phubbing siehst du überall, und es hat – wer hätte es geahnt? – negative Konsequenzen: Eine türkische Studie ergab vor Kurzem, dass sich Phubbing negativ auf romantische Langzeitbeziehungen auswirken kann. Das dürfte wohl niemanden überraschen.

Warum fällt es uns so schwer, Phubbing zu kritisieren?

Merkwürdig ist aber doch, wie wenige von uns das Phubbing tatsächlich ansprechen, wenn es uns passiert. In einem Artikel in der New York Times schreibt der Psychologe Anthony Chambers, er „arbeite regelmäßig mit Paaren, in denen das Phubbing-Verhalten so lange totgeschwiegen wurde, bis es zu einem großen Problem wurde“. Ich verstehe das total: Ich hasse es, wenn sich mein Gegenüber lieber mit dem Handy als mit mir zu beschäftigen scheint – und fühle mich dabei gleichzeitig unwichtig und wütend –, aber die Vorstellung, jemanden (abgesehen von meinen nächsten Verwandten vielleicht) dazu aufzufordern, das Handy wegzulegen, ist mir dann doch extrem unangenehm. 
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Warum zögere ich dabei so? Das hat vermutlich mit der Angst davor zu tun, als Heuchlerin zu gelten. Wie Talbot erklärt: „Viele Menschen nehmen ihr Handy mit guten Absichten in die Hand. Es ist aber sehr leicht, sich von Benachrichtigungen oder anderen Apps ablenken zu lassen.“ Ich selbst habe auch schon oft mein Handy rausgeholt, um ein Foto von meinem Freund zu machen oder einer Freundin etwas Interessantes zu zeigen – und wurde dann selbst von den ganzen Benachrichtigungen abgelenkt.
Ich bin mit meinen Erfahrungen nicht allein. Auch die 27-jährige Phoebe hat eine tiefe Abneigung gegen Phubbing. „Ich hasse es, wenn andere bei unseren Treffen nonstop am Handy hängen“, erzählt sie. Wie auch ich fällt es ihr aber „sehr schwer“, ihr Gegenüber darum zu bitten, das Handy wegzulegen.
„Ich habe das Gefühl, dazu einfach kein Recht zu haben“, gibt sie zu. „Ich selbst habe mich ja auch schon so verhalten – öfter, als ich zugeben würde. Ich habe ein Online-Business, und kommuniziere oft mit Leuten in anderen Zeitzonen. Deswegen muss ich häufig auf irgendwas Dringendes reagieren, wenn ich zum Beispiel um 21 Uhr mit Freund:innen im Restaurant sitze. Dann öffne ich aber auch eine andere App, um die Benachrichtigungen zu checken, und merke erst nach einer Weile, was ich da mache. Ich könnte also nie einem Freund oder einer Freundin sagen, dass es mich stört, wenn er oder sie bei unseren Treffen dauernd aufs Handy guckt, weil ich es eben auch mache.“
„Es gibt viele Gründe dafür, warum es uns schwer fallen kann, das Phubbing zu kritisieren“, meint auch Dr. Talbot. „Manchmal fürchten wir uns vor einem Streit, oder wir glauben, unser Gegenüber müsse wohl einfach was Wichtiges am Handy machen. Oder vielleicht zögern wir davor, das Thema anzusprechen, weil Phubbing eben als gesellschaftlich akzeptabel gilt.“
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Und das ergibt auch alles Sinn. Paula Cocozza, Autorin und Redakteurin beim britischen Guardian, findet es ebenfalls sehr schwer, jemanden direkt aufs Phubbing anzusprechen. Sie hat dieses Jahr sogar einen Roman darüber geschrieben: In Speak to Megeht es um die 50-jährige Protagonistin Susan, deren Ehemann Kurt einfach nicht von seinem Handy aufblicken kann.
„Das ist nicht so, als könntest du ein Gespräch unterbrechen“, erzählt Cocozza. „Die Person mit dem Handy ist in eurem geteilten Raum mit einer privaten Sache beschäftigt, und du kannst nie wissen, wann ein guter oder schlechter Moment wäre, um die Person anzusprechen – oder ob es überhaupt okay ist, sie anzusprechen.“

Kann ich jemanden dazu auffordern, das Handy wegzulegen?

„Niemand will gerne als ‚schwierig‘ oder als ‚Jammerlappen‘ abgestempelt werden. Das kann dafür sorgen, dass du dich nicht traust, was zu sagen“, sagt die Online-Therapeutin Georgina Sturmer. „Es kann umso schwerer sein, wenn du es gern allen recht machst oder Angst davor hast, dich unbeliebt zu machen oder euch in eine peinliche Situation zu bringen.“
Dann wäre da aber noch die Sorge davor, dass dich jemand „phubbt“, weil er oder sie etwas Wichtiges am Handy zu erledigen hat. Das kann sich dann oft so anfühlen, als seist du weniger wichtig. Vielleicht denkst du dann: Für wen halte ich mich eigentlich, dass ich jemandem verbiete, auf eine superwichtige Arbeits-Mail zu antworten, nur damit ich ihm oder ihr von meinem Tag erzählen kann? „Hast du das Gefühl, jemandes ungeteilte Aufmerksamkeit wert zu sein?“, fragt Sturmer. „Wenn es dir an Selbstbewusstsein fehlt, kann es schwer sein, diese Aufmerksamkeit auch einzufordern.“
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Letztlich liegt unsere Angst davor, Phubbing anzusprechen, wenn wir es beobachten, meiner Meinung nach aber vor allem an Dr. Talbots dritter Theorie: der, dass Phubbing inzwischen als gesellschaftlich akzeptabel gilt. Jemanden 2023 aufzufordern, dich und nicht das Handy anzugucken, fühlt sich naiv und veraltet an, und – obwohl es das nicht sollte – auch irgendwie uncool.
Dabei ist es natürlich nicht „veraltet“, die volle Aufmerksamkeit deines Gegenübers zu erwarten, die du ihm ja deinerseits auch entgegenbringst. Es ist auch nicht selbstverliebt, jemanden darum zu bitten, eine E-Mail erst nach eurem Treffen zu beantworten. Und du solltest dich auch nicht davor fürchten müssen, jemanden zu verärgern, weil du diese Person dazu aufforderst, nicht unhöflich zu dir zu sein.
Und was das Gefühl angeht, heuchlerisch zu sein, das Phoebe ansprach, wenn du bei Treffen mit Freund:innen selbst auch gelegentlich einen längeren Blick aufs Handy wirfst: Allein deswegen, weil du auch ab und an „phubbst“, ist dasselbe Verhalten bei deinem Gegenüber nicht automatisch in Ordnung. „Jedes Mal, wenn ich das Thema halb als Witz angesprochen habe, kommt meistens was à la ‚Machst du doch auch!‘ zurück – und das stimmt natürlich“, meint Phoebe. „Darauf habe ich dann meistens keine Antwort. Ich finde aber, das ist eindeutig ein Hinweis darauf, dass wir alle besser darin werden sollten, in Gesellschaft unsere Handys wegzulegen.“
Natürlich sind unsere Handys eine tolle Erfindung, und manchmal ist das Phubbing auch völlig gerechtfertigt – zum Beispiel, wenn du auf Neuigkeiten von einem kranken Verwandten wartest, oder es auf Arbeit gerade eine (echte) Krise gibt. Wenn wir aber mal davon ausgehen, dass der Grund für das Phubbing nichts Dringendes ist, und du dich dadurch vielleicht einsam oder ignoriert fühlst, kannst du deine Gefühle vielleicht am besten mitteilen, indem du mit gutem Beispiel vorangehst und selbst darauf verzichtest, aufs Handy zu schauen. So fühlst du dich weder heuchlerisch, noch machst du deinem Gegenüber ein schlechtes Gewissen (immerhin sollen uns unsere Handys süchtig machen – das kannst du deinen Freund:innen schlecht vorwerfen!). 
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„Es ist wichtig, dass wir das Verhalten zeigen, das wir uns auch von anderen erhoffen“, meint Sturmer. „Wenn du willst, dass andere ihr Handy weglegen, leg dein eigenes weg. Betone vielleicht lieber das Positive, anstatt zu kritisieren“, fährt sie fort. „Anstatt über Leute zu jammern, die immer am Handy hängen, sprich doch darüber, wie schön du es findest, auch mal eine Technikpause einzulegen.“
In ihrem Buch How to Break Up With Your Phone liefert die Wissenschaftsjournalistin Catherine Price noch einen weiteren Vorschlag: „Wenn du mit jemandem unterwegs bist, behalte dein Handy in der Tasche und bitte dein Gegenüber gezielt um Erlaubnis, bevor du einen Blick drauf wirfst“, schreibt sie. „Das ist dann deine Gelegenheit, der Person zu erklären, dass du um Erlaubnis bittest, um niemanden zu ‚phubben‘.“
Und wenn du gern etwas direkter bist: „Manche finden es hilfreich, klare Grenzen zum Handygebrauch in bestimmten Situationen zu ziehen – zum Beispiel bei Zeit mit der Familie“, meint Dr. Talbot.
Letztlich ist es immer schwer, Phubbing offen anzusprechen. Mir selbst werden die Worte „Kannst du dein Handy bitte weglegen?“ jedenfalls nie über die Lippen gehen. Du kannst aber sehr wohl etwas dafür unternehmen, einer Phubbing-freieren Realität einen Schritt näher zu kommen. Die Mühe ist es wert, schreibt auch Catherine Price: „Dein Handy sollte deine Interaktionen ergänzen, anstatt sie zu schmälern.“ 
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