Wenn es etwas gibt, worauf wir uns verlassen können, dann darauf, dass uns die sozialen Medien wirklich immer mit neuer Inspiration versorgen werden – selbst während einer globalen Pandemie! Und einer der coolsten Trends des Sommers ist meiner Meinung nach das Revival des Skater-Girl-Looks aus den 70ern – inklusive der passenden oldschool Rollschuhe, versteht sich. Vielleicht besitzt du ja sogar selbst ein Paar. Vielleicht träumst du nur davon, wieder die ungehemmte Freude zu spüren, an die du dich noch aus deiner Kindheit beim Rollschuhfahren auf der Straße mit deinen Freund*innen erinnerst. Wenn Letzteres bei dir der Fall ist, rate ich dir, dir so schnell es geht ein fancy Paar zuzulegen und die heißen Tage zu nutzen, um die Kunst des Rollschuhlfahrens zu erlernen.
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Inmitten der Zeit des Social Distancings, einer ungewissen Zukunft und der allgemeinen globalen Angst darüber, wohin uns diese Pandemie führen wird, haben viele von uns in nostalgischen Träumen Trost gesucht – und so entdeckten einige die Liebe zum Rollschuhfahren wieder. Weltweit hat sich die Google-Suche nach dieser Sportart zwischen März und Mai mehr als verdoppelt, und Pariss Cozier, Marketing Executive bei Rookie Rollerskates, einer der ältesten Rollschuh-Brands in Großbritannien, erklärt, dass sie „einen signifikanten Zuwachs an Verkäufen erlebt haben“. Dass Rollschuhe diesen Sommer so ein Hit sind, liegt unter anderem auch an TikTok, da sowohl Anfänger*innen als auch Profis die Plattform nutzen, um auf leeren Parkplätzen auf der ganzen Welt ihr Können zu zeigen.
„Ich skate seit fünf Monaten, und wie die meisten anderen neuen Rollschuhenthusiasten hat mich TikTok dazu inspiriert“, sagt die in Kalifornien lebende Marician Dedeaux Brown, deren Beiträge in der App bis zu 400.000 Likes haben. „Dank des Lockdowns konnten wir die meiste Zeit nur zu Hause oder in der Natur verbringen. Und an der frischen Luft konnten die angestauten Gefühle, die wir alle im Lockdown verspüren, wenigstens gelindert werden“. Maricians Feed ist vollgepackt mit verträumten, lichtdurchfluteten Videos, in denen sie in kurzen Shorts und sonnengelben Tops über verlassene Basketballplätze gleitet.
Auch in London ist der Rollschuh-Trend angekommen. Dort zeigt die R29-Journalistin Jessica Morgan ihr Talent auf den Asphalt. „Ich habe meine Skates vor drei Wochen gekauft, nachdem ich auf Social Media viele Videos von jungen Skater*innen gesehen habe“, sagt sie. „Es sah einfach so cool und – ich wage zu behaupten – einfach, also dachte ich mir: Warum nicht? Auch die Bestsellerautorin Candice Brathwaite stand vor Kurzem zum ersten Mal auf Rollschuhen. Mit einem Foto ihrer Bubblegum Pink Rookies berichtet sie ihren 191.000 Instagram-Follower*innen in coolen Posts von ihren Fortschritten.
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Für diejenigen, die mit dem Skate-Wahn noch nicht vertraut sind, mag sich der Boom in Sachen Rollschuhlaufen wie ein Throwback anfühlen, der im Lockdown aus dem Nichts aufgekommen zu sein scheint, aber erfahrene Profis werden dir bestätigen, dass das Hobby schon immer beliebt war. Rollschuhe gibt es seit den 1760er Jahren. Damals, so heißt es, befestigte der belgische Erfinder John Joseph Merlin an jedem seiner Schuhe zwei Räder und fuhr damit zu einer Dinnerparty. Unterwegs dahin soll er dabei gegen einen Ganzkörperspiegel gekracht sein. Hundert Jahre später erleichterte der amerikanische Erfinder James Leonard Plimpton die ganze Angelegenheit erheblich, indem er Rollschuhe mit jeweils vier Rädern patentierte, die sich einfach durch die Neigung nach links oder rechts lenken ließen. Um die Jahrhundertwende florierten dann die Rollschuhbahnen – sowohl in den USA als auch in praktisch jeder größeren Stadt in Europa. Und so wurde der Sport zu einem wichtigen Zeitvertreib für Erwachsene und Kinder gleichermaßen.
Doch die Geschichte der Rollschuhe hat nicht nur schöne Szenen lächelnder Familien, die gemeinsam skaten, zu bieten. Das Rollschuhlaufen hat eine bewegte Vergangenheit. Das wurde 2018 in United Skates, einer Storyville-Doku von Tina Brown und Dyana Winkler unter der Regie von Tina Brown und Dyana Winkler und der Produktion von John Legend deutlich. Der Film ist ein Liebesbrief an den Sport und zeigt, wie das Skaten der Schwarzen Community in den Vereinigten Staaten über fast 100 Jahre hinweg eine gesellschaftliche Stütze bot. Dazu gibt es atemberaubendes Filmmaterial von Skater*innen, die beim Skate Jamz unvergleichliche Styles präsentierten. Die Sprecher*innen von Coolio und Salt-N-Pepa betonen auch die musikalische Bedeutung von Rollschuhbahnen: Rapper*innen und Hip-Hop-Künstler*innen, die vom Mainstream-Radio und MTV gemieden wurden, darunter Queen Latifah, Dr. Dre und Eazy-E, haben sich auf Rollschuhbahnen wie dem LA Skateland einen Namen gemacht. Der Film zeigt auch, dass Style und Rollschuhlaufen untrennbar miteinander verbunden sind: Die Menschen fingen sogar an, Metallbügel und Rollen an ihre maßgefertigten Sport- und Alltagsschuhe, wie Timberlands, Air Jordans oder Converse zu befestigen. Laut Cassandra Napoli, Digitalmedien- und Marketingstrategin beim Trendprognostiker WGSN, haben TikTok-Skater*innen diesen DIY-Stil heute aufgegriffen.
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Die Doku zeigt zwar einerseits, wie atemberaubend die Rollschuhszene ist, andererseits macht sie aber auch die direkten Zusammenhang zwischen Rassismus und der raschen Schließung von Rollschuhbahnen in den USA deutlich. Während der Rassentrennung war die Schwarze Bevölkerung auf den Bahnen nicht willkommen – Klansmänner begegneten Protestierenden, die für ihr Recht auf das Rollschuhfahren kämpften, mit Gewalt. Während der 1950er und 60er Jahre weigerten sich viele Weiße, gemeinsam mit Schwarzen Menschen auf einer Bahn Rollschuh zu fahren, so dass die Leiter*innen mit extrem verschlüsselten Begriffen spezielle Abende für Schwarze bereitstellten und die hatten interessante Namen: Martin Luther King Jr. Night, Soul Night und Gospel Night waren sehr beliebt, aber Adult Night blieb hängen und wird heute noch landesweit verwendet. Diese Diskriminierung war nur eine weitere Möglichkeit, die Gesellschaft zu spalten, aber in den 70er und 80er Jahren blühte die afroamerikanische Kultur in diesen hart erkämpften Räumen auf, und das Jam-, Hip-Hop- und Rhythmus-Rollschuhlaufen, das aus dieser Szene hervorging, führte zu überwältigenden regionalen Rollschuh-Tanzstilen, die bis heute einen enormen Einfluss haben. Obwohl Rollschuhbahnen Schwarzen in ganz Amerika Freude und sichere Räume bieten, berichtet United Skates traurigerweise auch darüber, wie die Szene durch rassistisch motivierte Polizeipräsenz, Kleidungs- und Musikbeschränkungen und steigende Mietpreise bedroht wird.
Dennoch gibt es Hoffnung. Der Aktivismus in der Skate-Gemeinschaft ist nach wie vor lebendig. Cassandra stimmt dem zu und erklärt, dass sich während der jüngsten Black Lives Matter-Proteste in LA „Skateboarder*innen und Rollschuhfahrer*innen zu einem Protest zusammenschlossen, der von der Gruppe Skate For Justice angeführt wurde, deren Hashtag auf TikTok immer mehr an Fahrt gewinnt“. Und wie der Lockdown und der weltweite Anstieg der Skate-Verkäufe bewiesen haben, wurde eine neue Generation auf acht Rollen ins Leben gerufen. „Während wir in den letzten Monaten drinnen festsaßen, sorgten die Rollschuh-Posts für eine Atempause von der Monotonie des Alltags“, sagt sie. „Zu sehen, wie die Skate-Influencer*innen auf TikTok frei über den Bürgersteig gleiten, war wie eine willkommene Flucht aus der gegenwärtigen harten Realität, die wir in unseren beengten Wohnungen ertragen mussten.“
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Wahrscheinlich war die in Berlin lebende Oumi Janta der Einfluss, der das Rollschuhfahren wieder auf dein Radar gebracht hat. Ihr Video, das inzwischen mehr als 2 Millionen Aufrufe auf Instagram hat, hat das Internet im Sturm erobert, und das aus gutem Grund: Wer würde nicht auch gerne einen von den 70er Jahren inspirierten gelben Trainingsanzug tragen, während man in der Abenddämmerung auf Rädern zu etwas vibey House-Musik jammt? Oumi ließ das Rollschuhfahren täuschend einfach aussehen, gleichzeitig gab sie uns aber auch einen Einblick in ein sorgenfreies Leben. Ist das nicht genau das, was wir jetzt brauchen? Oumi, die vor sechs Jahren zum ersten Mal in Rollschuhe schlüpfte, sagt, dass diese Freude der Grund dafür ist, dass sie an diesem Sport so festhält. „Es macht so viel Spaß, dass du gar nicht merkst, dass es ein Sport ist“, sagt sie mir. „Es sieht leicht aus, aber es ist verdammt schwer. Aber wenn du Rollschuhfahrer*in bist, ist es, als wärst du auf Drogen; du machst einfach Platz, denkst nicht an die schlechten Dinge und erfreust dich genau an diesem einen Moment.“
Diese viralen Videos sind der Schlüssel für unser gewecktes Interesse an diesem Sport, aber wir dürfen die Bedeutung der Ästhetik nicht übersehen. Oumis Vorliebe für Crop-Tops, Hemden, die an der Taille gebunden sind, Retro-Running-Shorts und Tennissocken ist komplett im Sinne des Roller-Girl-Stils, der seine Wurzeln in den 1970er Jahren und in der kalifornischen Strandkultur hat. Cassandra sagt: „Zu den wichtigsten Einflüssen gehört eine Kombination aus Strand-, Sport- und Disco-Vibes, wobei zu den Key-Pieces Retro-Jogginghosen, Denim- und Schlaghosen, Jumpsuits, gehäkelte Neckholder-Tops, Bikini-Tops und gestreifte Socken gehören, die aus den Rollschuhen hervorschauen. Um das nostalgische Gefühl noch zu verstärken, werden die Looks mit Gürteltaschen und Scrunchies aufgepeppt. Es geht um Mode, in der du dich leicht bewegen kannst, die bequem und atmungsaktiv und in vielen Fällen auffällig genug ist, um in einem Meer von Skater*innen in den sozialen Medien aufzufallen.“ Da viele der besten Moves der Szene in Rollschuhbahnen zu den Klängen von Disco, Funk und Soul der 1970er Jahre geformt wurden, ist es kein Wunder, dass die Rollschuh-Ästhetik in der Zeit eingefroren ist. „Die Nostalgie der 70er Jahre ist deshalb so stark, weil diese Ära eine so einzigartige Zeit war, in der der Groove wirklich den Weg in den Mainstream gefunden hat“, sagt Skate-Fan Toni Nicole. „Du ziehst das an, was dir gefällt – es ist diese Unbeschwertheit, die andere so anziehend finden.“
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Diese ultracoole Ästhetik der 70er Jahre ist der Hauptgrund dafür, dass Ana Cotos virales Skating-Video das Internet begeistert: 2,2 Millionen Menschen haben ihr auf auf TikTok inzwischen zugesehen, wie sie bei Sonnenuntergang in High-waist-Hose, einem an der Taille gebundenen Slogan-T-Shirt, Hoop-Ohrringen und getönter Sonnenbrille einen Boulevard entlang skatet. Wieder einmal hat das Rollschuhfahren eine Frau ins Rampenlicht gerückt, die angesichts all der Probleme in diesem Jahr, das Beste aus dem Sommer 2020 macht. „Rollschuhfahren ist meiner Meinung nach fantastisch für Körper und Geist“, sagt sie mir. „Es bietet eine Flucht. Einen sicheren Raum. Eine Gemeinschaft.“ Ana sagt, sie habe sogar ihren „Liebeskummer auf der Rollschuhbahn überwunden und sich auch dort neu verliebt“ – etwas, das Shove, die seit drei Jahren Rollschuh läuft, auch passiert ist. Shove teilt ihre Passion mit ihren 42.000 Followern auf Instagram und meint, dass dieser Sport ihr nach einer toxischen Beziehung das Leben gerettet hat. Zwar hat auch sie einige atemberaubende, von den 70er Jahren inspirierte Outfits, aber es sind vor allem ihre helleren, frecheren Outfits, die ihr Publikum in ihren Bann gezogen haben – angefangen von Shorties mit Regenbogenstreifen und Leomuster bis hin zu Bodys mit amerikanischem Flaggenmuster. „Ich liebe Mode, und auf Rollschuhen fühle ich mich wie eine fliegende Superheldin! Das Selbstvertrauen, das du gewinnst, wenn du ständig fällst und wieder aufstehst, fließt in andere Bereiche deines Lebens ein, zum Beispiel in die Mode“, sagt sie.
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Der Reiz der Skate-Fashion ist unbestreitbar, da sie die Wurzeln der Szene ehrt, aber das Spannende am Rollschuhfahren heute ist, dass es keinen einheitlichen Dresscode gibt. „Heute werfen die Leute mehr denn je Stereotypen über Bord – und so sollte es auch sein“, sagt Toni. „Rollen sind für alle da!“ Der größte Irrglaube ist, dass du, um Rollschuh fahren zu können, „eine weiße, dünne cis Frau sein und Booty-Shorts tragen musst“, meint Shove. Die Community ist nämlich für Menschen aller Größen, Ethnien, Geschlechter und Nicht-Geschlechter, Transsexuelle, Queers und jede Art von Menschen dazwischen“, erklärt sie weiter. Ähnlich wie Radfahren – ein weiterer Trend, der in der Corona-Zeit immer beliebter wird – ist Rollschuhfahren das Gegenteil von Spinning-Kursen und intensivem HIIT-Training: Es ist großartig für die Gesundheit, aber das Endziel ist nicht das Erreichen eines vorgeschriebenen Körpertyps. Es geht darum, nach draußen zu gehen und aus dem eigenen Kopf herauszukommen.
Im Jahr 2019 wurde Jonathan Van Ness dafür gefeiert, dass er Videos von sich selbst veröffentlichte, in denen er versuchte, Skate-Tricks zu meistern. Er zeigte eine weitaus realistischere Reise – eine mit Stürzen, Schrammen und Misserfolgen. All diese Dinge sehen wir auf Social Media eher selten. Die versiertesten Influencer*innen der Rollschuhszene tun das Gleiche und machen es umso einladender für Newbies, die Angst haben, anzufangen. „Fallen ist ein Teil des Rollschuhfahrens, und wenn du richtig gut darin wirst, wirst du auch richtig gut im Fallen“, sagt Ana. „Du wirst fallen, egal wie gut du bist, und das ist in Ordnung, denn es spielt keine Rolle, wie du fällst, sondern nur, wie du wieder aufstehst“, wiederholt Shove.
Wenn du jetzt auch mit dem Rollschuhfahren anfangen willst, hat Toni noch einen Rat für dich: „Mein Tipp ist, auf deinen Körper zu hören und deine Fortschritte nicht mit anderen zu vergleichen. Hab Geduld und vor allem viel Spaß!“ Oumi empfiehlt, Skate-Filme zu schauen, damit du dich vor allem am Anfang motivieren kannst. Ana sagt, dass die Investition in Handgelenkschützer oberste Priorität hat: „Und denk dran: Wo deine Nase hinzeigt, da gehst du hin – also schau nicht nach unten“.
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