„Ich habe eine Freundin, die ehrlich gesagt nicht mehr zu mir passt“, erzählt die 25-jährige Ria. „Ihr scheint es aber anders zu gehen, und ich weiß einfach nicht, wie ich am besten damit umgehen soll. Wenn sie ein Typ wäre, würde ich einfach Schluss machen – das würde mir hier aber komisch und gemein vorkommen, weil wir schon seit unseren Teenie-Jahren befreundet sind. Alle Ratschläge dazu, die ich in den sozialen Medien höre, sind entweder sehr unpersönlich und unangenehm oder total herablassend und kalt. Diese Freundin ist mir immer noch wichtig, und ich will ihre Gefühle nicht unnötig verletzen. Es ist aber so, dass ich gerade mit ihr nicht klarkomme. Sollte ich ihr einfach irgendwann nicht mehr antworten und sie ghosten?“
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Dr. Sheri Jacobson, eine pensionierte Psychotherapeutin mit über 17 Jahren Berufserfahrung, kann hier weiterhelfen.
Dr. Sheri Jacobson: Es gibt keine Vorlage dafür, wie du eine Freundschaft beendest. Die diversen Methoden sind genauso unterschiedlich wie unsere Persönlichkeiten. Es kann hilfreich sein, dir alle Optionen genau zu überlegen und eine Entscheidung zu finden, die für dich und die andere Person funktioniert. Fang dazu aber erstmal bei dir selbst an.
Eine Option ist ein offenes, ehrliches Gespräch, in dem du deinem Gegenüber erklärst, dass du das Gefühl hast, eurer Freundschaft entwachsen zu sein. Nenne auch gern ein paar Beispiele dazu, wieso du so empfindest. Eine andere Möglichkeit hast du bereits erwähnt: das Ghosting, bei dem du dich komplett zurückziehst und die Freundschaft im Sand verlaufen lässt. Du kannst es aber auch mit einem Mittelding versuchen und weiterhin mit deiner Freundin in Kontakt bleiben, aber dich langfristig immer weiter von ihr distanzieren.
Wie du an die Situation herangehst, hängt vom Kontext eurer Freundschaft ab. Frage dich selbst, womit du dich am wohlsten fühlen würdest und welche Reaktion du von deinem Gegenüber erwartest. Empathie ist hierbei entscheidend und kann dir bei der Entscheidung helfen, welche Option für dich die richtige sein könnte. Manche Menschen wissen brutale Ehrlichkeit zum Beispiel sehr zu schätzen; wenn sie aber nicht erfahren, wieso du eure Freundschaft beenden möchtest, zermartern sie sich womöglich den Kopf, was sehr schmerzhaft sein kann. Warum teilst du deine Gründe also nicht mit dieser Person, wenn du weißt, dass sie solche Situationen dann besser verarbeiten kann? Andere Menschen hingegen sind sehr sensibel und wollen gar nicht hören, dass etwas zwischen euch nicht stimmt – ihnen könnte ein schrittweiser Rückzug also besser tun. Was ich sagen will: Es gibt viele verschiedene Umstände in einer solchen Situation, und prinzipiell ist es hilfreich, sie entsprechend deiner Bedürfnisse und denen der anderen Person anzugehen.
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Um die beste Herangehensweise zu bestimmen, hilft es, wenn du die Vergangenheit deiner Freundin kennst und weißt, wie sie schon von anderen behandelt wurde. Frühe Erfahrungen spiegeln oft wider, wie jemand mit späteren Situationen umgeht. Wenn du also bemerkt hast, dass deine Freundin beispielsweise sehr unruhig wurde, als sie von jemandem geghostet wurde, kannst du daraus Schlüsse darüber ziehen, wie du euer Freundschafts-Ende angehen solltest. Wenn deine Freundin in der Vergangenheit hingegen schon dankbar dafür war, wie ehrlich jemand eine Beziehung mit ihr beendet hat, kannst du auch das als Hinweis nehmen. Es ist nicht garantiert, dass sie sich auch in dieser neuen Situation ähnlich verhalten wird, aber oft können wir aus vergangenen Verhaltensweisen lernen.
Wichtig ist, dabei nicht defensive „Therapie-Sprache“ zu verwenden. Wir werfen inzwischen ganz gern mit Worten wie „Grenzen“, „toxisch“, „Narzissmus“ et cetera um uns – wir können aber auch andere Begriffe verwenden, um uns klar auszudrücken. Mit „Ich habe das Gefühl, dass ich das für mich tun muss“ ziehst du eine Grenze; „Ich finde, ich bin nicht die beste Version von mir selbst, wenn wir zusammen sind“ kann dasselbe bedeuten wie „toxisch“. Wenn du den Eindruck hast, deine Freundin verhält sich narzisstisch, kannst du beispielsweise sagen: „Ich habe mir selbst in dieser Beziehung nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt“, oder: „Ich habe das Gefühl, mich selbst zu verlieren, wenn wir so viel Zeit zusammen verbringen, und berücksichtige deine Bedürfnisse mehr als meine eigenen“. Du hast also auch dezente Möglichkeiten, dich therapeutischer Sprache zu bedienen, ohne dabei defensiv, unpersönlich oder sogar verletzend zu klingen.
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Du kannst deine Grenzen auch ziehen, indem du die Situation rund um dich und deine Bedürfnisse schilderst. Anstatt die andere Person also zu kritisieren, konzentrierst du dich darauf, was du gern für dich tun möchtest – und manchmal erfordert das nicht einmal eine Erklärung. Vielleicht reicht es sogar, etwas zu sagen wie: „Ich würde gern mehr Zeit mit XYZ verbringen.“ Natürlich wird es so oder so ein schwieriges Gespräch. Das Ende einer Freundschaft ist nur selten angenehm; meist fühlt sich mindestens eine Person dabei sehr unwohl, insbesondere, wenn du dich doch für die sehr direkte Art entscheidest.
Manchmal ist es die einfachere Taktik, dich langsam zurückzuziehen – vor allem, wenn dich die andere Person ansonsten unter Druck setzen könnte, die Freundschaft zu erhalten. Wenn du dich aber dazu entschließt, die Freundschaft allmählich zu beenden, solltest du dir Zeit nehmen, gründlich darüber nachzudenken. Es ist sehr wichtig, deine Gefühle zu verarbeiten – insbesondere die komplizierten –, um ungewollte Verhaltensmuster in Zukunft zu vermeiden. Die Freundschaft auf diese Weise zu reflektieren, kann dir auch dabei helfen, Dankbarkeit für eure gemeinsame Vergangenheit auszudrücken – selbst, wenn diese schöne Vergangenheit schon eine Weile zurückliegt.
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