Wie den meisten Frauen wurde auch mir schon früh verklickert, Monogamie sei nicht nur der Weg, sondern auch das Ziel. Klar hatte ich auch diverse lockere Dating-Phasen und romantische Abenteuer, die mal mehr, mal weniger leidenschaftlich waren, und häufig auch wirklich belanglos. Wenn ich es aber ernster anging, war es mir nicht bloß wichtig, mich zu dem jeweiligen Mann wirklich hingezogen zu fühlen, sondern auch etwas Festeszwischen uns zu etablieren. Wenn du dermaßen an der Vorstellung von Monogamie hängst, kann es schnell passieren, dass du glaubst, Liebe könne nur innerhalb einer monogamen Beziehung existieren. Es ist also kaum verwunderlich, dass ich den Großteil meiner Zwanziger in Langzeitbeziehungen verbrachte. Selbst wenn die irgendwann nur noch stabil, aber nicht mehr leidenschaftlich und lustvoll waren, schrillten in meinem Kopf keine Alarmglocken. Die Liebe und Loyalität waren mir viel wichtiger, und ich war gewillt, ihnen auch meine persönlichen Grenzen zu opfern. Wie sonst sollte ich schließlich beweisen, dass ich verliebt war, wenn diese Liebe nicht mein komplettes Leben einnahm?
WerbungWERBUNG
Ich betrachtete Monogamie als Inbegriff dessen, gewollt zu werden. Weil ich mich schon mein ganzes Leben lang darum bemüht hatte, immer von allen gemocht zu werden und erwünscht zu sein, klammerte ich mich an dieser Monogamie fest. Ich wusste nie genau, wie ich jemanden lieben sollte, ohne ihn zum Zentrum meines Universums zu machen; ohne mich in die Form zu verbiegen, die sich dieser Mensch wünschte. Heute weiß ich aber: Wenn du die Liebe verfolgst, als seist du süchtig nach ihr, führst du am Ende nur ein Leben voller Illusionen – ein Leben, das auf der anstrengenden Distanz dazwischen fußt, wie wundervoll du dir etwas in deinem Kopf ausmalst, und wie es in der Realität tatsächlich aussieht. Rückblickend habe ich den Eindruck, willentlich einen großen Teil meiner Individualität unterdrückt zu haben. Ich würde gern behaupten können, ich sei glücklich in diesen Beziehungen gewesen. Oft frage ich mich aber, ob ich damals überhaupt dazu imstande war, mich selbst jemandem hinzugeben, ohne dabei mein Selbstgefühl zu verlieren. Die Kluft zwischen Traum und Realität war in meiner letzten Beziehung besonders groß.
Nach dem Ende dieser Beziehung stürzte ich mich Hals über Kopf in die chaotische Welt des lockeren Datings. Ich schwor mir, mich beim Kennenlernen neuer Männer nicht vom Potenzial einer potenziellen Beziehung beeinflussen zu lassen. Ich würde keine romantische Bindung als „Projekt“ betrachten und mir darüber den Kopf zerbrechen (und dabei mein eigenes Leben ignorieren). Trotzdem sehnte ich mich nach Nähe, nach Gemeinsamkeiten, nach geteilten Interessen und Abneigungen – und trotz meiner ernsten Versprechen, mich beim Dating nicht selbst wieder zu verlieren, konnte ich diese Bedürfnisse nie so richtig abschalten. Also entschied ich mich für bedeutungslosen Sex und redete mir selbst ein, der sei die einfachste Option, mich selbst darin zu üben, meine Erwartungen gering zu halten. Diesen Sex hatte ich aber schnell satt, als er sich irgendwann anfühlte wie eine Verpflichtung. Ich wollte mehr – aber eben auch, dass mir jemand entgegenkam.
WerbungWERBUNG
Bei einer Party, zu der ich fast nicht gegangen wäre, lernte ich schließlich S. kennen und datete ihn ganz locker für etwa drei Monate. Er erzählte mir am selben Abend, wie sehr es ihn überraschte, wie stark er sich zu mir hingezogen fühlte – und direkt danach, dass er in einer offenen Beziehung war. Wir tranken viel, flirteten viel, und als ich am nächsten Morgen sein Haus verließ, hatte ich nicht das dringende Bedürfnis, meinen Kalender für die gesamte Woche freizuräumen, um ihn wiedersehen zu können. Wir tauschten Nummern aus, meldeten uns aber nur, wenn es für uns beide unkompliziert war, uns zu treffen. Jedes Mal, wenn wir uns sahen, empfand ich eine seltsame Zufriedenheit – als sei es möglich, die Nähe zu spüren, die ich mir wünschte, ohne verzweifelt nach einer Option zu suchen, um diese Nähe für immer festzuhalten. Unsere gemeinsam verbrachte Zeit war umso reizvoller für mich, weil mir klar war, dass ich mich hier mit jemandem traf, der nicht meine ungeteilte Aufmerksamkeit brauchte. Er wollte mich als großen Teil seines Lebens haben, aber nie als Augenzeugin seines Lebens. Ich war beeindruckt davon, dass er sich um mich und mehrere andere kümmern konnte, ohne dabei seine eigene Identität und Prioritäten aus den Augen zu verlieren.
Im Laufe der nächsten Monate datete ich gezielt ausschließlich Männer in offenen Beziehungen, und ließ nicht zu, dass die Suche nach dieser Nähe mein eigenes Leben in irgendeiner Weise beeinträchtigte. In gewisser Art gaben mir diese Beziehungen ein so starkes Gefühl, begehrt zu werden, dass ich meine eigenen Grenzen umso stärker schützen wollte, anstatt sie schon beim ersten Hauch von Monogamie aufzugeben.
WerbungWERBUNG
Ich bin mir noch nicht sicher, wie ein nicht-monogames Leben in Zukunft für mich aussehen wird. Ich weiß aber etwas, was ich vorher noch nicht wusste: Viele Realitäten der Monogamie werden dir erst bewusst, wenn du dich nicht mehr von ihren Einschränkungen zurückhalten lässt. Diese Freiheit erlaubt es dir, dein Leben aus einem ganz anderen Blickwinkel zu betrachten. In jeder Beziehung fühlte ich mich von der Verpflichtung erdrückt, meine Gesellschaft für meine Partner so angenehm wie möglich zu gestalten. Ihre Bedürfnisse wurden zu meinen eigenen – bis ich irgendwann gar nicht mehr genau sagen konnte, wie meine Wünsche, meine Lust eigentlich aussahen. In meinem heutigen Liebesleben spielt die Anziehung eine genauso große Rolle wie die Bindung. Und es ist voller Leidenschaft.
Lust auf mehr? Lass dir die besten Storys von Refinery29 Deutschland jede Woche in deinen Posteingang liefern. Melde dich hier für unseren Newsletter an!
WerbungWERBUNG