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Warum ich es liebe, eine junge Tante zu sein

Foto: Emli Bendixen.
Im Alter von fünf Jahren wurde ich zum ersten Mal Tante. Ich wusste nicht wirklich, was das bedeutete oder wie es sich auf meine Familie auswirken würde – nur, dass es ein brandneues Baby gab und ich auf einmal Tante war. Ich hatte keine Ahnung, was auf mich zukommen würde. Das war vor allem deshalb der Fall, weil meine Eltern beide Einzelkinder sind. Damit fehlten all die Tanten, Onkel und Cousins oder Cousinen in meinem Leben, die bei vielen anderen Familien gang und gäbe sind. Das machte die Vorstellung vom Tantesein noch verwirrender für mich, denn ich hatte niemanden, an dem:der ich mir ein Beispiel nehmen konnte.
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Da ich ein Geschwisterkind habe, das fast 15 Jahre älter ist als ich, hätte ich wahrscheinlich damit rechnen müssen, dass ich früher als die meisten anderen Menschen in meinem Alter eine Nichte oder einen Neffen haben würde. Aber als jüngstes Kind einer kleinen Familie war ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt, um mir wirklich Gedanken darüber zu machen. Als meine Familie dann Anfang der 2000er unseren neuen Wonneproppen begrüßte, hatte ich keinen blassen Schimmer vom Tantesein und musste alles Schritt für Schritt lernen. Vielleicht denkst du jetzt, dass das so ähnlich sein muss wie ein neues Geschwisterchen – aber die Rolle einer Tante ist in der Regel mit bestimmten Kriterien und Aufgaben verbunden, die nicht gerade zu meiner Altersgruppe passten.
Im Fernsehen gab es einige Tanten zu sehen, von denen ich mich hätte inspirieren lassen können. Ihre Lebensumstände waren aber komplett anders als meine. Da gab es z. B. Tante Viv aus Der Prinz von Bel-Air oder später Tante Dolly aus Hannah Montana, die beide unglaublich glamourös waren. In Filmen gab es die grauenhafte Tante Petunia aus Harry Potter oder die klammernde Tante Leslie aus Kevin – Allein zu Haus. Unabhängig von den jeweiligen Misserfolgen und Triumphen der Figuren hatten sie alle eine Sache gemein: Sie waren älter als ich. Und das nicht nur ein bisschen. Jede dieser Tanten war bereits erwachsen, hatte einen Ehemann, ein Haus und eigene Kinder, während ich noch dabei war, lesen zu lernen.
Ähnlich ging es auch der 24-jährigen Paris, die im Alter von zwölf Jahren Tante wurde. „Ich verstand nicht wirklich, was meine Rolle als Tante mit sich brachte, denn alle meine Tanten waren ‚alte Damen‘, die ich nur gelegentlich sah“, sagt sie.

Sich als junge Tante wie ein Fisch auf dem Trockenen zu fühlen, kennt auch die 26-jährige Bethany. Sie wurde im Alter von nur zwei Jahren zum ersten Mal Tante. „Ich erinnere mich daran, dass ich in der Grundschule bei einigen Gelegenheiten log und sagte, meine Nichte sei meine Cousine, weil das einfacher zu erklären war. Ich wollte nicht, dass meine Freund:innen Dinge in Frage stellen oder dachten, dass es seltsam sei, so jung Tante zu werden“, erklärt sie.
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Auch später passte sie nie wirklich in die „normale“ Tante-Nichte-Beziehungskategorie. Bethany gab sich nicht bestimmt, obwohl Durchsetzungsvermögen diese Rolle für gewöhnlich auszeichnet. „Ich fing an, zu begreifen, was es bedeutet, Tante zu sein – und versuchte von da an, es manchmal zu meinem Vorteil einzusetzen, wenn meine Nichte und ich uns stritten. Unsere Beziehung war aber definitiv eher mit der zu einer Cousine oder Schwester vergleichbar, da meine Rolle überhaupt nicht gebieterisch war“, sagt sie und lacht. Paris' Erfahrungen waren sehr ähnlich. „Wir waren immer zusammen. Einmal teilten wir sogar für eine Weile ein Zimmer miteinander. Ich sah sie als kleine Schwester und tue das immer noch, und sie behandelt mich auch dementsprechend.“
Expert:innen zufolge ist das nichts Ungewöhnliches im Falle von jungen Tanten. „Wenn ein viel älterer Geschwisterteil heiratet und Kinder bekommt und die Schwester oder der Bruder zum Beispiel noch keine zehn Jahre alt ist, nehmen Nichten und Neffen oft eine Rolle ein, die jener von Geschwistern ähnelt“, sagt Clare Francis, Familientherapeutin und Mitglied des Counselling Directory. Clare merkt an, dass solch ein Verhältnis zur Nichte oder zum Neffen die Beziehung zur Schwester oder zum Bruder aber durchaus belasten kann.
„Wenn die ältere Schwester oder der ältere Bruder viel Zeit damit verbringt, sich um den jüngeren Geschwisterteil zu kümmern, ist es für Letzteren oft sehr schwer, zu verstehen, dass er nicht mehr die Nummer eins ist“, sagt sie. Bethany findet, dass das in ihrem Fall ohne Frage zutrifft. „Ich weiß noch, wie es mir das Herz brach, als ich erfuhr, dass meine Schwester schwanger war. Damals dachte ich, dass sie nach der Geburt keine Zeit mehr für mich haben und sich unser Verhältnis drastisch verändern würde“, sagt sie. Glücklicherweise war das in Wirklichkeit nicht der Fall. „Als meine Nichte zur Welt kam, konnte ich mir mein Leben nicht mehr ohne sie vorstellen. Es war so schön, ein neues Familienmitglied zu haben. Diese Erfahrung hat uns alle im Nachhinein betrachtet noch näher zusammengebracht“, sagt Bethany.
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Auch Paris sagt, dass diese Umstände die Bindung zu ihrer älteren Schwester nur gestärkt haben, insbesondere im Erwachsenenalter. „Ich hätte nie gedacht, dass sie mir ein Baby anvertrauen würde, aber als ich etwas älter war, durfte ich auf meine Nichte aufpassen. Dass sie mir als junge Tante ihre Kinder anvertraute, hat meine Vorstellung davon verändert, wie verantwortungsvoll ich sein kann“, sagt sie. Beide Frauen sind sich darüber einig, dass das Älterwerden auch Vorteile für die Dynamik zwischen Tante und Nichte mit sich bringt. „Ich sehe sie jetzt einfach als eine meiner besten Freund:innen“, sagt Bethany. „Als sie 18 wurde, fingen wir an, zusammen auszugehen, und wir genießen es einfach, Zeit miteinander zu verbringen.“
Obwohl Paris' Beziehung zu ihrer Nichte sehr gut ist, haben sich die Dinge zwischen den beiden im Laufe der Zeit ein wenig verändert. „Da wir beide älter geworden sind und sich der Altersunterschied immer unbedeutender anfühlt, musste ich mich dazu zwingen, ‚reifer‘ und bestimmter zu sein, aber auch dafür sorgen, dass sie immer noch Spaß mit mir haben und mir Dinge – wie einer großen Schwester – anvertrauen konnte.“ Leider ist Paris' Coolheitsgrad in den Augen ihrer Nichte seitdem etwas gesunken. „Früher liebte sie es, lustige Videos mit mir zu machen, jetzt will sie mich nicht einmal mehr auf TikTok hinzufügen“, erzählt sie und lacht.
Jung Tante zu werden, ist nicht unbedingt etwas, das vielen von uns widerfährt, aber es zeigt, wie sehr sich Familienkonstellationen gerade ändern. Heutzutage geschehen Dinge in allen möglichen Reihenfolgen und Zeitrahmen – und das ist auch gut so. Vor Kurzem bin ich zum zweiten Mal Tante geworden und ich könnte nicht zufriedener damit sein, dass ich jetzt über einen reichen Schatz an Erfahrungen in dieser Rolle verfüge. Diesmal werden die Dinge anders laufen (wir werden nicht beide für Justin Bieber schwärmen oder im Rahmen einiger weniger Jahre dieselbe Universität besuchen), aber sie kann immer auf meiner Couch übernachten und sich aus meinem Schrank voller „Vintage“-Kleidung bedienen. Das würde ich um nichts in der Welt ändern wollen.
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