In Netflix’ Beckham geht es, wenig überraschend, um den gleichnamigen David – die Fußballlegende, den Fashion- und Unterwäsche-Star, den Trendsetter vieler Frisuren, die globale Ikone, und den Kerzenreiniger (ja, im Ernst). In der Serie geht es außerdem um seine jahrzehntelange Beziehung mit dem Ex-Spice-Girl Victoria Beckham (geborene Adams) – und somit auch um eine Hintergrundgeschichte aus Davids kometenhaftem Aufstieg: um Victorias furchtbare Behandlung durch die Klatschpresse.
An dieser Stelle möchte ich schnell betonen, dass Victoria in dieser Beziehung natürlich nicht die Einzige war, die von der Presse regelrecht tyrannisiert wurde. Während sich die erste Episode der Dokuserie um die romantische erste Zeit ihrer Beziehung dreht (er fuhr vier Stunden lang Auto, um dann mit ihr auf einem Parkplatz zu sitzen!), geht es in der zweiten darum, was nach Davids berüchtigter roter Karte im Spiel zwischen England und Argentinien bei der WM 1998 geschah. Daraufhin wurde David nämlich mit dem „absoluten Hass und der öffentlichen Schikane auf einem ganz neuen Level“ konfrontiert, erinnert sich Victoria.
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„Er war am Boden“, erzählt sie. „Er war völlig am Boden zerstört.“
Es dauerte nicht lange, bis sich der Hass auch gegen Victoria richtete – scheinbar mit der Geburt ihres ersten Sohns, Brooklyn, durch einen Kaiserschnitt im Jahr 1999. „Ich erinnere mich noch an die Überschriften. ‚Too Posh To Push‘“, sagt die Modedesignerin. (Auf Deutsch so viel wie: „Zu fein, um zu pressen“.) „Ich war mir nicht zu fein, um zu pressen! Mir wurde gesagt, es sei nicht sicher für mich, bis zu den Wehen zu warten.“
Das Paar bekam daraufhin scheinbar Mord- und Entführungsdrohungen und musste zeitgleich einen schier durchgehenden Strom der Beleidigungen über sich ergehen lassen. Fußballfans dachten sich schließlich sogar einen Song mit den Lyrics „Posh Spice takes it up the ass“ („Posh Spice kriegt’s von hinten“) aus.
„Es fühlte sich an, als würden wir ertrinken“, erzählt Victoria. Und obwohl es gerade ihre Anwesenheit bei Davids Spielen war, die ihn zu seiner Hochform auflaufen ließ – und ihm daraufhin jede Menge positive Presse zu seiner Performance auf dem Feld einbrachte –, änderte sich an Victorias Darstellung in den Medien nichts. Immer wieder hieß es, David werde von ihr herumkommandiert; sie sei eine „Ablenkung“. Sie könnte seine „Karriere ruinieren“ – einfach dadurch, dass sie existierte und einen eigenen Kopf und eine Karriere hatte.
„Ich war immer die Böse in dieser Story“, erinnert sich Victoria. Als David 2003 seinen Transfer von Manchester United zu Real Madrid verkündete, hatten die beiden bis dahin in Spanien weder ein neues Zuhause noch eine Schule für die Kinder gefunden, erklärt sie. In der Presse wurde sie dennoch dafür kritisiert, dass sie nicht direkt mit den Kindern nach Madrid zog. Viele waren der festen Überzeugung, das sei ein Beweis dafür, dass sie Davids Karriere nicht unterstützen wollte – obwohl Victoria in Wahrheit nur sichergehen wollte, dass die Kinder dort ein gefestigtes Leben erwartete. Als dann die Vogue España schrieb, Victoria „hasst Spanien, weil es da überall nach Knoblauch riecht“ (was sie, wie Victoria heute lachend klarstellt, nie gesagt hat), stürzte sich die Klatschpresse auf sie. Sie machten sich über ihr Aussehen, ihre Essgewohnheiten, ihre Karriere lustig. Sie warfen ihr das schlimmste Verbrechen vor, das eine Frau je begehen könnte: schwierig zu sein. Und sobald dann auch Gerüchte rund um Davids vermeintliche Affäre in den Zeitungen landeten, wurde alles für Victoria nur noch schlimmer. Sie sagt, sie sei damals „so unglücklich wie noch nie in meinem Leben“ gewesen.
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Natürlich ist Victoria längst nicht die einzige erfolgreiche Frau, die in der Presse dafür verteufelt wurde, mehr als nur die Partnerin ihres Mannes zu sein und eigene Träume und Gedanken zu haben, die auch über diese Ehe hinausgehen. Im Laufe der Jahre haben wir dasselbe bei Sophie Turner, Rose Leslie, Meghan Markle und zahllosen anderen Frauen beobachten können, die dafür niedergemacht wurden, dass sie nicht nur brav zu Hause saßen und auf die Befehle ihrer Männer warteten. Im Falle der Duchess of Sussex kam dazu noch furchtbarer Rassismus. Wir werden definitiv auch noch viele weitere Frauen sehen, die Ähnliches erleben müssen.
„Die britische Presse ist dafür bekannt, Frauen runterzumachen. Zuletzt bekam das Meghan Markle zu spüren, als die Presse Gerüchte und Unwahrheiten verbreiteten“, erklärt Dr. Daria J. Kuss, Professorin für Psychologie an der Nottingham Trent University.
„Diese Storys verkaufen sich gut. Genau deswegen schreiben die Reporter:innen sie ja. Diese Geschichten lösen eine starke emotionale Reaktion in uns aus, ziehen uns in ihren Bann – egal, ob wir der Schlagzeile zustimmen oder nicht. Wir sollten uns aber vor Augen halten, dass daraus ein Teufelskreis entsteht: Die Leute kaufen diese Storys, also werden weitere geschrieben, wie wiederum gelesen und verbreitet werden.“
Die britische Soziologin und feministische Kulturtheoretikerin Dr. Rosalind Gill sieht das genauso. Sie ergänzt: „Hass, der sich gegen weibliche Stars richtet, gehört zu ihrer Darstellung in den Medien dazu. Ihre Körper, ihr Gewicht, ihre Beziehungsentscheidungen, ihre Klamotten – nichts ist zu trivial, um nicht von einem feindseligen Medienhaus unter die Lupe genommen zu werden, um mithilfe von Bildern von Dehnungsstreifen, Cellulite, Körperbehaarung, Make-up, modischen ‚Fehltritten‘ oder Gewichtszu- oder abnahmen Zeitungen zu verkaufen oder Klicks zu generieren.“
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Dr. Gill erklärt weiter, dass es zwar sehr leicht ist, diese Storys als „normal“ abzustempeln (so tragisch das auch klingt), sie aber doch enorm negative Konsequenzen für die Frauen und Mädchen haben, die sie lesen.
„Meine neuesten Untersuchungen von jungen Frauen zeigen, dass sie das Gefühl haben, in einer Welt zu leben, in der Frauen rund um die Uhr perfekt sein sollten – und dass selbst das nicht zwangsläufig reicht, um sich miesen Kommentaren zu entziehen“, sagt sie.
„Junge Frauen haben große Angst davor, auf ihren eigenen Social-Media-Accounts irgendwas ‚falsch‘ zu machen – zum Beispiel, indem sie ein Foto posten, das nicht gut genug aussieht, das so aussieht, als sei es bearbeitet worden, auf dem sie zu viel oder zu wenig Haut zeigen… Die Liste der Punkte, in denen junge Frauen zu scheitern fürchten und für die sie dann negative Kommentare bekommen könnten, ist endlos.“
Dr. Gill ergänzt: „In einer Kultur zu leben, in der Frauen immer unter der Lupe stehen und kritisiert werden, wirkt sich auf alle Frauen aus. Junge Frauen haben mir schon erzählt, wie sehr es sie trifft, dass Adele für ihre Gewichtsabnahme fertig gemacht wird; oder wie stark es sie beeinflusst, dass Frauen in Reality-Shows andauernd niedergemacht werden.“ Sie erinnert sich an eine junge Schwarze Studentin, Tanisha, die ihr erzählte, dass es ihr Angst mache, sich die Kommentare in den Feeds anderer Frauen durchzulesen – sogar dann, wenn sie selbst keinen Hass abbekam. „Da sind sexuelle Kommentare, Hasskommentare, Kommentare über Gewalt“, sagte Tanisha gegenüber Dr. Gill. „Ich bin mir sicher, dass Leute mit vielen Follower:innen nicht mal die Zeit haben, sich alle Kommentare durchzulesen. Aber alleine die Tatsache, dass die Leute sowas posten können und das dann einfach da steht… Wenn sich dann normale User:innen wie ich durch die Kommentare scrollen, sehe ich das natürlich. Und das trifft mich. Extrem. Ich kriege davon Angst, und es macht mich wütend.“
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Victoria Beckham ist vielleicht nicht der Star der Netflix-Doku. Dennoch ist es wichtig, dass wir uns die Dinge zu Herzen nehmen, die sie uns erzählt. Genauso wichtig ist es, ihre toxische Behandlung seitens der Presse anzuerkennen – und die Tatsache, dass sie so viel mehr verdient als nur eine simple Entschuldigung von den verantwortlichen Redakteur:innen von damals.
Wie Dr. Kuss sagt: „Diese Situation lässt sich nur ändern, indem wir uns diesen Storys entziehen. Zusätzlich sollte die Presse stärker reguliert werden und beispielsweise höhere Strafen für Fehldarstellungen und unethische Reportagemethoden zahlen müssen.“
Es hat einen Grund, dass auf TikTok und Co. von Victoria aus der Serie vor allem eine Szene kursiert: Die, in der sie sich selbst als „working class“ bezeichnet, obwohl sie von ihrem Vater in einem Rolls-Royce zur Schule gebracht wurde – und nicht eine Szene, in der sie davon erzählt, wie sehr sie unter der Behandlung durch die Presse litt. Es ist leichter, sie auf ihre Posh-Persona zu reduzieren. Und für all diejenigen, die in den 2000ern über diese ganzen furchtbaren Schlagzeilen gelacht haben, ist es vermutlich ebenfalls einfacher, die Rolle zu ignorieren, die sie selbst darin spielten, eine weitere Frau unendlich unglücklich gemacht zu haben.
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