Letzte Woche, auf dem Weg durch Neukölln, kamen mir mit jeweils 100 Metern Abstand zwei Kylie Jenners entgegen. Ich war etwas verwirrt, kurz nur, bis ich realisierte, dass es nicht ein und die selbe Person und schon gar nicht Kylie Jenner gewesen ist. Einige Tage nach diesem Zwischenfall, ich war gerade in Mitte unterwegs, kreuzten bei verschiedenen Gelegenheiten mehrere junge Damen mit weißen, schulterfreien Blusen meinen Weg. Auf dem Alexanderplatz rannte ich, ganz neben der Spur, beinahe in eine Gruppe junger Männer, allesamt gekleidet mit engen grauen Hosen und überlangen T-Shirts.
Ich sehe also doppelt und dreifach und das nicht erst seit vergangener Woche. Wer mich kennt weiß, dass ich mir gerne Gedanken dazu mache, welche Auswirkungen unsere globale Vernetzung auf unseren Stil und unser Kaufverhalten hat. Ich möchte nicht sagen, dass damals alles besser war, aber damals war diesbezüglich auf jeden Fall einiges anders. Als ich in die Mittelstufe ging und anfing, mich für Mode und Trends zu interessieren, war ich gefangen in einer Kleinstadt mit 100 D-Mark Taschengeld im Monat. Onlineshopping war Zukunftsmusik und das höchste der Gefühle war der Benettonladen in der Altstadt und eine Promod-Filiale neben dem Marktplatz. Ich möchte nun nicht darüber lamentieren, dass damals alles besser war. Es war unglaublich nervig, nie das haben zu können, was man wollte und ich bin ein ausgeprochen riesiger Fan des gepflegten Onlinekaufes.
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Worauf ich hinaus möchte, ist: Hat das Internet, Social Media und die Demokratisierung von Modetrends dazu geführt, dass wir alle immer gleicher aussehen? Auch damals gab es Kleidungsstücke, ohne die man einfach nicht dazu gehörte und die aus diesem Grund jeder hatte. Heutzutage tritt dieses Phänomen aber erstens immer flächendeckender auf und gerade junge Leute orientieren sich immer stärker an (modischen) Vorbildern. So sehen immer mehr junge Damen etwa wie jemand aus dem Jenner-Kardashian-Clan aus oder man hat das Gefühl, alle fünf Meter in eine Volant tragende Instagrammerin hineinzurennen. Ich finde es sehr paradox, da uns unser Vernetztsein den größtmöglichen Zugang zu schier endloser Inspiration, Marken und Looks gibt, gleichzeitig aber alle immer ähnlicher herumlaufen. Wie auch damals sind es gerade die jungen Menschen.
Durch dieses ständige beeinflusst-werden fällt es auch mir teilweise schwerer, meinem eigenen Stil ersten treu zu bleiben und ganz sicher auch ihn zweitens zu manifestieren. Viele junge Leute scheinen indes eigentlich gar keinen eigenen Stil mehr zu haben, sondern sich wahllos auf das zu stürzen und in die Teile zu hüllen, die eben gerade angesagt sind. Auch wenn die Gültigkeit dieser Trends selten länger als zwölf Wochen überdauert. Leidet unsere Individualität unter dieser digitalen Revolution oder sehe ich hier einfach zu schwarz? Ist es denn überhaupt notwendig, dass wir alle komplett einmalig durch die Welt marschieren? Macht uns nicht unser Charakter aus anstatt unsere Kleidung?
Denke ich vielleicht einfach viel zu sehr darüber nach und sollte mich mal entspannen? Vielleicht, doch ich finde diesen Gedanken einfach ziemlich interessant und bin irgendwie auch an einem Punkt angekommen, an dem die Modemüdigkeit mich übermannt hat und ich an manchen Morgen am liebsten einfach den so oft zitierten Kartoffelsack über meinen Kopf schmeissen möchte. Ich finde es schlicht schade und nervig, dass es immer nur drei Stil-Schubladen zu geben scheint, in die man verlässlich seine komplette Umgebung (mich sicher manchmal eingeschlossen) hineinstecken kann, rein optisch, und man vor lauter Kylies und Gigis und Bellas bald den Wald nicht mehr sieht.
Kann gut sein, dass wir in 100 Jahren herumlaufen, wie in diesen Science Fiction-Filme, in denen die Menschen nur noch praktische, einheitliche Uniformen in gedeckten Farben tragen. Vielleicht haben wir aber auch bald den Höhepunkt der Konsum- und Trendachterbahn erreicht und alles läuft wieder langsamer ab, wer weiß. Ich finde, Kleidung sollte auch immer die Persönlichkeit unterstreichen und es braucht wieder mehr Mut zum Man-Selbst-Sein, damit nicht alle herumlaufen, wie kleine Clone. Dann denke ich auch nicht andauernd, dass ich doppelt sehe und dass Kylie Jenner plötzlich in Berlin-Neukölln wohnt.
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