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Ich stehe auf Frauen – aber wieso stehen sie nicht auf mich?

Als mir zum ersten Mal klar wurde, dass ich Frauen heiß finde, war ich davon total überrascht.
Damals war ich 19 Jahre alt und wohnte in einer Fünfer-WG. Eine meiner Mitbewohnerinnen hatte eine Gruppe Freund:innen zu Besuch, und eine davon hatte einen pinken Pony, coole Klamotten und wirkte auf mich sofort anziehend. Ich hatte das Gefühl, ihr unbedingt nah sein und mit ihr reden zu wollen. Im Laufe unseres Gesprächs fiel mir dann auf, dass ihr Blick immer wieder zu meinen Lippen wanderte. Wir alberten so rum, und währenddessen schaute sie immer wieder von meinen Lippen zu meinen Augen und zurück.
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Vor Kurzem habe ich dank TikTok gelernt, dass sich das die „Dreiecksmethode“ nennt: Wenn jemand eins deiner Augen, dann deinen Mund, dann das andere Auge anschaut – in Form eines Dreiecks –, soll das laut dieser Theorie ein Signal dafür sein, dass dich diese Person gerne küssen würde. Und obwohl TikTok das Ganze als Technik verkauft, die du mal bei jemandem ausprobieren solltest, auf den oder die du stehst, glaube ich, dass wir das ohnehin schon unterbewusst tun.
Als der Blick dieser Frau also immer wieder auf meine Lippen fiel, regte sich irgendwas in mir, das nichts mehr mit einem netten Gespräch mit einer neuen Freundin zu tun hatte. Es fühlte sich an wie sexuelle Spannung – etwas, das ich bis dahin immer nur gegenüber Männern empfunden hatte. Es dauerte eine Weile, bis mir klar wurde, wieso es mir so gefiel, mit dieser Frau zu reden, sie anzusehen und ihr so nah zu sein.
Im Laufe meiner Erfahrungen mit anderen Frauen habe ich gelernt, dass ich tatsächlich eine ganze Menge verschiedener Leute sexy finden kann. Ich weiß jetzt, dass mir das Gender oder das Aussehen relativ egal ist. Eine Zeit lang bezeichnete ich mich als bisexuell; heute würde ich es wohl eher „pansexuell“ nennen, weil ich nicht glaube, dass meine Geilheit auf andere Leute irgendwas mit einem spezifischen Gender zu tun hat. Ich finde manche Menschen einfach sexy und möchte sie gern küssen – egal, mit welchem Gender sie sich identifizieren.
Als Single und feminin wirkende Frau ist mir aber vor Kurzem aufgefallen, dass Frauen nie mich anmachen.
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Wir haben nicht dasselbe Anspruchdenken wie manche Männer, so nach dem Motto: „Ich will es, also muss ich es haben – ich verdiene es sogar.“

chelsea
Es kommt häufig vor, dass mir sehr klar ist, dass mich ein Mann heiß findet. Dann küssen wir uns, und alles ist easy. Und obwohl ich Männer liebe, stört es mich doch irgendwie, dass sich dieselben Kontakte mit Frauen für mich nicht genauso natürlich ergeben.
Es kann nicht daran liegen, dass ich Frauen nicht so attraktiv fände wie Männer – denn das tue ich. Irgendwas an Frauen, oder an Femininität generell, macht mich auf ganz andere Art total an. Mir gefällt die Weichheit ihrer Körper, ihre Empfindsamkeit und das gegenseitige Verständnis für unsere Körper. Ich finde es faszinierend, dass wir einander so grundlegend verstehen können und doch manchmal nicht wissen, wie wir miteinander flirten sollen. „Frauen – vor allem lesbische Frauen – haben Angst davor, lüstern oder creepy rüberzukommen“, vermutet meine lesbische Freundin (und Ex) Chelsea.
Ihr zufolge wird uns vermittelt, dass lesbische Frauen ganz schön „intensiv“sein können. Diesem toxischen Stereotyp, dass lesbische Frauen immer butch(maskulin wirkend) und superdirekt seien, wollen nicht alle gern entsprechen. Also beobachten sie manchmal lieber aus der Ferne.
„Wir können jemanden heiß finden, uns das selbst eingestehen und es dann gut sein lassen. Wir haben nicht dasselbe Anspruchdenken wie manche Männer, so nach dem Motto: ‚Ich will es, also muss ich es haben – ich verdiene es sogar‘“, sagt Chelsea.
Ich habe das Gefühl, das trifft auf die meisten meiner queeren Erfahrungen zu. Wenn mich eine Frau attraktiv findet, spüre ich das manchmal irgendwie, ohne es dann aber bestätigt zu bekommen.
Das letzte Mal wurde ich von einer Frau via Instagram-DM angemacht. Ich war mit Freund:innen in einem Restaurant, und sie war unsere Kellnerin. Ich spürte einen Vibe – denselben Magnetismus, den ich schon bei der Frau in meiner WG empfunden hatte. Ich konnte die Situation aber nicht richtig deuten, also himmelte ich sie lieber aus der Ferne an.
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Später schrieb sie mir auf Instagram, ich sei die schönste Frau, die sie je gesehen habe, und wir machten ein Date aus. Wir hatten beide genau das gemacht, was queere Frauen laut Chelsea so oft tun: Wir hatten uns von Weitem bewundert, wollten aber keine vorschnellen Schlüsse ziehen.
Und obwohl das durchaus süß, nett und respektvoll ist, kann es doch ganz schön frustrierend sein. Denn ich würde mir wünschen, dass mich Frauen hübsch finden und es mir mitteilen. Ich möchte mit Frauen auf Dates gehen und sie küssen und erleben, wie es sich anfühlt, ganz offen von einer Frau begehrt zu werden. Ich finde Frauen sexy, und es verwirrt mich ein bisschen, wieso meine Kontakte zu ihnen das überhaupt nicht widerspiegeln.
„Es liegt nicht an dir“, versichert mir Chelsea. „Frauen haben nur weniger das Gefühl, einen Anspruch auf dich und deinen Raum zu haben. Daher kommen sie nicht direkt auf dich zu.“
Sie erzählt mir, dass die meisten lesbischen oder queeren Frauen ihre Affären und Partner:innen genau deswegen eher über gemeinsame Freund:innen, Bekannte, die Community oder Dating-Apps kennenlernen, um sich das Ratespiel zu ersparen.
Aber was, wenn ich keinen Bock auf Dating-Apps habe? Muss ich mich dann deutlicher als queer präsentieren? Muss ich das ganze Flirten übernehmen?
Chelsea findet, ich könnte durchaus direkter sein. Wenn ich eine Frau sehe oder kennenlerne, die ich heiß finde, sollte ich ihr mein Interesse zeigen, indem ich lange den Augenkontakt halte, beiläufig erwähne, dass ich weibliche Ex-Partnerinnen habe, generell über meine Queerness sprechen oder ihr auch einfach ganz klar sagen, dass ich sie attraktiv finde.
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Chelsea fragt mich, ob ich eigentlich auch mal Zeit in queeren Räumen verbringe – und die Antwort lautet: nicht wirklich. Ich war zwar schon in Lesbenbars und auf WLW-Events (women loving women, also „Frauen, die Frauen lieben“), war da aber eher eingeschüchtert. Ich präsentiere meine Queerness nur ungern. Sie fühlt sich für mich wie etwas an, was ich beschützen will, was ich noch gründlicher verstehen will – wie etwas Heiliges, etwas Besonderes, etwas, das nur mir gehört. Und generell bin ich kein Fan von Situationen, in denen Leute von mir erwarten, mich sexuell zu verhalten.
Chelsea versichert mir aber, dass es durchaus auch superentspannte queere Räume gibt. Vielleicht lag es also bei mir nur an den jeweiligen Bars oder Partys. In einer Lesbenbar oder bei einem WLW-Event hatte ich aber immer den Eindruck, dort mit mindestens einer Frau körperlich intim werden zu müssen – und dieser Druck war ein absoluter Stimmungskiller.

Wohingegen es zu Flirts zwischen Mann und Frau für uns quasi feste Drehbücher gibt, fällt mir das Flirten in einem lesbischen Szenario nicht so leicht, weil es mir eben nie vorgelebt wurde. Ich habe nie Beispiele dafür gesehen.

An dieser Stelle sollte ich anmerken, dass offene Queerness in unserer Gesellschaft immer noch ziemlich neu ist. Das vergesse ich oft, weil ich in meinem Alltag in der Großstadt von vielen aufgeschlossenen und vorurteilsfreien Menschen umgeben bin. Da vergesse ich leicht, dass die gleichgeschlechtliche Ehe in Deutschland erst seit 2017 erlaubt ist.
Ich vergesse auch oft, dass ich während meiner Jugend – sowohl in der Schule als auch im sozialen Umfeld meiner Familie – nie von queeren Leuten umgeben war. Meine Eltern hatten zwar ein paar homosexuelle Freunde, doch waren das Männer. Das erste Mal, als ich eine queere Frau traf, war ich etwa 19. Also circa zu der Zeit, als ich die pinkhaarige Frau in meiner WG kennenlernte.
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Es war nicht nur so, dass ich kaum Queerness in meinem Umfeld hatte; mir wurde auch nie etwas dazu beigebracht. Ich glaube, dass wir vor allem durch Beobachtungen lernen – es hätte schon geholfen, Queerness überhaupt in meinem realen Leben zu sehen –, aber auch in Gesprächen war das nie ein Thema. Klar guckte ich mir nachts heimlich unter meiner Bettdecke The L Word an und wusste demnach, dass lesbische Frauen existierten, aber von einer queeren TV-Serie kannst du nicht wirklich viel lernen. Vor allem, wenn du in deinem Umfeld keine offen lesbischen Frauen hast.
Natürlich wurde Frauen auch nie beigebracht, wie Dating mit anderen Frauen funktioniert. Viele von uns, die sich daran immer noch gewöhnen müssen, fliegen daher völlig blind, ganz nach dem Motto „Learning by doing“. Wohingegen es zu Flirts zwischen Mann und Frau für uns quasi feste Drehbücher gibt – zärtliche Berührungen am Arm, Komplimente, Bitten um Dates, Küsse –, fällt mir das Flirten in einem lesbischen Szenario nicht so leicht, weil es mir eben nie vorgelebt wurde. Ich habe nie Beispiele dafür gesehen.
Aber vielleicht hat Chelsea auch Recht; vielleicht sollte ich wirklich direkter sein. Womöglich trage ich insgeheim auch noch ein bisschen Scham rund um meine Sexualität mit mir herum. Obwohl ich die zwar nicht bewusst spüre, fühlt sich ein Teil von mir doch immer noch unwohl damit, mich offen als queer zu zeigen.
Also habe ich mir einen Plan geschmiedet.
Ich werde mich in einer Dating-App anmelden und meine Vorliebe ausschließlich auf Frauen stellen – und dann einfach mal abwarten, was passiert. Ich will mit meiner Therapeutin darüber reden, dass ich auf Frauen stehe, aber es nicht offen zeigen will. (Ich bin mir sicher, das wird einige Sitzungen lang für Gesprächsstoff sorgen.) Und dann, wenn ich mich das nächste Mal zu einer Frau hingezogen fühle, werde ich es ihr auch sagen. Noch dazu werde ich mir Mühe geben, mich häufiger in queeren Räumen aufzuhalten.
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„Wir können auch gerne zusammen hin“, verspricht mir Chelsea.
Irgendwas an dieser Vorstellung klingt für mich sehr nach The L Word – ich gehe mit einer Ex zu einer queeren Party, weil ich mich mit ihr wohler fühle als allein?  –, aber ich habe schon Lust darauf. Chelsea hat mir nämlich erzählt, dass sie die meisten der Leute, die sie geküsst oder gedatet hat, über Apps oder Freund:innen kennengelernt hat – oder eben über Ex-Partnerinnen. Wer sagt also, dass das nicht auch für mich funktionieren könnte?
Vielleicht ist das also mein erster Schritt in Richtung meines neuen Ichs – das Ich, das sich aktiver als queer identifiziert. Das Ich, das Frauen schön findet und ihnen das auch gerne mitteilt. Und dasselbe auch wiederum von anderen Frauen hört.
Ich glaube, letztlich will ich bloß das Gefühl haben, meine Sexualität zu verstehen und mich damit voll und ganz wohl zu fühlen. Und da wir in einer Welt leben, in der es erst seit relativ kurzer Zeit als okay gilt, nicht heterosexuell zu sein, finde ich es in Ordnung, dafür noch ein bisschen länger zu brauchen.
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