Wenn ich an die krassesten Situationen meines Lebens zurückdenke, in denen ich öffentlich für mein Übergewicht gedemütigt wurde, erinnere ich mich oft zuerst an den Vater von zwei Kindern, mit dem ich an einem Strand auf Mallorca zusammenprallte. Er hatte ein Kind an jeder Hand, blieb aber trotzdem vor mir stehen, um mich genau zu mustern. Ich weiß nicht, ob er sich instinktiv hatte entschuldigen wollen, wie es Menschen meist tun, wenn sie versehentlich mit jemandem zusammenstoßen. Ich glaube aber, dass ihn mein Anblick – mein Gewicht – von der Entschuldigung abhielt.
„Vaca bruta“, zischte er aggressiv. „Dumme Kuh.“
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Direkt nach seiner Beleidigung fing eins seiner Kinder schadenfroh an zu kichern, während mich das andere komplett verwirrt anstarrte. Mir hingegen stand der Mund weit offen; nicht, weil ich noch nie als „Kuh“ bezeichnet worden wäre, sondern weil es so eine unverhohlene Zurschaustellung von Vorurteilen war. Dieser Mann fand dicke Menschen eindeutig abstoßend, und hielt es scheinbar auch für in Ordnung, dasselbe seinen Kindern zu vermitteln.
Sieben Jahre später ist „Kuh“ nach wie vor die beliebteste Beleidigung, die ich in der Öffentlichkeit zu hören bekomme (dasselbe gilt übrigens für das Internet). Ich werde deutlich öfter als „Kuh“ bezeichnet als als „Schwein“ oder „dicke Schlampe“ oder „gestrandeter Wal“. Ich werde „Kuh“ genannt und muss mir dann außerdem anhören, ich stinke oder sei dreckig. Die Menschen scheinen kein Problem damit zu haben, mir zuzubrüllen, ich würde „zu viel Raum einnehmen“. Einige legen mir sogar nahe, ich solle „zurück auf den Bauernhof ziehen“.
Mit Rindvieh verglichen zu werden, ist ziemlich entmenschlichend; genauso entmenschlichend ist die Erinnerung daran, dass so viele Menschen immer noch glauben, Körper wie meiner verdienten weder Respekt noch Höflichkeit. Wie bei jeder anderen Beleidigung gibt es hier aber die Möglichkeit zur Rückgewinnung: Wenn und falls wir die emotionale Stärke und den Wunsch dazu haben, können wir die Beleidigungen der fatphobia in etwas Schönes verwandeln.
Die kommenden Herbst- und Winter-Trends wirken dabei vielleicht wie eine fragwürdige Baustelle für den Kampf gegen die Dickenfeindlichkeit; während die Temperaturen aber gerade wieder sinken, liegt unsere Hoffnung dazu auf einem ganz spezifischen Trend: dem Kuhprint. Für durchschnittlich-gewichtige Fashionistas ist der Kuhprint vermutlich bloß ein weiteres süßes Fashion-Detail. Kühe sind schließlich niedlich, und Schwarz-Weiß ist eine absolut zeitlose Kombi.
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Für die Plus-Size-Träger:innen unter uns kann der Kuhprint aber etwas ganz anderes sein. Er kann zu einer Möglichkeit werden, ganz klar auszudrücken: Ja, viele Menschen halten dicke Menschen vielleicht für „Kühe“ – aber das kann uns komplett kalt lassen.
Auf meinem modischen Radar gibt es den Kuhprint schon seit 2019. Es war ein Foto von Digital Creator Lydia Okello, das mich auf diese grandiose Ästhetik aufmerksam machte: Auf einem Instagram-Schnappschuss trug Okello eine Kuhprint-Jacke und kombinierte den Look mit einer dunklen Sonnenbrille und einem starken Undercut.
Okellos Bildsprache inspiriert mich schon seit Langem – irgendetwas an diesem Foto brachte mich aber dazu, mehrmals am Tag zu diesem Instagram-Profil zurückzukehren (und mir dieselbe Jacke zu kaufen). Okello wirkte darauf einfach sehr stark, aber auch so, als sei er:sie einfach fertig mit allem. Der Gesichtsausdruck, die Pose – alles vermittelte „Ich lasse mir gar nichts mehr sagen“-Vibes, und ich fand, es war der Kuhprint, der das alles miteinander verband. Ein wenig subtiler Widerstand gegen die Hater:innen, die glauben, der Vergleich zwischen einem dicken Menschen und einer Kuh sei total clever und superwitzig.
Seit ich über Okellos OOTD-Pic gestolpert bin, habe ich glücklicherweise noch viele andere dicke Schönheiten gefunden, die den Print stolz ausführen. „Ich liebe Kuhprints, und auch alle anderen Tier-Muster“, meint die queere Modestudentin Emma Ilka Armstrong, die selbst Plus Size trägt. „Ich fühle mich bekräftigt, wenn ich das trage. Kann also sein, dass mir mein Kopf damit sagen will: Es ist nichts Schlechtes, als Kuh bezeichnet zu werden.“
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„Ich liebe Kühe“, sagt sie. „Sie sind clever, lieb und, ganz ehrlich, total cool!? Wenn wir das Ganze aus diesem Blickwinkel betrachten, wer würde dann keine Kuh sein wollen?“
Natürlich gibt es auch jede Menge dicke Käufer:innen (wie auch dünne), die zum Kuhprint gegriffen haben, weil er ihnen schlicht und ergreifend gefällt. Dicke Menschen sollten sich niemals dazu verpflichtet fühlen, ein „Statement setzen“ oder „eine Beleidigung zurückerobern“ zu müssen, sobald wir auch nur das Haus verlassen. Manchmal wollen wir einfach Klamotten tragen, ohne uns große Gedanken darüber machen zu müssen; ein simpler, alltäglicher Akt, der vielen von uns vorenthalten wird, weil wir lange darauf getrimmt wurden, uns rund um die Uhr über unsere Körper den Kopf zu zerbrechen – und darüber, worin wir sie kleiden.
„Ich will einfach anziehen, worin ich mich wohl fühle“, meint Armstrong, als ich sie frage, ob sie Kuhprint-Klamotten schon mal als Symbol für fat liberation betrachtet hat. „Wenn ich damit ‚ein Statement setze‘, ist das einfach ein Bonus. Ich will, dass zukünftige Generationen in dem Wissen aufwachsen, dass sie nicht für das Outfit verurteilt werden, in dem sie das Haus verlassen und in dem sie sich wohl fühlen.“
Ich schätze, viele der Kuhprint-Klamotten, die ich in den letzten Jahren gefunden habe, wurden nicht mit rebellischen oder regelbrechenden Absichten designt. Trotzdem macht mein Herz jedes Mal einen kleinen Sprung, wenn ich einen dicken Menschen sehe, der:die sich diese Schwarz-Weiß-Ästhetik stolz zu eigen macht. Bei einigen davon ist das Statement vielleicht Absicht; anderen ist es womöglich total egal. So oder so: Durch dieses Muster können wir letztlich die Kuh zelebrieren, für die uns viele schon so lange zu halten scheinen.