Die Generation Y und das Thema Arbeit ist ja per se ein holpriges. Die berufliche Autonomie der Millennials und die damit verbundenen Freiheiten sorgen jedenfalls immer wieder für Unverständnis seitens der Eltern-Generation. Die Jungen wollen es anders handhaben als die Alten – unabhängiger, freier. Dabei wird eines oft verkannt: Die vermeintlich suggerierte Freiheit ist eigentlich ein großer Trugschluss, denn wer keinen festen Arbeitsplatz und keine festen Zeiten hat, tendiert dazu, zu lange und zu viel zu arbeiten und das ist auf Dauer ungesund – auch wenn es in den eigenen vier Wänden passiert. Denn Home Office heißt zwar den ganzen Tag in Jogginghose auf der Couch die anstehende Arbeit verrichten zu können, wirft aber auch die Frage auf, wann eigentlich nochmal Feierabend ist?
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Aus eigener Erfahrung weiß ich: Die Antwort ist nicht besonders eindeutig. Die Grenzen zwischen Freizeit und Arbeit verschwimmen bei diesem Modell sein Geld zu verdienen öfter als einem lieb ist. Wenn einen gerade der Ehrgeiz packt (und das ist gar nicht so selten, denn im besten Fall tun wir schließlich gerne, was wir tun), dann werden aus acht schnell doppelt so viele Stunden und das Abendessen mit dem Partner oder den Freunden zur Zerreißprobe, wenn dabei noch drei Mal das Telefon klingelt oder die baldige Deadline in Dauerschleife durch den Kopf rotiert. Arbeit ist plötzlich nicht mehr vom eigentlichen Leben zu trennen, sondern immer und überall. Das hat Vorteile, klar! Es hat aber eben auch Nachteile!
Aber nicht nur Freelancer und Selbstständige kennen dieses Problem, auch Festangestellte arbeiten häufig mehr als die besagte 40 Stunden-Regel gesetzlich vorsieht. Die Folgen kursieren seit Jahren durch alle Gesellschaftsschichten: von Burnout, physischer Erschöpfung, Depressionen bis hin zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Laut einer australischen Studie von Februar 2017 sind diese Zusammenhänge mittlerweile nicht mehr nur Mutmaßungen, sondern wissenschaftlich belegbar. In Japan gibt es für den drastischsten Fall sogar ein eigenes Wort: Karoshi heißt übersetzt soviel wie „Tod durch Arbeit“. Das klingt vielleicht makaber, dennoch zeigt schon seine bloße Existenz auf, wo wir gesellschaftlich stehen.
Ein deutliches Statement gegen diesen – unseren – fragwürdigen Lebensstil setzt die Künstlerin Irena Haiduk. Auch sie hat erkannt, dass Arbeit und Freizeit immer mehr miteinander zu verschmelzen scheinen. Und oft geht es dabei übrigens keineswegs darum, eine hippe Workaholic-Attitüde zu bedienen, sondern in erster Linie ums nackte Überleben. Mit anderen Worten: Geld verdienen und Rechnungen bezahlen.
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Frei nach dem Motto „Kleider machen Leute“ – wie bereits Gottfried Keller sehr treffend erkannte – besinnt sich die 35-jährige Serbin wieder auf den Sinn und Zweck der Uniformierung und setzt ein modisches Statement, das zum Nachdenken anregen soll. Mit ihrem Modelabel Yugoexport (ein in den USA handelsgerichtlich eingetragenes, in Paris eröffnetes, von Belgrad aus geführtes Unternehmen) präsentiert sie eine bequeme Designlinie speziell für das weibliche Personal auf der documenta 14. „Yugoform“ heißt der Look, der Teil ihrer documenta-Arbeit Seductive Exacting Realism von 2015. Speziell das ergonomische Schuhwerk wurde ausschließlich für die arbeitende, weibliche Bevölkerung entworfen und entsteht in Handarbeit in lokalen, ehemaligen jugoslawischen Manufakturen. Der sogenannte Borosana-Schuh blickt auf eine lange Geschichte zurück. „Er wurde über einen Zeitraum von neun Jahren (1960–69) in der Zentrale der Borovo-Gummiwerke in Vukovar, Jugoslawien, entwickelt. Nachdem er entworfen und von der weiblichen Belegschaft der Borovo-Werke und einem orthopädischen Chirurgen getestet worden war, war das Tragen dieser Schuhe für Frauen, die im öffentlichen Dienst arbeiteten, verpflichtend vorgeschrieben,“ heißt es erklärend auf der Seite der documenta. Auch heute wird er in der Farbe Schwarz mit weißer Sohle wieder in besagter Fabrik produziert.
Haiduks Intention, alle Menschen, die sich in irgendeiner Form weiblich fühlen, mit ihrem Look auszustatten, hat auch einen anderen Hintergrund: In einer Zeit, in der Wohlstand durch das Aufstellen von Armeen und Waffenhandel abhängig ist, möchte sie eine gesellschaftliche Gegenbewegung schaffen, in Form einer Armee – The Army of Beautiful Women. Und die formiert sich wie von selbst. Denn der Clou ist: im Rahmen der documenta werden die Sachen auch zum Kauf angeboten und geraten so in Umlauf.
Beim Kauf entscheidet man nicht nur selbst wie viel man zahlen möchte (wenig, mittel oder viel), sondern verpflichtet sich auch vertraglich, die Sachen nur während der Arbeit zu tragen und danach umgehend abzulegen. Freizeitunternehmungen im neu erstanden Outfit sind damit tabu. Die Kontrollinstanz ist das eigene Gewissen und das funktioniert bekanntlich oft besser als wir denken. Das Phänomen „Generation Homeoffice“ basiert ja ohnehin auf Vertrauen – seitens der Arbeitgeber wie -nehmer. Irena Haiduk setzt mit ihrer Arbeit nur den Impuls, der beruflichen Grenzenlosigkeit wieder Grenzen aufzuzeigen und ab und an die Arbeit einfach Arbeit und den Feierabend Feierabend sein zu lassen. Den genießt man dann am besten in einem partytauglicherem Outfit, auch wenn es wirklich verlockend erscheint, diese Schuhe nie wieder auszuziehen - so bequem sind sie!
Übrigens: nicht nur die documenta 14 befasst sich derzeit mit dem Thema, auch die Vienna Biennale steht seit 21. Juni 2017 unter dem Motto „Roboter. Arbeit. Unsere Zukunft“ und stellt sich der Frage, wie wir in Zukunft arbeiten wollen.
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