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„Ich war 38 und erfolgreiche Anwältin, als ich anfing zu koksen“

Photo: Getty Images.
Nach der Mittagspause am vergangenen Freitag stürmte ich zurück in die Kanzlei, die in einem hohen Gebäude über dem Times Square thronte. Ich musste mein Koks fürs Wochenende bestellen, bevor ich Feierabend machte. Ich schloss mein Büro ab und zog das Handy aus der Tasche. Mein Herz raste, weil ich Angst hatte, dass mich einer der Kollegen dabei erwischen könnte, wie ich am Arbeitsplatz meinen Dealer anrief. Ich musste schnell sein, ging den Verkehr im Kopf durch: Wenn ich ein Taxi nehme, bevor die Rush Hour beginnt, kann ich in 20 Minuten Downtown sein. Es gibt nichts Schlimmeres für einen Abhängigen als nicht zu wissen, wann die nächste Ladung kommt. Mein Kopf spielte mir Spielchen. Ich hatte das Gefühl, ich bräuchte für das Wochenende eine Monatsration, weil ich vor hatte, an einem Projekt für eine große Bank zu arbeiten. Der erste Entwurf sollte am Montag auf dem Tisch meines Chefs liegen. Um das so konzentriert, präzise und mit so wenig Schlaf wie nur menschlich möglich durchzustehen, brauchte ich Hilfe. Mit ein paar Lines in regelmäßigen Abständen, dachte ich, müsste meine Aufmerksamkeit gestochen scharf sein. Ich war 38, als ich anfing zu koksen. Meine große Liebe, der Alkohol, hatte mir den Rücken gekehrt. Er hatte mir beinahe den Job genommen und die Gelassenheit im Leben. Mir ging es schlecht, ich kannte nur noch zwei Zustände: Kater und Entzug. Ich dachte mir Ausreden aus, um den Lunchterminen der Firma zu entfliehen und in einer Bar trinken zu können. Den Rest des Nachmittags verbrachte ich regelmäßig damit, mich in meinem Büro zu verbarrikadieren und so zu tun, als würde ich mich unfassbar gut konzentrieren können und hart arbeiten. Der morgendliche Drink wurde zum Standard, weil es der einzige Weg war, das Zittern und die Schweißausbrüche auszumerzen, die mich aus dem Schlaf rissen. Auf meinem Nachttisch befand sich immer ein volles Glas, ganz egal ob Wein oder Wodka. Es war das Erste, was ich morgens zu mir nahm. Anstatt mich einer Entzugstherapie zu widmen, entschied ich mich dafür, diesen katastrophalen Zustand nicht zu lösen, sondern ihn auszutauschen – mit einem noch ganz anderen Problem: Kokain. Denn ein Entzug unter ärztlicher Aufsicht war keine Option für mich. Ich sah es schon vor mir, das Stigma, das mir bei der Arbeit drohen würde. Wie meine Stelle an neue, vielversprechende Junganwälte beworben wurde. Außerdem sah ich auch meine Zukunft vor mir: Es gibt eine Stelle, zwei Bewerberinnen – mich und eine andere. Sie weist einen Lebenslauf vor, der sich sehen lassen kann. Ich weise einen sehr ähnlichen vor, mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass ich eine monatelange Entzugskur hinter mir habe. Wen würden sie wählen? Also trank ich nicht. Auch an diesem Freitag nicht. Stattdessen rief ich den zuverlässigsten Dealer an, den ich kannte. Ich hinterließ meine Nummer auf seiner Mailbox, ließ mich in meinen Sessel fallen und starrte nervös auf mein Telefon. In Manhattan an Drogen zu kommen, war wirklich keine große Wissenschaft, aber ich konnte mich nicht beruhigen, solange das Telefon nicht klingelte. Innerhalb weniger Minuten ratterte mein Handy über den Tisch. Ich richtete mich auf, erschrocken, aber erleichtert, und räusperte mich, bevor ich ranging. „Hi“, sagte ich ruhig, „hier ist Lisa“. Die weibliche Stimme am Telefon klang wie immer. Sie könnte so alt sein wie ich, vielleicht sogar jünger. Sie sagte mir, dass es ein bis zwei Stunden dauern würde. Henry, der Runner, kenne meine Adresse bereits. Henry war gut aussehend, halb Grieche, halb Kubaner, Mitte zwanzig, gewelltes Haar, volle Lippen, Dreitagebart. Er war Vollzeitticker und Teilzeitstudent. Er war intelligent und trotzdem dumm genug zu glauben, dass das Dealen ihn noch groß rausbringen würde. Er sah wirklich unauffällig aus – zum Glück! So konnte kein Kollege und kein Nachbar jemals Verdacht schöpfen. Das musste ich Henry lassen. Jedes Mal, wenn er kam, hatte er eine New York Times in der Hand und meckerte demonstrativ laut über die Politik der Stadt und wie sie die Bloomberg-Administration hinterlassen hatte. Er klingelte, ich öffnete. Er schnaubte laut los, strich sich durch die Haare und zog an mir vorbei in mein Wohnzimmer. Wir führten Smalltalk, wie man es unter Bekannten eben so tut, ein obligatorisches „Wie geht es dir“, ein rhetorisches „Wie war dein Tag“. Dann schmiss er sich auf meine Couch und öffnete seinen Rucksack. Die Tatsache, dass ich keine Vorstellung davon hatte, was Henry da noch alles in seiner Tasche mit sich herumschleppte, half mir dabei, den Gedanken auszublenden, dass er irgendwem eventuell eine letzte, fatale Dosis ablieferte. Ich wollte ja nur mein Koks. Meine Abhängigkeit hatte mein Mitgefühl getötet, für Familie, Freunde, Fremde. Einmal verpasste ich den Geburtstag meiner Nichte, weil ich auf dem Weg zu ihr nach Jersey plötzlich doch noch einen Anruf von Henry erhielt, auf den ich den ganzen Tag gewartet hatte. Als ich den Taxifahrer bat, auf der Stelle wieder umzudrehen, blickte er mich ungläubig und wütend an. „Ich brauche 3-4 Gramm“, sagte ich zu Henry, während ich ihm ein Bier aus dem Kühlschrank holte. Paranoid zog ich die Vorhänge zu. Ich hatte einmal gehört, dass die Regierung alle Wohnungen ausspioniert, in die man vom Empire State Building einen guten Einblick hatte. Das wollte ich nicht riskieren. Er miss den Stoff ab, ich legte ihm 250 Dollar auf den Tisch, er zählte nach. Ich konnte nicht mehr warten und öffnete das Tütchen: „Willst du auch?“, fragte ich Henry. Ich leerte ungefähr die Hälfte des Inhaltes auf dem großen Spiegel, den ich von der Wand genommen hatte. „Klar, aber nur eine kleine Line, ich muss gleich wieder los“, antwortete Henry. Ich hatte meine AmEx und halbierte Strohhalme vorbereitet. Ich ließ ihm den Vortritt, „du bist schließlich der Gast“, auch wenn meine Knie schon zitterten. Er schob sich zwei Lines zurecht, zog sie hoch und exte sein Bier. Wir rauchten noch eine Zigarette zusammen, die Stille war angenehm. Dann klingelte sein Handy, er musste los. „Danke, dass du da warst!“, rief ich ihm hinterher, als würde ich mich von einem geladenen Gast einer hochkarätigen Dinnerparty verabschieden. „Ja, ja, bis bald“, sagte er, während er zum Aufzug lief. Ich verriegelte die Tür und seufzte erleichtert auf. Ich wusste, dass ich 60 Stunden ohne Essen, ohne Dusche, ohne eine menschliche Stimme vor mir hatte. Am Montagmorgen wachte ich mit schrecklichen Kopfschmerzen, einem zerstörten Magen und einem fertigen Projektentwurf auf. Auf meinem Nachttisch stand ein Glas Wodka. Auszug aus Girl Walks Out Of A Bar: A Memoir.
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