Dass Weight Watchers (WW), ein Diät-Konzern, dessen Wert auf fast 57,5 Mrd. Euro geschätzt wird, eines Tages für sein „body positivity“-Image gepriesen wird, habe ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können. Aber es ist soweit: In diesem Monat erscheint im Vereinigten Königreich eine „Nackt“-Ausgabe des WW-Magazins und möchte „body positivity“ – ein Begriff, der vermitteln soll, dass alle Körper losgelöst von konventionellen Kriterien schön sind – anhand von Menschen kommunizieren, die durch Weight Watchers abgenommen haben. Das berichtete die Webseite des britischen Today Magazins im vergangenen Monat.
Körper in all ihrer Vielfalt zu zeigen und zu zelebrieren finde ich großartig, den Massenmedien und Magazinen hat es sehr lange an Menschen gefehlt, die Größen jenseits der klassischen 36 repräsentieren. Jedoch ist mir die WW-Kampagne mehr als nur suspekt.
Meine Mutter schlug mir das erste Mal vor, WW auszuprobieren, als ich 14 war. Wie die meisten Eltern, die ihre Kinder an Diäten heranführen, hatte auch meine Mutter nur gute Absichten – schließlich war auch sie es, die mich davor gewarnt hat, mich nicht zu sehr ins Spiel mit Barbies zu vertiefen, da sie keine realistischen Maße darstellten. Sie war es, die mich jederzeit unterstützt, ernährt und dazu erzogen hat, eine gesunde Portion Selbstbewusstsein und -vertrauen zu entwickeln. Aber ich war nunmal ein speckiges Baby, eine pummelige Grundschülerin und ein dicker Teenager. Und sogar meine Mutter verfiel dem Glauben, dass ihre nicht-schlanke Tochter einfach nicht gesund sein konnte.
Eine ihrer Freundinnen hatte ihr vom eigenen Erfolg berichtet und davon, wie sie es mit WW geschafft hatte, endlich abzunehmen, da das bekannte Punkteprogramm ja eigentlich nicht mal eine richtige Diät sei.
Meine Mutter und ich fingen also gemeinsam an („Ein paar Pfund weniger Hüftgold tun auch mir gut!“) und wohnten wöchentlichen Treffen bei, um uns zu wiegen. Im Rahmen des Programms lernte ich Punkte anhand der WW-App zu zählen, ich erfuhr etwas über bestimmte Null-Punkte-Nahrungsmittel, die ich jederzeit zu mir nehmen konnte, aber vor allem dann, wenn mein Punktekonto schon leer sein sollte. Und ich hörte inspirierende Vorträge darüber, wie mein Leben nach dem Abschluss mit sehr viel weniger Gewicht auf den Knochen um ein Vielfaches besser würde.
An dieser Stelle möchte ich eine Sache klarstellen: Es gibt durchaus Menschen, die am WW-Programm lediglich teilnehmen, um ein paar Kilo zu verlieren, und die das Gefühl haben, es hätte ihnen wirklich geholfen – wenn das so ist, dann ist das toll! Gewichtsabnahme ist nicht gleich ungesund, schlecht oder anti-body-positive, und ich möchte mir auch nicht das Recht herausnehmen, jemanden für seine oder ihre Aktionen zu verurteilen. Es geht mir ausschließlich um meine eigenen Erfahrungen mit Weight Watchers und um die Gründe, die eine WW-Body-Positive-Kampagne für mich nicht rechtfertigen.
Weight Watchers hat sich auch für mich eine Zeit lang ausgezahlt. Aber damit meine ich, dass ich gut darin war. Es machte mir Spaß mit den Zahlen zu arbeiten, das Zuteilen der Werte passte genau in meine perfektionistischen Charakterzüge. Ich hatte innerhalb eines Jahres mein Zielgewicht erreicht – eine Zahl, die mich anstrahlte, mir ein glücklicheres, gesünderes, disziplinierteres Leben versprach. Ein erfolgreicheres Ich. Sogar während einer wochenlangen Wanderung durch Spanien zählte ich Punkte, und als ich heimkehrte, erwarteten mich nichts als Komplimente. „Wow, ich muss diesen Spanientrick unbedingt auch ausprobieren!“ und „Du siehst GROßARTIG aus!“
Mein soziales Leben wurde viel einfacher und Männer bemerkten mich endlich. Zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich Jeans kaufen gehen, ohne in Scham zu verfallen, in Schweiß auszubrechen oder meine Größe aus einem versteckten Stapel hervorsuchen zu müssen. Mein Selbstbewusstsein war ganz oben. „Warum sollte ich ausgerechnet jetzt aufhören?“
Als sich so langsam der Herbst ankündigte, das neue Schuljahr begann und ich nicht mehr 20km am Tag joggen konnte, fiel es immer schwerer, die Zahlen auf der Waage zum Sinken zu bringen. Durch einen schweren Infekt und die Anweisung meines Arztes, mich nicht aus dem Bett zu bewegen, bis ich wirklich wieder gesund war, begann ich wieder zuzunehmen.
Es war alles, wovor ich mich zu dieser Zeit fürchtete. Der Gedanke daran, wieder zuzunehmen, war schlimmer als die Möglichkeit in der Schule durchzufallen oder keine Freunde mehr zu haben.
Ich fühlte mich wie ein Stück Müll. Eine Versagerin. Als hätte ich es nicht verdient, zu leben. Jetzt, da ich meine eine Chance aufs Dünnsein verspielt hatte, fing ich an, alles Essbare in mich reinzustopfen, was sich mir präsentierte. Ich hatte keine lockere, gemütliche Kleidung mehr, die mir noch passen würde, da ich alle Pre-Weight-Watchers-Sachen ob meines Diäterfolgs weggegeben hatte. Regelmäßig wachte ich mit einem immensen Blähbauch auf, mit einem schweren Magen, als würde mir all das heruntergeschlungene Essen vom Vorabend noch kiloschwer im Magen liegen, und versprach mir selbst jeden Tag von Neuem anzufangen.
Der Abend, an dem ich endlich Binge-Eating googelte, war der selbe Abend, an dem ich dabei wiederfand, wie ich mich im Badezimmer einsperrte, mit einer Schüssel voller Mikrowellen-Kuchen nach WW-Rezept, die ich im Nu verschlang. Die Schüssel spülte ich direkt ab um alle Beweismittel zerstört zu haben.
Nach mehreren Jahren in Therapie und mit mehr Bewusstsein für intuitives Essverhalten weiß ich jetzt, dass ich mit meiner Erfahrung kein Einzelfall war, oder bin. Tatsächlich ist das erneute Zunehmen von Gewicht, welches man durch eine Diät abgenommen hat, auch auf lange Frist, genau der Effekt, den eben alle Gewichtsverlustmaßnahmen mit sich bringen, auch solche lockeren Produkte wie Weight Watchers.
„Es ist natürlich, dass Menschen, die – über kurze oder längere Zeit – eine Diät gemacht haben, danach wieder anfangen, gestörte Essverhalten an den Tag zu legen“, so Dr. Chrissy Harrison in einer Email.
„Jeder Mensch hat ein genetisch festgelegtes Gewicht, bzw. einen gewissen Bereich, in dem er sich bewegt, und wenn man diese natürliche Grenze einmal diättechnisch erheblich unterschreitet, tut ein gesunder Körper quasi alles, um einen wieder zum Essen zu bringen“, fügt sie noch hinzu. „Er schüttet Hormone aus, die uns hungrig werden lassen und schaltet solche ab, die uns Sättigung verspüren lassen. Der Körper zwingt einen über kurz oder lang zu kohlehydrat- und zuckerreichen Nahrungsmitteln, welche die schnellstmögliche, aber auch ungesündeste Art von Energie liefern.“
„Das sind oft Speisen, die in Diäten explizit auf ein Minimum reduziert, wenn nicht sogar ganz verbannt werden. Wer sich selbst kategorisch von einer Sache fernhält, der will sie irgendwann umso mehr, und so beginnt das sogenannte Binge-Eating [ein unkontrolliertes Schlingen und Stopfen] oder ein emotionales Essen, mit dem man sich nur auf genau diese Dinge stürzt, die man eigentlich nicht essen darf“, sagt Harrison abschließend. „Als nächstes diszipliniert man sich wieder, und so setzt sich der Teufelskreis fort.
Mittlerweile bin ich überzeugt, dass ich so oder so wieder zugenommen hätte, auch ohne die Krankheit, die mich wochenlang nicht fasten und trainieren ließ. So reagieren nämlich die meisten Körper auf unnatürliche Essensenthaltung. Und was Weight Watchers angeht, und die Ansicht, es sei aufgrund seines flexiblen Punktesystems keine richtige Diät: „Lassen Sie sich nicht vom Marketing beirren. Weight Watchers ist eine Diät wie jede andere auch. Es steht doch im Namen! Man soll sein Gewicht im Auge behalten. Das Unternehmen heißt ja nicht etwa ‚Lerne dich selbst schön zu finden‘ oder ‚Der reflektierte Weg zum richtigen Umgang mit Essen‘.“
Außerdem verleite das Punktesystem zu einer Sucht, das Essen zu kategorisieren, was schnell auch notwendige Faktoren wie Spaß und Genuss eliminiere.
Wenn Weight Watchers also stilisierte Schwarz-Weiß-Fotografieren von nackten Frauen auf dem Deckblatt der unternehmenseigenen Zeitschrift abbildet, hat das für mich nicht im Entferntesten mit Akzeptanz, positiver Einstellung, ausgewogener Ernährung oder Selbstliebe zutun. Alles, was ich sehe, ist eine brilliante Marketingstrategie. Das milliardenschwere Unternehmen möchte auf den Zug der Positivität aufspringen und macht aus einer Diät kurzerhand einen „gesunden Ernährungsplan“.
Weight Watchers hat meinen Körper damals nicht zelebriert, kein einziges Mal, als ich an einem Samstagmorgen vor den Betreuern auf die Waage ging. Es hat mich nicht dazu ermutigt, in Form einer ganzheitlich gesünderen Lebensweise achtsamer und weniger streng mit mir zu sein und mein Inneres zum Strahlen zu bringen. Bis es das schafft, müssen die Menschen hinter dem Markenfabrikat mehr tun, als nur Worte zu würfeln.
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