Sorry, Not Sorry: „Ich habe weder Trump noch Clinton gewählt, weil das Zweiparteiensystem nicht funktioniert“
Nicole Nesrsta findet, es sei eine Verschwendung, sich in einer Wahlsituation für das „kleinere Übel“ zu entscheiden.
Deshalb hatte die 28-Jährige beschlossen, ihre Stimme weder Hillary Clinton (von der sie nach eigenen Angaben noch nie überzeugt war) noch Donald Trump (den sie „als Mensch“ schier unvertretbar findet) zu geben. Stattdessen wählte Nesrsta, die in Florida lebt, einem sogenannten Swing State, den libertären Gary Johnson.
„Ich dachte mir ‚Das kann es doch nicht gewesen sein. Das können nicht meine einzigen zwei Optionen sein‘“, so Nesrsta. „Als ich mir Johnsons Facebook-Seite anschaute, hatte ich das Gefühl, er sei der einzige Kandidat, mit dem ich leben könnte.“
Umfragen zeigten bereits vor der Wahl, dass Clinton an Zuspruch in der Bevölkerung verliert. Seit einigen Stunden steht es nun fest: Donald Trump wird der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Auch Florida hat sich zu seinen Gunsten entschieden.
In Anbetracht der Prekarität dieser Wahl hatten beide großen Mehrheitsparteien um die Stimmen der unentschlossenen Bürger und Bürgerinnen gebuhlt. Die Angst, dass das Abwandern von Wählerstimmen hin zu Johnsons Libertarian Party oder Jill Steins Grünen sie entscheidende Punkte kosten könnte, war durchaus begründet.
Doch vor allem für die Demokraten bedeutete dies eins: böse Erinnerungen an das Wahlfiasko von 2000, als Ralph Nader als dritter Kandidat im Rennen dafür zur Verantwortung gezogen wurde, dem demokratischen Kandidaten Al Gore Stimmen weggenommen zu haben, was wiederum zum erneuten Sieg von George W. Bush.
Das alles hat Nesrsta nicht zurückgehalten, ihre Stimme für Johnson einzureichen – und sie war nicht allein: Geschätzte 20 Prozent aller Wähler haben sich gegen beide Kandidaten der großen Parteien ausgesprochen. Das ist die höchste Rate von „Drittparteiwählern“, die es in der US-amerikanischen Wahlgeschichte jemals gegeben hat. Und Johnson könnte davon als erster Libertarian profitieren.
Nesrsta wiegt sich sicher in ihrer Entscheidung, auch wenn viele diese Art der Wahl als „verschwendet“ oder sie als „Protestwahl“ ansehen.
In einer erzkonservativen Familie groß geworden, wuchs sie i im rotesten Staat auf, dem am stärksten republikanischen Texas. Auf die Highschool ging sie dann in Florida, ein Staat, der schon immer unentschlossen und wesentlich wichtig ist. Von dem Zwang, republikanisch wählen zu müssen, hat sie sich befreit.
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„Bis ich aufs College ging, hatte ich zum Beispiel nie eine jüdische Person kennengelernt. So beschränkt war meine Welt bis zu diesem Zeitpunkt“, erinnert sich die 24-Jährige. „Seitdem haben sich viele Dinge geändert. Ich traf das erste Mal auf homosexuelle Menschen. Zum ersten Mal beschäftigte ich mich mit Menschen unterschiedlicher Herkünfte, Religionen und Weltanschauungen, meine Einstellung zu Abtreibung hat sich auch geändert. Ich fing an, die Welt zu bereisen, das hat meinen Horizon geöffnet. Jetzt betrachte ich alles sehr viel weitsichtiger.“
2008 stimmte Nesrsta für McCain, doch schon vier Jahre später war sie unentschlossen: Weder Barack Obama noch Mitt Romney sagten ihr zu, also wählte sie gar nicht.
Doch diesmal sollte alles anders sein.
„Ich dachte eigentlich, dass Trumps Kandidatur ein Werbegag ist, und habe weiterhin auf Jeb Bush gehofft“, erzählt sie im Interview. „Ich kann nicht für Trump stimmen. Es hat nichts damit zutun, ob ich eine Frau bin oder nicht, es ist als Mensch ganz einfach nicht möglich, nicht vertretbar.“
Doch auch zu Clinton konnte sie sich nicht überwinden. Die 30 Jahre Erfahrung von Hillary sieht sie eher als Belastung an.
„Ich finde Hillary, und die Art und Weise, wie sie sich in den Vordergrund gedrängt hat, korrupt“, sagt sie. „Ich bin bereit für etwas Neues, für jemanden, der nicht dem politischen Establishment angehört und mit diesem System groß geworden ist.“
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Mit meiner Stimme für Johnson wollte ich laut und deutlich sagen, dass wir andere, weitere Optionen brauchen.
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Im Gegensatz dazu findet sie Johnson erfrischend, trotz seiner nicht seltenen Momente der Fremdscham, für die er immer wieder von allen Seiten kritisiert wurde. Doch für Nesrsta ist das nicht ausschlaggebend. Über die famos misslungene Aleppo-Fragestellung sagt sie: „Ich habe die ganze Zeit nur gedacht, Wenn Trump da säße, hätte er einfach Geschichten erfunden und weiterhin so getan, als wüsste er, wovon die Rede ist. Aber ich mochte den Fakt, dass Johnson zugegeben hat, dass er es nicht wusste“, so Nesrsta. „Er ist schließlich nicht der einzige hochrangige Politiker, dem es an geografischer Bildung fehlt.“
Nesrsta war sich von Anfang an bewusst, dass ihre Wahl nicht zu einem Sieg für Johnson führt. Doch sie hat die Hoffnung, dass die Abwanderung der Stimmen von den Mainstreamparteien hin zu den kleineren ein Zeichen setzt – ein Zeichen dafür, dass das Zweiparteiensystem nicht länger funktioniert.
„Man sollte so wählen können, wie man möchte. Jede Stimme sollte allein gesehen werden. Man sollte sie nicht der Masse anpassen müssen. Ständig wird einem gesagt, dass man wählen soll, um gehört zu werden“, so Nesrsta, „und das habe ich getan. Mit meiner Stimme für Johnson wollte ich laut und deutlich sagen, dass wir andere, weitere Optionen brauchen.“
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