Ich bin 35 alt und war den Großteil der letzten sieben Jahre single. In dieser Zeit war ich allein bei unzähligen Hochzeiten, JGAs und Familienpartys – und trotzdem war mir mein Beziehungsstatus noch nie so präsent wie jetzt.
Während das Coronavirus die Welt fest im Griff hat, sehe ich so langsam der Tatsache ins Auge, dass ich komplett allein in meiner Wohnung wäre, wenn es zu einer Ausgangssperre kommt. Und abgesehen vom Thema Einsamkeit: Was, wenn ich krank werde und sich niemand um mich kümmern kann? Diese Gedanken haben meine Ängste in den letzten Tagen in die Höhe schießen lassen.
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Ich bin jemand, der sich normalerweise für Single-Positivity einsetzt. Deswegen fällt es mir jetzt auch schwer, dass sich ein Teil von mir gerade wünscht, ich hätte einen Partner, der in guten und bösen Tagen, in Gesundheit und in Krankheit an meiner Seite ist. Wie viele andere checke ich die Nachrichten aktuell praktisch pausenlos. Dabei bin ich auch auf Artikel gestoßen, die Tipps geben, wie man die Quarantäne erträglicher machen kann. Allerdings richten die sich so gut wie alle an Menschen, die in WGs leben oder mit Kindern zu Hause ausharren müssen. Tipps für Personen, die allein leben, finde ich jedoch kaum welche – obwohl es allein in Deutschland etwa 17,33 Millionen Einpersonenhaushalte gibt.
Die Einstellung scheint zu sein, dass wir das schon überstehen werden; es wird uns leichtfallen, uns zu isolieren. Ich wünschte, die Menschen würden einen Moment mal an die Personen denken, die allein sind. Eine Quarantäne oder Ausgangssperre – egal, wie lang sie ist – fühlt sich besonders beängstigend an, wenn du niemanden hast, mit dem du es zusammen durchstehen kannst.
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Ich werde dieses schreckliche Gefühl nicht los, dass die Wände immer näher kommen.
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Mich trifft es ohnehin schon dreifach: Ich bin eine alleinstehende, alleinlebende Freelancerin. Aber bisher habe ich einfach darauf geachtet, mich regelmäßig mit zum Kaffee, zum Dinner oder für Drinks mit Freund*innen zu treffen oder auf Events zu gehen, damit ich nicht vereinsame und wenigstens ein paar soziale Interaktionen habe. Auch, wenn uns unsere Regierung bisher noch nicht verboten hat, das Haus zu verlassen, bekomme ich jeden Tag Emails und WhatsApp-Nachrichten, in denen Verabredungen abgesagt werden. Ich werde dieses schreckliche Gefühl nicht los, dass die Wände immer näher kommen. Zwar habe ich das Glück, nicht einer der Risikogruppen anzugehören, aber ich weiß auch, was passiert, wenn ich zu lang allein bin.
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Vor ein paar Jahren lebte ich eine kurze Zeit in Berlin. Dort erlebte ich eine der schlimmsten Depressionsphasen meines Lebens. Es begann, als ich krank war und deswegen zu Hause in meiner Wohnung festsaß. Ich kannte fast niemanden in der Stadt und wollte Freund*innen, die ich gerade erste kennengelernt hatte, nicht um Hilfe bitten. Die Woche zog sich ewig hin und obwohl ich mich danach körperlich besser fühlte, war ich nicht dazu in der Lage, mein Bett zu verlassen. Ich machte damals ein Praktikum und meldete mich krank. Im Nachhinein wünsche ich mir fast, sie hätten mich dazu gezwungen, trotzdem arbeiten zu kommen. Denn die nächsten paar Wochen verbrachte ich damit, in meinem Bett zu liegen, Gilmore Girls zu schauen und Takeaway zu essen. Ich fühle mich so allein, dass es mir körperlich weh tat.
Erst, als zwei meiner besten Freundinnen nach Berlin kamen, um mich zu besuchen (der Besuch stand schon lange fest), konnte ich dem Teufelskreis entkommen. Ich mag zwar single und unabhängig sein, aber das heißt nicht, dass ich keine anderen Menschen brauche.
Natürlich leidet nicht jeder Single wie ich unter psychischen Problem, doch Einsamkeit und soziale Isolierung haben reale Konsequenzen. Es geht um mehr als nur darum, es zu vermissen, andere um sich zu haben. Untersuchungen zeigen, dass Isolation eine Kettenreaktion in Gang setzen kann, die sich auf die seelische und körperliche Gesundheit auswirken kann. Studien zeigen sogar, Einsamkeit kann so gefährlich sein, wie täglich 15 Zigaretten zu rauchen.
Dazu kommen Alltagsprobleme. Kurz nachdem ich nach London gezogen war, hatte ich einen schlimmen Magen-Darm-Infekt. Als ich mich endlich nicht mehr übergeben musste, wollte ich vorsichtig wieder anfangen, zu essen, aber ich hatte nichts in der Wohnung, was gut verträglich war. Zwar war direkt auf der anderen Straßenseite ein Shop, aber ich war so schwach, dass ich es nicht mal bis dorthin schaffte. Also schrieb ich einer Freundin, ob sie mir etwas zu Essen vorbeibringen könnte. Als sie kurz darauf vorbeikam und ich sie sah und wusste, jemand ist für mich da ist, ging es mir direkt besser. Der Gedanke, etwas ähnliches noch mal allein durchmachen zu müssen, erfüllt mich großer Angst.
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Laut dem Office for National Statistics (ONS) gehört Großbritannien zu den einsamsten Städten Europas. Ein Grund dafür ist, dass die meisten von uns unsere Nachbar*innen nicht kennen – im Gegensatz zum Großteil der Menschen in den USA, zum Beispiel. Traurigerweise werde ich diesem Klischee absolut gerecht. Ich kenne zwar meinen Vermieter, der unter mir wohnt, aber der einzige Nachbar, den ich ansonsten kannte, ist kürzlich verstorben.
Das Beunruhigende: Laut ONS hat ein Großteil der Bevölkerung ohnehin schon niemanden, der oder die ihm in einer Krise helfen kann. Und da wurde jetzt noch nicht mit eingerechnet, dass Personen, die einem sonst helfen könnten ausfallen könnten, sollten sie selbst das Coronavirus bekommen.
Während andere Vorräte anhäufen und sich darauf vorbreiten, längerfristig im Home Office zu arbeiten, frage ich mich, ob ich raus aus London und hin zu meinen Eltern aufs Land fliehen sollte – nach Shorpshire im Westen Englands. Schließlich empfiehlt Mind, eine Wohltätigkeitsorganisation für mentale Gesundheit, Menschen mit psychischen Problemen, zu Freund*innen oder der Familie zu gehen, wenn es möglich ist. Mir ist bewusst, dass manche Menschen diese Option gar nicht erst (oder durch die Reiseeinschränkungen nicht mehr) haben. Und ich bin extrem dankbar, dass ich sie habe. Mind betont außerdem, wie wichtig es ist, Kontakt zu den Lieben halten und Videoanrufe auszumachen.
Die sozialen Medien stehen oft in der Kritik, aber in dieser außergewöhnlichen Situation, in der wir uns befinden, werden Onlineplattformen zu Lebensrettern werden. Du kannst zum Beispiel deinen Facebook-Account mal wieder aktivieren und nach Gruppen gucken, die sich an Singles wenden. Und falls du keine passende findest, gründest du einfach selbst eine! Ansonsten hilft es dir vielleicht auch, Datingapps zu verwenden – um wenigstens mit anderen Singles schreiben zu können, denen es wie dir geht. (Dass du dich aber bitte nicht täglich mit fremden Menschen treffen sollst, versteht sich hoffentlich von selbst – man kann gar nicht oft genug sagen, wie wichtig Social Distancing ist!)
Natürlich ist mir bewusst, dass nicht jeder Single auf der Welt ein Fan der sozialen Medien ist; manche haben vielleicht noch nicht mal Zugang zum Internet! An diese Menschen denke ich im Moment besonders. Wenn du jemanden in deinem Bekanntenkreis hast, ruf ihn oder sie einfach mal an. Das kostet dich nichts und erhellt den Tag von euch beiden ein kleines bisschen.
Es gibt noch etwas Anderes, was einen sehr großen Teil meiner Zeit in den letzten Tagen beansprucht hat – abgesehen von der Onlinerecherche. Und das ist, mit meinen besten Freund*innen zu reden. Wir alle machen uns auch unterschiedlichen Gründen Sorgen. Manche haben Eltern mit Vorerkrankungen; andere sind hochschwanger und haben Angst davor, die Geburt ganz allein im Krankenhaus durchstehen zu müssen, weil ein Besuchsverbot gilt. Manche leiden an psychischen Krankheiten, die jetzt noch verstärkt werden. Die eigenen Gefühle mit anderen Menschen zu teilen, kann sehr hilfreich sein. Es kann dafür sorgen, dass du dich nicht mehr so allein und einsam fühlst. Wer weiß, wie lange die aktuelle Situation noch andauern wird, also versuche am besten jetzt schon, dir eine kleine Routine aufzubauen und deinen Tag zu planen – von Sport machen über netflixen bis hin zum Skype-Kaffeetrinken mit der Oma.