Wenn mein Handy klingelt, kriege ich direkt Schiss. Wer kann das sein? Ein Betrüger? Meine Ärztin? Es muss was Ernstes sein. Wer kann denn jetzt was von mir wollen? Meine Freund:innen rufen mich nie einfach so an; ich facetime höchstens mal alle paar Monate mit ein paar Freund:innen, die weit weg wohnen. Wie so viele andere benutze ich mein Handy zum Arbeiten, zum Schreiben mit Freund:innen, zum Organisieren meines Lebens – und trotzdem finde ich Benachrichtigungen jeder Art einfach gruselig. Deswegen fühlte ich mich bis vor Kurzem größtenteils einfach ziemlich unruhig, gereizt und überfordert.
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Das ist nicht so überraschend, wenn du mal bedenkst, in welchem Zustand sich unsere Welt gerade befindet. Allein schon ein kurzes Lesen der Nachrichten kann heutzutage ziemlich anstrengend sein; trotzdem fühlen wir uns schuldig, wann immer wir uns dazu entscheiden, wegzuschauen. Durch diverse Kriege, den Klimawandel und die gestiegenen Lebenshaltungskosten ist es verständlich, dass wir uns oft danach sehen, alles Unangenehme oder Überwältigende einfach mal auszublenden. Und manchmal kann es dann eben passieren, dass du kaum noch die Energie hast, um deinem Bumble-Match zu antworten, während du dich gerade auf die Arbeit konzentrieren willst, dir den endlosen Hunde- und Baby-Content in deiner Familien-WhatsApp-Gruppe anzugucken, oder die Tausenden Werbe-Newsletter abzubestellen, die dein Postfach verstopfen.
Trotzdem lege ich mein Handy quasi nie zur Seite. Ich bin die Art von Mensch, die ihr Handy bei Festivals auf dem Dixieklo liegen lässt, und die es selbst mit zum Duschen ins Bad nimmt, um dabei Musik hören zu können (und bloß nicht mit meinen Gedanken allein sein zu müssen). Über Weihnachten 2022 nahm ich mir aber zehn Social-Media-freie Tage, und die waren anstrengender als gedacht. Ich konnte meinem Handy nur entfliehen, indem ich mich verabredete, kochte oder spazieren ging – sprich: alles, was meine Hände vom Scrollen ablenkte. Denn das Handy sorgte dafür, dass ich mich auf nichts anderes konzentrieren konnte; selbst beim Filmgucken wanderten meine Finger zwangsläufig über meinen Bildschirm. Das Gefühl, immer erreichbar zu sein, stresste mich extrem. Aber irgendwie konnte ich mich davon nicht lösen.
Zumindest, bis ich über die beste Handyfunktion aller Zeiten stolperte. Apple führte den „Nicht stören“-Modus 2012 wieder ein, und den benutze ich schon seit paar Jahren immer wieder – seit einem Jahr aber durchgehend. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, steht mein Handy auf „Nicht stören“ und benachrichtigt mich weder zu WhatsApp-Nachrichten, Social-Media-Updates, E-Mails, News-Push-Mitteilungen oder irgendwelchen anderen Pop-ups, die meinen geliebten Bildschirm so schnell überladen.
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Vor ein paar Jahren hatte ich das so ähnlich schon mal ausprobiert. Weil ich mich darüber beklagt hatte, dass ich andauernd von meinem vibrierenden Handy abgelenkt wurde, hatte mir ein Freund ein altes Nokia-Tastenhandy geliehen. Wenn mich jemand dringend erreichen wollte, konnte man mich darauf anrufen (und das kam kaum vor). „Nicht stören“ funktioniert ähnlich: Es lässt mir den Freiraum, alle Nachrichten zu ignorieren, bis ich den Kopf dafür frei habe, zu antworten – und ich kann mich auf andere Dinge konzentrieren und zum Beispiel ungestört ein Buch lesen.
Wenn ich Zeit mit Freund:innen und Verwandten verbringe, möchte ich außerdem ganz da sein – und nicht dem Typen von Tinder antworten oder mich durch TikTok scrollen. Obwohl Tinder und TikTok mir beide irgendwie wichtig sind und in meinem Leben auch durchaus ihre Daseinsberechtigung haben, würde ich sagen, dass es inzwischen als unhöflich gilt, in Gesellschaft am Handy zu hängen. Während ich mit Freund:innen in der Bar sitze, will ich mit ihnen reden – ganz egal, dass wir dann doch oft über TikToks oder Typen von Tinder sprechen.
Wenn ich anderen erzähle, dass mein Handy durchgehend auf „Nicht stören“ steht, sind sie oft schockiert. „Aber was, wenn dich jemand dringend erreichen muss? Hast du deswegen schon mal was Wichtiges verpasst?“ Darauf antworte ich meistens: Haben denn unsere Eltern oder Großeltern früher was verpasst, vor dem digitalen Zeitalter? Vielleicht – aber gehört das nicht auch zum Leben dazu. Meine Freund:innen wissen, dass sie mich am besten zweimal anrufen, weil beim ersten Anruf nur meine Voicemail rangeht, der zweite aber direkt zu mir durchkommt. Für Notfälle habe ich vor Kurzem meine „Nicht stören“-Einstellungen geändert, damit Benachrichtigungen von meiner Familie trotzdem ankommen (was ich wegen meiner vier Familien-WhatsApp-Gruppen sofort bereut habe).
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In einer Welt, in der uns alles schnell überfordern kann, ist es wichtiger denn je, unsere Zeit und unser Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen. Nur erreichbar zu sein, wenn ich es sein will, bringt mir viel dringend nötige Ruhe in mein Leben.
Trotzdem könnte ich nicht ganz aufs Handy verzichten. Immerhin kann es durchaus mal passieren, dass mich wirklich jemand dringend erreichen muss. Leider sind die Nachrichten, auf die viele Leute eine schnelle Antwort erwarten, nur selten wirklich dringend. Dein Haus steht nicht in Flammen – du willst bloß wissen, ob ich Sonntag Zeit zum Brunchen habe. Und hey, wenn dein Haus dann doch brennen sollte, ruf mich bitte einfach zweimal an.
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