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Das Schwierigste am Dating ist, über meine psychische Erkrankung zu sprechen

Wenn du jung bist, denkst du, Dating ist ein Kinderspiel. Filme und Serien stellen es schließlich immer so dar, als wäre das Schwierigste an der ganzen Sache, das perfekte Outfit zu finden. Die Realität sieht jedoch etwas anders aus. Für mich zumindest. Ich wäre froh, wenn Klamotten mein größtes Problem wären und ich mir ausschließlich darüber den Kopf zerbrechen würde. Stattdessen bestimmen bei mir vor dem ersten, zweiten und dritten Date allerdings folgende Fragen meine Gedanken: Ist es zu früh, ihm von meiner psychischen Erkrankung zu erzählen? Was, wenn ich es ihm einfach (noch) nicht sage? Bekomme ich dann aus lauter Sorge, wie er reagieren könnte, mitten beim Essen eine Panikattacke?
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Seit ich 18 bin, leide ich an Depressionen, Panik- und Angststörungen. Zu meinen Symptomen gehören Panikattacken, Zwangs- und manchmal auch Selbstmordgedanken. Und obwohl meine Erkrankung mich nicht definiert, beeinflusst sie mein tägliches Leben ziemlich stark.
Zum Zeitpunkt der Diagnose war ich gerade kurz davor, zur Uni zu gehen. 2014 ist zwar noch gar nicht so lange her, doch mentale Gesundheit war damals noch ein echtes Tabuthema. Zwar war ich auf der einen Seite froh, endlich zu wissen, was der Grund für meine Symptome war, doch auf der anderen Seite machte ich mir auch Sorgen, wie die Diagnose mein Leben beeinflussen würde – von neuen Freundschaften bis hin zu meinem Liebesleben. Ich verstand meine psychischen Erkrankungen damals kaum selbst, wie sollte ich sie also jemand anderem erklären? Würde es andere abschrecken, wenn ich von meinen Problemen erzähle? Würden sie Abstand von mir nehmen, weil sie die ganze Sache überfordert?
Besonders schwer fand ich es, von meinen Suizidgedanken zu erzählen. Das ist ein ziemlich düsteres Thema und nicht jede*r möchte darüber sprechen. Oft sage ich deswegen nicht direkt, dass ich mir manchmal wünsche, zu sterben. Stattdessen erkläre ich, dass mir manchmal einfach alles zu viel wird. Und dann frage ich mich: Versteht jemand, den ich gerade erst kennengelernt habe, was ich damit meine? Und wenn ja: Fühlt er oder sie sich dadurch eingeschüchtert oder ängstlich?
Als ich endlich beschloss, über meinen eigenen Schatten zu springen und Männer zu treffen, war eines meiner ersten Dates mit einem Typen, der meine Ängste für Schüchternheit hielt – verständlich, denn wir hatten zu dem Zeitpunkt ja noch nicht über meine Psyche gesprochen. Ein paar Wochen später schrieben wir eines Abends miteinander. Ich fühlte mich gerade besonders ängstlich und begann deswegen, mir zu viele Gedanken zu machen. Schließlich beschloss ich, mich ihm gegenüber zu öffnen. Seine Antwort? „Wenn du aufhören würdest, dir ständig den Kopf zu zerbrechen, wärst du sicher nicht mehr so ängstlich.“
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Das war nicht die Reaktion, die ich mir erhofft hatte. Im Gegenteil. Ich fühlte mich absolut missverstanden, ungehört und abgewiesen. Wahrscheinlich meinte er es eigentlich nur gut und ich werfe ihm das auch nicht vor. Schließlich ist noch nicht jede*r mit dem Thema psychische Gesundheit in Berührung gekommen und kennt sich damit aus. Aber es war offensichtlich, dass er mich einfach nicht verstand.
Kurz darauf trennten sich unsere Wege. Wir beschlossen gemeinsam, es zu beenden, weil wir einfach zu verschieden waren. Und dafür kann ja auch niemand was, also war es auch okay für mich. Doch was mich noch lange beschäftigte war, dass ich mich nach dem ersten Versuch nie wieder getraut hatte, mit ihm über meine mentale Gesundheit zu sprechen. Und die Angst, noch mal mit einer ähnlichen Reaktion umgehen zu müssen, begleitete mich noch lange – auch bei nachfolgenden Dates mit anderen Männern.
Wenn du einem potenziellen neuen Partner oder einer potenziellen neuen Partnerin von deinen psychischen Problemen erzählst, machst du dich dadurch verwundbar. Und obwohl ich auch ein paar positive Erfahrungen gemacht habe – am besten ist es immer, wenn es der oder dem anderen ähnlich geht wie mir und wir Stunden damit verbringen, uns gegenseitig Geschichten zu erzählen –, bereite ich mich innerlich immer auf negative Reaktionen vor.
Was die ganze Angelegenheit noch verzwickter macht ist, dass es sich manchmal im Nachhinein als richtig schlechte Entscheidung erwiesen hat, mich nicht zu öffnen. Als ich beispielsweise 2015 auf ein erstes Date ging, drängten sich plötzlich Zwangsgedanken auf. Alles, woran ich denken konnte, war: Was, wenn du jetzt eine Panikattacke bekommst? Und dann bekam ich tatsächlich eine. Ich konnte kaum noch atmen, verspürte aber mehr Scham als Angst, weil mich mein Date in so einem Zustand erleben musste. Ich musste sogar ins Krankenhaus. Mein Date hatte mich netterweise begleitet und im Wartezimmer gewartet, bis man mich fertig untersucht hatte. Dann erzählte er mir von seinen eigenen psychischen Problemen, was, wie bereits gesagt, mein Lieblingsszenario ist, weil ich mich dann direkt wohler fühle, wenn ich mit meinen Problemen nicht allein dastehe. Außerdem machte er Andeutungen auf ein zweites Date und haute noch den ausgelutschten, aber trotzdem irgendwie romantischen Spruch raus: „Ich habe das Gefühl, das Universum hat uns aus einem bestimmten Grund zusammengeführt“. Doch kurz nachdem wir uns verabschiedet hatten, bemerkte ich, er hatte meine Nummer blockiert. Den Rest des Abends verbrachte ich heulend in meinem Bett.
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Meine Reaktion hatte nichts damit zu tun, dass ich ihn nie wieder sehen würde (andere Mütter haben auch schöne Söhne). Ich machte mir eher Sorgen, dass er mich wegen meiner psychischen Probleme verurteilt hatte. Und das führte wiederum zu der Überlegung, andere Menschen in meinem Leben könnten meine mentale Gesundheit ebenfalls als belastend empfinden. Es wäre mir lieber gewesen, er hätte mich einfach in ein Taxi gesteckt, sich verabschiedet und mir dann eine höfliche Nachricht geschrieben à la: „Hoffe dir geht’s bald wieder besser und alles ist okay. Leider glaube ich nicht, dass das was mit uns wird, sorry. Aber ich wünsch dir alles Gute“. Doch mir falsche Hoffnungen zu machen und mich so zu täuschen war einfach scheiße von ihm.
Diese frühen Datingerfahrungen waren nicht leicht für mich, aber prägend. Heute gehe ich das Thema mentale Gesundheit ganz anders an. Ich sage zwar vielleicht die gleichen Dinge, doch es geht mir dabei anders. Schließlich war ich damals 18 Jahre alt und hatte gerade erst meine Diagnose bekommen. Jetzt bin ich 25 und in den letzten Jahren hat sich viel verändert. Ich habe eine Therapie gemacht und ein Antidepressivum gefunden, das mir hilft (was gar nicht so leicht war, aber das ist eine andere Geschichte). Ich bin älter, reifer und selbstbewusster. Ich mache mir jetzt nicht mehr so viele Gedanken darüber, was andere von mir halten könnten. Und ich versuche, mich selbst an erste Stelle zu setzen.
Außerdem habe ich realisiert, ein großer Teil des Problems waren die Personen, die ich gedatet habe. Ich fühlte mich zu Männern hingezogen, die sich mehr für sich selbst interessierten als für irgendjemand anderen. Ich habe viele Unterhaltungen geführt, die nicht so verlaufen sind, wie ich es mir gewünscht hätte. Doch als ich aufhörte, meine Zeit für Typen zu opfern, denen ich am Ende komplett egal war, nahm auch die Anzahl an unangenehmen, frustrierenden und verstörenden Vorfällen, wie ich sie zuvor beschrieben habe, ab.
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Dazu kommt, psychische Gesundheit ist mittlerweile kein so großes Tabu mehr wie noch vor ein paar Jahren. Deshalb fällt es mir generell auch leichter, darüber zu reden. Tatsächlich ist es heute so, dass meine Gesprächspartner*innen das Thema oft sogar zuerst ansprechen! Das macht es mir natürlich einfacher, anschließend von meinen Erfahrungen zu berichten.
Und trotzdem mache ich mir immer noch etwas Sorgen, bevor ich das erste Mal mit einer neuen Person darüber rede. Ich frage mich, wie meine Ängste bei anderen ankommen. Paradoxerweise tendiere ich dennoch dazu, eher zu viele persönliche Informationen preiszugeben als zu wenige. Ich denke das liegt wahrscheinlich daran, dass ich realisiert habe, dass ich mich so lange unwohl fühle, bis die Katze aus dem Sack ist. Dank Erfahrungen wie der Krankenhaus-Date-Geschichte weiß ich, ich fühle mich in der Gegenwart einer fremden Person ängstlich oder panisch, solange er oder sie nichts von meinen psychischen Problemen weiß. Habe ich ihm oder ihr dann davon erzählt, gibt es wenigstens einen Zwangsgedanken weniger, um den ich mich kümmern muss.
Auch, wenn ich mir manchmal wünsche, meine Psyche würde in meinem Datingleben keine Rolle spielen, kann ich zumindest sagen, es ist einfacher für mich geworden und ich bin mittlerweile viel selbstbewusster. Ich weiß das ich Liebe und Freundschaften verdiene. Wir alle verdienen sie und sollten uns von niemandem etwas anderes einreden lassen – auch nicht von unserer Psyche.
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Wenn du selbst an einer Depression, Panik- oder Angststörung leidest oder eine Person kennst, die eventuell Hilfe brauchen könnte, kannst du die Hotline der TelefonSeelsorge unter 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 anrufen oder den Chat der TelefonSeelsorge nutzen.

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