Der Instagram-Account Therapy for Women hat 255k Follower. Dahinter steckt Amanda White, laut ihrer Insta-Bio ein „Party-Girl in Rente“ und eine „nahbare Therapeutin“. Beim Scrollen durch ihre Posts begrüßt mich eine vertraute Farbpalette: Nude-, Beige-, Petroltöne, gelegentlich in Form von Pinselstrichen und -klecksen, geziert von motivierenden Zitaten wie: „Das Leben ist keine Prüfung, die du bestehst oder nicht – sondern ein großes, chaotisches Experiment.“ Zwischendurch dekoriert auch mal ein handgemaltes Blatt oder eine Frucht die Posts. Diese ganze Ästhetik kommt mir dabei so bekannt vor, dass sie direkt irgendwie beruhigend wirkt.
@therapyforwomen ist einer der Lieblings-Therapie-Accounts der 25-jährigen Online-Marketing-Kauffrau Elisha* – und im vergangenen Corona-Jahr hat sie zunehmend mehr Zeit damit verbracht, sich durch die Posts zu scrollen. „Die Zitate und Denkanstöße erinnern mich daran, mich auf meine Gefühle zu besinnen“, erklärt sie mir via WhatsApp. „Ich habe in letzter Zeit mehrmals mit meinem Arzt über meine geistige Gesundheit gesprochen. Ich stand ewig auf einer Warteliste für kognitive Verhaltenstherapie, bis ich es irgendwann aufgegeben habe.“
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Corona hat all das natürlich nicht gerade vereinfacht; tatsächlich meldet die Deutsche Psychotherapeuten-Vereinigung einen Anstieg der Therapienachfrage um 40, in Privatpraxen sogar um 61 Prozent – doch nur etwa jede:r Vierte bekommt einen Termin für ein erstes Gespräch. Mehr als ein Drittel aller Patient:innen muss länger als sechs Monate warten. Es ist also kaum verwunderlich, dass sich immer mehr junge Menschen therapeutische Hilfe auf Instagram suchen.
Als Konsequenz wachsen die Followerzahlen dieser Accounts immer und immer weiter; @dlcanxiety hat beispielsweise 942k Follower und bezeichnet sich selbst als die „weltgrößte Support-Community für Angststörungen“. Aber was ist so reizvoll an solchen Accounts? „[Instagram-Therapie] ist einfacher zugänglich als traditionelle Therapie“, erklärt Elisha. Und da hat sie Recht – schließlich erfordert die Instagram-Variante keine Probesitzungen oder Genehmigungen durch die Krankenkasse, wie es in Deutschland üblich ist. Noch dazu gibt es hier keine monatelangen Wartelisten.
Für die 23-jährige Amy steckt aber mehr dahinter als nur der Komfort. Sie war sich lange nicht sicher, ob es ihr überhaupt „schlecht genug“ ging, um während einer Pandemie eine Therapie anzufangen, hatte es aber auch satt, „immer dieselben Gespräche mit Freund:innen darüber zu führen, wie schwer es uns allen fiel“. Die Instagram-Therapeut:innen konnten ihr da helfen: Sie waren eine kleine therapeutische Hilfestellung und gaben ihr gleichzeitig das Gefühl, mit ihren Sorgen nicht allein zu sein.
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Anfangs fand ich die Posts noch ‚hübsch‘ und ‚süß‘, aber je schlimmer Corona wurde und je mehr Monate des Social Distancing vergingen, desto hilfreicher fand ich sie.
Amy, 23
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„Dabei geht es um die Community“, erklärt sie. „In den Kommentaren tauschen sich die Leute aus und erzählen von ihren Erfahrungen. Das ist fast schon wie eine Art Gruppentherapie.“ Noch dazu betont sie, dass du selbst bei einer richtigen Therapie „ja nur einmal die Woche einen Termin hast“, wohingegen diese Accounts „immer da sind, wenn es dir gerade schlecht geht“.
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Zu Amys Lieblings-Accounts gehören Sara Kuburics @millennial.therapist (760k Follower) und Alison Seponaras @theanxietyhealer (320k Follower). „Als die Pandemie losging, teilten viele meiner Freund:innen Infografiken von diesen Therapie-Accounts. Ich scrollte mich da so durch – und irgendwann war meine Explore-Page voll mit diesen Slideshows“, erzählt Amy. „Anfangs fand ich sie noch ‚hübsch‘ und ‚süß‘, aber je schlimmer Corona wurde und je mehr Monate des Social Distancing vergingen, desto hilfreicher fand ich sie.“
Wichtig zu wissen: Die meisten der hier erwähnten Accounts gehören nachweislich lizenzierten Expert:innen. Amanda White von @therapyforwomen, zum Beispiel, arbeitet in den USA als Psychotherapeutin. Trotzdem unterscheiden sich ihre Posts durch die Farbwahl und Illustrationen optisch kaum von anderen der Wellness-Kultur auf Instagram, die meist von Usern erstellt werden, die eben nicht qualifiziert sind, therapeutische Ratschläge zu verteilen. Dementsprechend einfach ist es auch, visuell ähnliche Accounts zu finden, deren Inhalte eben weniger fundiert sind als Amanda Whites; dort warten dann unzählige Posts mit generischen Zitaten à la „Verbanne toxische Menschen aus deinem Leben“. Sprüche wie dieser hören sich vielleicht erstmal nett an, sind aber meist völlig bedeutungslos – und liefern keinerlei Bewältigungsstrategien für die Probleme, die sie zu thematisieren versuchen.
Aber woran erkenne ich lizenzierte Psychotherapeut:innen auf Instagram? Vom Prinzip her ist das simpel: Wer einen entsprechenden Titel oder Abschluss hat, wird das meist in der Instagram-Bio zu stehen haben. Verwirrend wird es allerdings bei Heilpraktiker:innen und nicht-deutschen Accounts. Heilpraktiker:innen haben nicht dieselben Qualifikationen wie Psychotherapeut:innen, nennen sich aber gelegentlich zum Beispiel „Heilpraktiker:in für Psychotherapie“; und ausländische Therapeut:innen unterliegen natürlich ganz anderen Regeln und Gesetzen als ihre Kolleg:innen hierzulande. Von einer einheitlichen therapeutischen Qualität dieser Accounts kann also nicht die Rede sein. Aber sollten wir uns deswegen Sorgen darüber machen, dass sich immer mehr junge Menschen auf Social Media virtuelle therapeutische Hilfe suchen? Holen sie sich dort Rat von falschen Quellen? Und kann man sich überhaupt Hilfe von Accounts erhoffen, deren Posts darauf zugeschnitten sind, nicht dem Individuum, sondern allen irgendwie zu helfen?
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Viele der Accounts, denen ich folge, gehören lizenzierten Psychotherapeut:innen. Ich habe aber auch schon viele von Leuten gesehen, die nicht dazu qualifiziert sind und manchmal sogar schädliche Sachen posten.
Amy, 23
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Eins ist jedenfalls klar: Bevor du dir den psychologischen Ratschlag von jemandem zu Herzen nimmst, solltest du dir dessen Referenzen genauer ansehen – und einfach mal googeln. Wer als Psychotherapeut:in Geld verdient, wird unter Garantie eine Website haben, die im Idealfall aussagekräftiger und legitimer wirkt als eine Insta-Bio.
Amy jedenfalls achtet immer darauf. „Viele der Accounts, denen ich folge, gehören lizenzierten Psychotherapeut:innen. Ich habe aber auch schon viele von Leuten gesehen, die nicht dazu qualifiziert sind und manchmal sogar schädliche Sachen posten.“ Außerdem betont sie: Sie weiß ja, dass Instagram-Therapie kein Wundermittel ist. Schließlich sind das immer „sehr verallgemeinerte Ratschläge“.
Das sieht auch Elisha so. „Ich mache mir ein bisschen Sorgen, weil es dazu auf Instagram keine Richtlinien gibt. Deswegen ist es manchmal leicht, einem Account vorschnell als verlässliche Informationsquelle zu vertrauen, obwohl die Inhalte nicht so auf dich zugeschnitten sind wie in einer echten Therapiesitzung.“
Die Psychologin Linda Blair überrascht es jedenfalls gar nicht, dass sich so viele junge Menschen Trost von Instagrams Therapie-Accounts erhoffen. „Diese Leute haben vermutlich Schwierigkeiten, einen Therapieplatz zu bekommen“, meint sie. „Fakt ist: Wir Psycholog:innen kommen gerade gar nicht mehr hinterher – die Nachfrage ist einfach zu groß. Die Anfragezahlen sind seit Beginn der Pandemie enorm in die Höhe geschossen; sowas habe ich noch nie erlebt.“ In Anbetracht dessen rät sie dazu, niemals eine „richtige, individualisierte Therapie“ auf Instagram zu erwarten; es sei aber „nicht schädlich, dir hier und da ein paar Tipps zu holen, solange du weißt, dass es darüber nicht hinausgehen kann. Ich finde nicht, dass wir das Ganze verbieten oder verurteilen sollten. Stattdessen sollten wir sicherstellen, dass jede:r, der oder die dieses Angebot nutzt, weiß, was davon zu erwarten ist.“
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Linda betont: „Therapie ist nichts, was du mit ein paar Sitzungen abhaken kannst. Im Laufe deines Lebens wirst du Krisen durchleben, bei denen du dich dann wieder nach der Selbsterkundung sehnst, die dir die Therapie ermöglicht. Eine Therapie sollte – hoffentlich – etwas sein, das dein Leben bis zum Ende beeinflusst.“
Dank der langen Wartelisten sind diese Instagram-Accounts für Menschen wie Elisha und Amy aber vor allem eins: eine tolle Möglichkeit, sich weniger allein zu fühlen. „Vor allem seit Corona“, meint Elisha, „sind die Accounts für mich eine Bewältigungsmethode im Alltag geworden. Ich weiß, dass das nur kleine Tipps und Denkanstöße sind – aber sie trösten mich irgendwie.“
*Einige Namen wurden von der Redaktion geändert.