Früher war ich doch immer so stolz auf meine Sehkraft. Um Dinge gut sehen zu können, die sich weiter weg befinden, brauche ich zwar eine Brille – dafür kann ich aber alles, das nicht zu weit entfernt ist, kristallklar erkennen. Ein besonderer Stolz erfüllte mich in der Vergangenheit immer dann, wenn ich bei einem Google Docs auf 75 Prozent rauszoomen konnte. Wann immer ich dann bei der Arbeit im Büro jemanden sah, der zum Beispiel 150 Prozent brauchte, musste ich schmunzeln – als ob ich auf irgendeine Weise zu meinem besseren Sehvermögen beigetragen hätte. Dann aber brach die Pandemie aus und stellte alles auf den Kopf: Nach einem Jahr im Homeoffice, während dessen ich mehr Zeit denn je zuvor damit verbrachte, Bildschirme anzustarren – auch kleinere –, gehöre ich jetzt auch zu den Personen, die reinzoomen müssen. Momentan bin ich bei 125 Prozent. Ich muss aber zugeben, dass ich mittlerweile wahrscheinlich sogar 150 brauche.
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Vielleicht ist das Ganze einfach Teil des Alterns. Als ich das Problem aber meinen Kolleg:innen gegenüber erwähnte, beklagten sich einige von ihnen über die gleichen Symptome. Das machte mich stutzig: Könnte etwa die Pandemie dahinterstecken? Um eine professionelle Antwort zu bekommen, wandte ich mich an Dr. Amy Sheppard, stellvertretende Leiterin der Aston School of Optometry in Großbritannien und einer Forscherin im Bereich der digitalen Augenbelastung. „Wir wissen, dass unsere Bildschirmzeit während der COVID-19-Pandemie ein Rekordniveau erreicht hat. Dieses Phänomen hat damit zu tun, dass wir jetzt mehr Zeit damit verbringen, von zu Hause aus zu arbeiten und zudem digitale Geräte auch für soziale und Lifestyle-Zwecke nutzen. Deshalb leiden viele Millionen Menschen derzeit unter einer digitalen Augenbelastung (auch als Computer-Vision-Syndrom bekannt), die eine breite Palette von okulären und visuellen Symptomen aufweist“, sagte sie. Eines davon: unscharfes Sehen. Zu den anderen gehören: Kopfschmerzen, überanstrengte, trockene, juckende, gerötete oder wässrige Augen und Doppeltsehen, sagt sie.
Diese Erklärung war keine große Überraschung für mich, da ich bereits seit Jahren weiß, dass eine digitale Augenbelastung dazu führen kann, dass man plötzlich alles unscharf sieht. Was ich mich aber immer gefragt habe, war, ob dieses Syndrom auch dauerhafte Schäden verursacht. Werde ich am Ende dieser Pandemie stärkere Brillengläser brauchen?
Das ist eher unwahrscheinlich, meint Dr. Sheppard. „Die Symptome vom Computer-Vision-Syndrom können in häufigen Abständen auftreten und länger anhalten. Aus diesem Grund kann es Betroffenen so vorkommen, als ob sich ihre Sehkraft täglich verschlimmern würde“, erklärt sie. Mit anderen Worten: Weil ich jeden Tag so viel Zeit vor Bildschirmen verbringe, kann es sein, dass mein Augenproblem von Dauer sein wird. Obwohl ich es vielleicht mit einer stärkeren Brille zu lösen probieren würde, brauche ich in Wirklichkeit aber wahrscheinlich bloß eine richtige Auszeit. Zudem erklärt die Expertin, dass durch unsere erhöhte Bildschirmzeit bei Brillen- und Kontaktlinsenträger:innen leicht abweichende Dioptrienwerte stärker bemerkbar und unangenehm sein könnten. Das bringt viele Personen dazu, um stärkere Gläser oder Linsen anzusuchen.
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Nur bei Kindern sei das aber tatsächlich gerechtfertigt. Es gibt nämlich beunruhigende Hinweise darauf, dass sie eine Kurzsichtigkeit entwickeln können, wenn sie Stunden vor einem Bildschirm verbringen, warnte Dr. Sheppard. „Um das zu verhindern, ist es wichtig, die Bildschirmzeit deiner Kleinen mit viel Zeit im Freien auszugleichen. Das ist unter den jetzigen Umständen natürlich wesentlich schwieriger als sonst.“
Es steht also außer Frage, dass die unzähligen Stunden, die wir tagein, tagaus an unseren Geräten verbringen, die Ursache für digitale Augenbelastung ist. Das trifft sowohl auf Kinder als auch auf Erwachsene zu. Zu Beginn der Pandemie verbrachten Erwachsene laut einem Bericht von Nielsen mehr als 13 Stunden pro Tag vor Bildschirmen. Das ist ein Anstieg von 60 Prozent im Vergleich zum Durchschnitt vor Corona-Zeiten. „Ohne Pausen, um deine Augen für eine Weile zu entspannen und in die Ferne zu schauen, verschlimmerst du deine [Symptome]“, sagte sie. „Eine schlechte Sitzhaltung und ein nicht gut positionierter Computer wirken sich ebenfalls negativ auf deine Gesundheit aus, wozu es im Homeoffice häufiger kommt als in Büros, die ja schließlich fürs Arbeiten konzipiert sind. Die zunehmende Nutzung von Smartphones für Internetzugang trägt ihren Teil bei, denn die kleine Textgröße und der geringe Abstand zum Screen stellen eine Schwierigkeit für sich dar.“
Ich zum Beispiel verbringe meinen Arbeitstag vor einem 13-Zoll-Laptop. Nach der Arbeit lese ich oder scrolle mich dann oft stundenlang durch TikTok. Viele der Bildschirme sind klein. Alles in allem sind meine Augen täglich einer ganz schön großen Belastung ausgesetzt.
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„Es gibt einige einfache Dinge, die wir tun können, um die Lage zum Besseren zu wenden“, sagte Dr. Sheppard. Erstens: Pausen machen – und zwar viele. Schau alle 20 Minuten mindestens 20 Sekunden lang auf etwas, das zumindest einen Meter von dir entfernt ist. In meiner gemütlichen (sprich: kleinen) Wohnung bedeutet das, dass ich von nun an hie und da aufstehen und eine Weile aus dem Fenster schauen werde.
Dr. Sheppard rät außerdem dazu, einen genauen Blick auf deinen Arbeitsbereich zu werfen. Folgendes wird hier empfohlen: „Der Bildschirm sollte sich nicht nur wortwörtlich ‚auf Augenhöhe‘ befinden und frei von jeglichen Reflexionen sein, da jede zusätzliche bzw. überflüssige Lichtquelle Stress für das Auge bedeutet. Zwischen der Position der Person und dem Bildschirm sollte zudem ein Abstand von mindestens 40 Zentimetern eingehalten werden. Achte auf deine Sitzhaltung und vermeide es, zusammengekauert dazusitzen und dem Screen zu nah zu sein. Außerdem solltest du deine Augen auch regelmäßig untersuchen lassen.“ Wenn deine Symptome hartnäckig oder besonders lästig sind, empfiehlt sie, Optiker:innen aufzusuchen. Diese können mithilfe von speziellen Linsen oder Augentropfen Abhilfe schaffen.
Lass dir zum Schluss eines gesagt sein: Tu es mir gleich und zoom rein. Das Anstarren von superkleinen Buchstaben verschlimmert die Symptome des Computer-Vision-Syndroms nämlich nur.