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Wie stark das Homeoffice deine Karriere & Psyche beeinflusst

Foto: Leia Morrison.
2016 bat mich meine Mitbewohnerin, alle fünf Minuten die Maus ihres Laptops zu bewegen, während sie kurz zum Supermarkt huschte. Ansonsten, erklärte sie mir, würden ihre Vorgesetzten sehen, dass ihr Outlook-Icon auf „abwesend“ stand und vermuten, sie würde im Homeoffice nur faulenzen
Vor dem März 2020 war dieser Verdacht zu Angestellten im Homeoffice weit verbreitet. Viele von uns arbeiteten nur von zu Hause aus, wenn wir „krank genug“ waren, um unsere Kolleg:innen zu nerven, aber auch „gesund genug“, um vom Bett aus zu arbeiten, den Laptop im Schoß zu balancieren und ins Handy zu krächzen. Das Homeoffice galt damals als nettes Zugeständnis, bedrohte aber gleichzeitig in vielen Augen den normalen Arbeitsalltag – und trotzdem gönnte sich dein:e Chef:in einmal die Woche einen Tag zu Hause, ohne sich je dafür zu rechtfertigen. Das veränderte sich aber alles, als wir in der ersten Pandemiewelle darum gebeten wurden, „wenn möglich“ von zu Hause aus zu arbeiten.
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In den darauffolgenden anderthalb Jahren hat sich noch viel mehr getan. Normen und Erwartungen von bürobasierter Arbeit sind nicht mehr dieselben, und das Homeoffice hat vielerorts inzwischen einen deutlich besseren Ruf als vor Corona. Wie auch unsere Einstellung zum Homeoffice hat sich aber auch die Pandemiewelt inzwischen verändert, und viele Angestellten kehren allmählich ins Büro zurück – manche mehr, andere weniger freiwillig. 
„Der Druck, die Angestellten wieder ins Büro zu holen, ist stark – und ich glaube, dabei geht es nicht nur um die Produktivität oder Arbeitszeit“, meint Dr. Will Ponsonby, ehemaliger Präsident der britischen Society of Occupational Medicine für Arbeitsmedizin. „Es geht auch darum, die Wirtschaft zu unterstützen, insbesondere in Städten.“ Klar, das Geld der Firma spielt eine große Rolle – aber die Büroarbeit hat auch für Mitarbeiter:innen einige Vorteile.
Was verpassen wir also zu Hause? Dr. Ponsonby erklärt, dass uns im Homeoffice einige der psychologischen Vorteile entgehen, von denen wir in der Präsenzarbeit profitieren, angefangen mit den sozialen Aspekten: Wenn du von zu Hause aus arbeitest, sind deine sozialen Interaktionen „stark beschränkt“, meint Dr. Ponsonby, was sich negativ auf die geistige Gesundheit auswirken kann.

Du wirst nicht aus einer E-Mail herauslesen können, dass deine Chefin diesen oder jenen Kollegen nicht sonderlich mag; genauso wenig wird dein Chef in einem Zoom-Meeting verkünden, dass er verkatert ist.

Wenn deine gesamte Kommunikation geplant und beabsichtigt stattfindet (zum Beispiel, wenn du eine E-Mail verschickt oder dich dein:e Chef:in anruft, um ein neues Projekt zu erklären), verpasst du damit „nicht-instrumentelle Gespräche“ (sprich: lockeres Geplauder), meint Bernie Hogan, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Internet Institute der Oxford University. „Bei diesen Gesprächen, die kein konkretes Ziel haben, lernst du viel über andere Menschen“, erklärt er und ergänzt, dass genau deswegen viele Arbeitsplätze versucht haben, die virtuelle Umgebung für solche Gespräche zu schaffen. „Zum Beispiel, indem die Kameras an bleiben und man miteinander quatscht, wenn man Lust darauf hat – oder eben andere Varianten der virtuellen Kaffeeküche. Diese Ersatzmöglichkeiten funktionieren aber leider nicht so gut, weil viele Leute – aus diversen Gründen – diese Online-Videokonferenzen anstrengend finden und sich dabei unwohl fühlen.“
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Der Büro-Smalltalk hat aber noch andere Vorteile, als die eigenen Kolleg:innen dadurch auf freundschaftlicher Basis kennenzulernen (was sich insbesondere junge Angestellte wünschen, nachdem sie die Schule oder die Uni hinter sich gelassen haben). Diese Gespräche können dafür sorgen, dass du die erste Person bist, die jemandem einfällt, der:die etwas zu vergeben hat – zum Beispiel ein cooles Projekt, eine neue Aufgabe, oder sogar eine Gehaltserhöhung. Hogan verweist dabei auf The Strength of Weak Ties (z. Dt.: „Die Stärke schwacher Bindungen“), ein oft zitiertes Essay des Soziologen Mark S. Granovetter von 1973. Darin stellt er die Theorie auf, dass insbesondere die Menschen, zu denen wir lockerere Beziehungen haben – im Kontrast zu unseren engen Freund:innen oder Verwandten –, die wertvollsten Karrierekontakte seien. Afterwork-Drinks, Geplauder in der Büroküche und Teammeetings vor Ort helfen dabei, diese Kontakte zu knüpfen; zumindest war das vor der Pandemie noch so. 
„Das sind die lockeren Kontakte, die wir nutzen, wenn wir einen neuen Job suchen. Dann fragen wir: ‚Hey, weißt du, ob es bei euch eine Stelle gibt?‘“, erklärt Hogan. „Es wirkt gerade aber so, als seien diese ohnehin schon schwachen Kontakte aktuell noch schwächer – selbst wenn wir über das Internet prinzipiell noch mehr davon haben. Das heißt, dass sie uns für sowas leider weniger nützen.“
Kurz gesagt: Wir Menschen tun lieber „Leuten, die uns wichtig sind“ einen Gefallen, sagt Hogan. „Jemand ist dir wichtig, wenn du ein genaueres Bild dieser Person hast. Wenn sie aber bloß ein Input oder Output für den nächsten Punkt auf deiner To-Do-Liste ist, ist sie dir weniger wichtig.“
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Das Homeoffice führt aber nicht nur zum Verlust dieser Networking-Möglichkeiten, sondern erschwert es neuen Mitarbeiter:innen außerdem, die Struktur eines Teams zu überblicken – und die subtilen zwischenmenschlichen Dynamiken zwischen Kolleg:innen zu verstehen. Du wirst zum Beispiel nicht aus einer E-Mail deiner Chefin herauslesen können, dass sie diesen oder jenen Kollegen nicht sonderlich mag; genauso wenig wird dein Chef in einem Zoom-Meeting verkünden, dass er verkatert ist. Ebenso wirst du vermutlich nicht via Slack herausfinden können, dass zwei deiner Kolleg:innen mal eine Affäre hatten. Außerdem ist es virtuell so viel schwerer, immer die richtige Ansprechperson zu finden, wenn du nicht einfach zu deren Schreibtisch rüberschlendern kannst.
„Es ist einfach so viel aufwendiger, wenn du jemandem eine E-Mail schickst, dann einen halben Tag auf eine Antwort wartest, in der dich die Person an die nächste verweist, deren Antwort dann auch wieder einen halben Tag dauert“, sagt Hogan. „Wenn du eine Firma nicht vorher schon gut kennst, offenbart sie sich dir im Homeoffice nicht so effektiv. Sie ist dann deutlich abstrakter.“
Genau deswegen kann das Homeoffice für all diejenigen, die schon das richtige Wissen und die richtigen Kontakte haben, eine ganz andere Erfahrung sein. „Wenn du die Regeln kennst, kann das Homeoffice sicher eine Erleichterung sein“, erzählt Hogan. „Du musst dann nicht mit den Leuten zusammenarbeiten, mit denen du dich nicht so gut verstehst, und weißt genau, wen du wofür kontaktieren musst.“

Ein lebhafter, spannender Arbeitsplatz hat definitiv seine Vorteile. Wer schon mal in einer solchen Umgebung gearbeitet hat, weiß, wie viel Energie sie verleihen kann.

Dr. Stephen Fletcher
Der Psychologe Dr. Stephen Fletcher betont, dass sich auch praktische Aspekte auf die Homeoffice-Fähigkeit mancher Mitarbeiter:innen auswirken können – vor allem bei denen, die gerade erst am Anfang ihrer Karriere stehen. „Einige dieser Leute arbeiten vielleicht in einer Einzimmerwohnung vom Bett aus“, sagt er. „Für sie kann es eine echte Herausforderung sein, da produktiv zu sein.“
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Dann wiederum gibt es Menschen, die durch das Homeoffice plötzlich Möglichkeiten haben, die ihnen sonst verwehrt geblieben wären. Von chronischen Krankheiten oder Be_hinderungen Betroffene genießen im Homeoffice enorme Vorteile; noch dazu ermöglicht es vielen Leuten, von überall aus zu arbeiten – also zum Beispiel in der Nähe ihrer Familie oder Freund:innen, oder in günstigeren Wohngegenden. 
Der Trend geht also eindeutig zur Fernarbeit, und große Firmen wie Twitter und LinkedIn erlauben es ihren Mitarbeiter:innen inzwischen, für immer von zu Hause aus zu arbeiten. Werden Büros also eines Tages aussterben? Dr. Ponsonby glaubt nicht daran. Er vermutet aber, wir werden früher oder später auf ein Hybrid-Modell umsteigen, eine Kombination aus Homeoffice- und Office-Tagen. „Ich glaube außerdem, dass viele Leute Arbeitgeber:innen bevorzugen werden, die diese flexible Arbeit erlauben“, sagt er. „Ein lebhafter, spannender Arbeitsplatz hat definitiv seine Vorteile. Wer schon mal in einer solchen Umgebung gearbeitet hat, weiß, wie viel Energie sie verleihen kann“, ergänzt er. „Andererseits haben wir wohl alle schon mal ein schlimmes Arbeitsumfeld erlebt, das dir einfach sämtliche Kraft raubt.“ 
Ein Modell zu finden, das für dich funktioniert, ist eine ganz individuelle Angelegenheit, betont er; verschiedene Menschen profitieren unterschiedlich davon, wie viel Zeit sie im Büro verbringen. Manche verziehen vielleicht das Gesicht, wenn die wöchentliche Freitags-Drinks-Mail rumgeht; andere wiederum quatschen jeden Tag so laut, dass man sie auch am anderen Ende des Büros hört. Eine Hybridlösung, die für all diese Menschen ein personalisiertes Arbeitsmodell bietet, wird uns – hoffentlich – die Möglichkeit geben, unseren individuellen Bedürfnissen zu entsprechen. 
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