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Ist es (un-)gesund, Sperma zu schlucken?

Foto: Karen Sofia Colon.
Du kannst deinen Stolz runterschlucken. Du kannst eine bittere Pille schlucken. Und du kannst Sperma schlucken.
Letzteres ist ein Thema, das uns schon seit Ewigkeiten zu faszinieren scheint – und dank der Popkultur werden wir auch immer wieder damit konfrontiert. Denk nur mal an die Storyline aus American Pie, wo Steve Stifler einen Becher voller Sperma-Bier trank. Zum Schlucken vom Vulva-Ejakulat – auch bekannt als squirting bzw. Squirten – gibt es deutlich weniger Popkultur-Beispiele, obwohl es in Pornos ziemlich oft eine Rolle spielt
Wenn sich das für dich ein bisschen sexistisch anhört, liegst du da nicht falsch. Obwohl wir laut eines Artikels der International Encyclopedia of Human Sexuality schon seit über 2.000 Jahren vom Squirting sprechen, scheinen wir immer noch nicht viel darüber zu wissen – beziehungsweise fast gar nichts. Forschende sind sich zum Beispiel uneinig darüber, woraus es besteht und wie das mit dem Squirten überhaupt funktioniert. Manche hinterfragen sogar dessen ganze Existenz.
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Zum Sperma hingegen wissen wir vergleichsweise viel. Schon Aristoteles schrieb über die theoretischen Nährstoffqualitäten der Samenflüssigkeit („Spermien sind die Ausscheidungen unserer Nahrung oder, um es klarer auszudrücken, der perfekteste Bestandteil unserer Nahrung“, schrieb er). Trotzdem würden wir in unserer modernen Zeit wohl kaum empfehlen, zugunsten der Ernährung Sperma bzw. Ejakulat zu essen. Klar, genau genommen ist das Protein, aber Kichererbsen sind doch irgendwie leckerer.
Trotzdem schlucken natürlich viele Leute Sperma bzw. Ejakulat, und wenn du dazugehörst – oder darüber nachdenkst –, stellst du dir dazu vielleicht einige Fragen. Zum Beispiel: Kann ich mir dadurch eine Geschlechtskrankheit holen? Kann ich davon schwanger werden? Ist das gesund? Das sind alles berechtigte Fragen – weswegen ich mir all die Antworten darauf von der Sexualpädagogin Erica Smith eingeholt habe.

Was genau ist denn dieses Ejakulat?

Wenn wir an Sperma denken, denken wir direkt an Spermien, die kaulquappenähnlichen männlichen Fortpflanzungszellen. Genauer genommen besteht die Samenflüssigkeit aber neben der Spermien auch noch unter anderem aus Zitronensäure, freien Aminosäuren, Fruktose, Enzymen, Calcium und sogar Zink. 
Die Flüssigkeit, die beim Squirten in der Vagina produziert wird, ist noch etwas undurchschaubarer. Forschende sind sich noch nicht sicher, woraus genau sie besteht – was wiederum zeigt, wie spärlich die Wissenschaft rund um Sex und insbesondere die Vagina bisher aussieht. Was wir aber sehr wohl wissen: Es ist nicht dieselbe Gebärmutterhals-Flüssigkeit, die die Vagina bei Erregung feucht macht
Beim Squirten „verlassen während der sexuellen Erregung und Stimulation unterschiedliche Mengen einer wässrigen Flüssigkeit die Harnröhre – entweder mit Druck oder nicht –, oft in der zeitlichen Nähe des Orgasmus“, erklärt der Pädagoge für sexuelle Gesundheit Dale Mueller gegenüber Refinery29. Einige Wissenschaftler:innen sind sich darin einig, dass diese „Flüssigkeit“ aus Wasser, Glukose, Fruktose, Prostataflüssigkeit, Protein und Ejakulat besteht – und aus Spurenmengen Urin. Wie viel Urin darin aber genau enthalten sein soll, können Expert:innen bisher nicht beantworten; genauso wenig, ob die Flüssigkeit aus der Blase, den Skene-Drüsen oder dem Gebärmutterhals kommt. 
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„So viel ist sicher“, sagt Smith: „Wir zerbrechen uns unnötig den Kopf darüber, die Frage rund um das Vulva-Ejakulat zu beantworten. Alle wollen wissen: ‚Ist das Urin?‘ Ich glaube aber, damit verfehlen wir, worum es hier eigentlich geht. Es ist vielleicht eine spannende wissenschaftliche Frage – aber ist das wirklich wichtig, wenn es Spaß macht? Mir nicht.“

Riskiere ich durch das Schlucken eine Geschlechtskrankheit?

Das ist vermutlich die wichtigste Frage im Kontext des Schluckens. „Es ist unwahrscheinlicher, sich beim Oralsex eine Geschlechtskrankheit einzufangen, als beim vaginalen oder Analsex“, erklärt Smith. „Dennoch: Wer Sperma schluckt, erhöht damit das Risiko, an einer bakteriellen Infektion zu erkranken, die den Hals betreffen kann – wie Gonorrhoe (Tripper) oder Chlamydien.“ Auch eine Infektion mit Haut-zu-Haut-Krankheiten ist möglich, wie zum Beispiel Herpes. Da können allerdings Lecktücher und Kondome aushelfen; sie ermöglichen Oralsex mit geringerem Risiko einer Geschlechtskrankheitsübertragung.

Kann ich vom Schlucken schwanger werden?

Kann ich mich über das Schlucken von Sperma oder vaginalem Ejakulat mit Corona infizieren?

Es gibt keine Hinweise darauf, dass diese Art der Übertragung möglich sein könnte, obwohl eine Studie genetisches Material des Virus im Sperma einiger Corona-Patienten fand. Dazu sind aber weitere Untersuchungen nötig, weil „bestätigt werden muss, dass [das Sperma] infektiöse Viren [enthält] – nicht bloß ein Virus-Produkt“, erklärte Dr. Stanley Perlman, Professor für Mikrobiologie, Immunologie und Pädiatrie an der University of Iowa gegenüber der New York Times
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Aber: Weil das Coronavirus größtenteils via Tröpfcheninfektion übertragen wird, kann es durchaus sein, dass du bei engem sexuellen Kontakt mit einem:einer Infizierten allein durch die körperliche Nähe und das natürliche stärkere Atmen beim (Oral-)Sex dem Virus ausgesetzt wirst. Nachdem die Sperma-Studie erschien, erzählte mir Justin R. Garcia, Executive und Research Director beim Kinsey Institute for Research in Sex, Gender, and Reproduction: „Ich denke, [die Studie] dürfte die Leute nochmal daran erinnern, bewusst zu überdenken, was sie gerade machen – ob es nun ums Küssen oder um Sex geht.“

Enthält Sperma bzw. Ejakulat wertvolle Nährstoffe?

„Die Nährwerte sind kaum nennenswert“, erklärt Smith. „Obwohl Sperma Eiweiße enthält, müsstest du schon unglaubliche Mengen – und ich rede hier von Litern – davon schlucken, um dadurch wirklich Proteine aufzunehmen. Die durchschnittliche Ejakulation produziert aber nur etwa einen Teelöffel voll Sperma.“
Und obwohl Sperma und Ejakulat zwar Spuren von Nährstoffen wie Zink und Aminosäuren enthalten – Stoffe, die gesundheitsfördernd sein sollen –, solltest du dir vom Schlucken nicht erhoffen, damit eine Erkältung auszukurieren oder dein Hautbild zu verbessern.

Ist das Schlucken gut für die geistige Gesundheit?

Einvernehmlicher Sex kann einigen Studien zufolge sehr wohl gegen Stress helfen. Beim Oralsex bzw. spezifisch beim Schlucken sind die Forschungsergebnisse etwas spärlicher; Smith verweist aber auf eine Studie, die ergab, dass Menschen, die durch Sex mit Sperma in Kontakt kamen, angeblich besser gestimmt waren und weniger Symptome einer Depression erlebten. „Das muss aber kein Kausalzusammenhang sein“, betont sie. 
Dank dieser Forschung landeten Behauptungen wie „Sperma ist gut für dich“ 2012 auf den Titelseiten diverser Zeitungen. Schon damals wurde diese Studie aber als „voller Löcher“ verurteilt. 
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Anstatt beim Schlucken also darauf zu hoffen, dadurch deine Laune zu verbessern, behalte lieber das große Ganze im Auge – und hab einfach Sex mit jemandem, auf den:die du Lust hast. Masturbiere, wenn es dir Spaß macht. Und wenn du dich depressiv fühlst, wende dich hilfesuchend an Therapeut:innen, Verwandte und/oder Freund:innen.

Kann man gegen Sperma allergisch sein?

Es ist selten – aber ja, einige Menschen reagieren darauf tatsächlich allergisch, genau genommen aber auf ein Protein im Sperma, erklärt Smith. Das nennt sich offiziell human seminal plasma hypersensitivity, kurz HSP. Zu deren Symptomen gehören Juckreiz, Schmerzen, Schwellungen, Ausschlag und Atembeschwerden, und dazu kommt es meist innerhalb von 20 bis 39 Minuten nach dem Kontakt.
Eine davon betroffene Person erzählt gegenüber Refinery29: „[Wenn ich Sperma in den Mund bekomme,] fühlt sich mein Mund danach total geschwollen an und juckt. Mein Hals kratzt, dann wird mein Magen ganz nervös. In meiner Vagina war das noch schlimmer. Mir wurde klar, ich bin allergisch, als ich in die Notaufnahme fuhr und da zu hören bekam, ich hätte eine Geschlechtskrankheit, weil meine Vagina so geschwollen war.“

Können manche Lebensmittel die Konsistenz und den Geschmack von Sperma und Ejakulat verändern?

Im Studium hörte ich das Gerücht, dass einige der Typen am Campus absichtlich viel Ananas aßen, um den Geschmack ihres Spermas zu verbessern. Wie… rücksichtsvoll? Smith zufolge gibt es tatsächlich Anhaltspunkte dafür, dass deine Ernährung den Geschmack und Geruch deines Ejakulats beeinflussen könnte, doch richtige Studien gibt es dazu bisher nicht. 
Einige Expert:innen sind aber fest davon überzeugt. „Jede Art des Konsums – ob von Essen, Medikamenten oder Getränken – kann sich auf den Geschmack deines Spermas oder Vaginalsekrets auswirken“, meint Carol Queen, Soziologin und Sexologin gegenüber Vice. „Alles, was wir an unseren Körpern riechen oder schmecken können, gehört zu einem Ausscheidungsprozess… Wenn du einen Unterschied an jemandes Körpergeruch bemerken kannst, wirst du den vermutlich auch bei dessen:deren sexuellen Sekreten feststellen.“
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Dr. Queen zufolge können Obst wie Papaya, Zitrusfrüchte und, ja, Ananas dem bitteren Sperma einen süßeren Geschmack verleihen. Healthlinezufolge können auch Gewürze wie Zimt und Muskat den Geschmack verbessern. Knoblauch, Zwiebeln, Brokkoli, Spargel und Alkohol hingegen haben eher einen negativen Effekt. 
Smith meint aber, es muss nicht unbedingt bedeuten, dass etwas nicht stimmt, wenn deine Körperflüssigkeiten nicht so super schmecken. „Bei unterschiedlichen Menschen schmeckt das unterschiedlich“, ergänzt sie.

Sollte ich also schlucken?

Bevor du diese Entscheidung triffst, solltest du einiges berücksichtigen, betont Smith.

1. Erhöht dieser sexuelle Kontakt dein Geschlechtskrankheiten-Risiko?

„Sprich: Habt ihr euch beide testen lassen, und habt ihr noch andere Partner:innen?“, fragt sie. Im Zweifel solltest du dann eher nicht runterschlucken.

2. Fühlst du dich mit dem Schlucken wohl?

„Manche Leute lieben es, zu schlucken. Andere hingegen finden es eklig und müssen dabei sogar würgen“, erklärt sie. „Dabei solltest du nicht nur an deine sexuelle Gesundheit denken, sondern auch deine eigenen Grenzen und Komfortzonen berücksichtigen.“ Und wenn dich jemand zum Schlucken überreden will, ist das nicht in Ordnung. Smith ergänzt: „Das ist eine Entscheidung, die der:die ‚aktive‘ Partner:in beim Oralsex selbst treffen sollte.“
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