Der Tag, an dem Ava* entschied, damit aufzuhören, ihren Mann zu betrügen, fing an wie jeder andere auch. Sie stand morgens auf, machte sich einen Kaffee, schminkte sich, zog sich an. Sie brachte ihr Kleinkind zur Tagespflege und fuhr dann selbst zur Arbeit. Als sie gerade aus ihrem Auto stieg, hörte sie das Ping! einer E-Mail – eine Nachricht ihrer Affäre. Sie schrieben sich oft, und während diese Nachrichten anfangs noch dafür gesorgt hatten, dass sich Ava begehrt fühlte, wurde ihr die Affäre allmählich zu viel. Doch diese E-Mail veränderte mit einem Schlag alles.
In ein paar kurzen Absätzen erzählte ihr Liebhaber darin von einem Abendessen mit seiner Frau, bei dem die gemeint habe, er wirke „distanziert“. Beim Lesen rutschte Ava das Herz in die Hose. „Zu hören, dass [seine Frau] ihn darauf angesprochen hatte, traf mich zutiefst. Alles war plötzlich so real“, erzählt Ava gegenüber Refinery29. „Ich stellte sie mir vor, wie sie zu Hause mit dem Essen auf ihn wartete. Wie sie bemerkte, dass er sich ihr gegenüber anders verhielt, und wie sie den Mut aufbrachte, ihm von ihren Sorgen um ihre Ehe zu erzählen.“
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Ein Grund dafür, warum dieses Bild Ava so schwer traf, war, dass sie selbst schon in der Position der Frau gewesen war. Avas Mann hatte sie betrogen und zwei Jahre lang eine heimliche Beziehung geführt – unter anderem, während Ava mit ihrem gemeinsamen Kind schwanger war. Obwohl sie monatelang vermutet hatte, dass da irgendwas lief, erfuhr sie vom Seitensprung ihres Mannes erst an ihrem ersten Muttertag. Sie hatte in der Tierarztpraxis angerufen, wo ihr gemeinsamer Hund die Nacht verbracht hatte – und fand heraus, dass die Affäre ihres Mannes schon vorher angerufen hatte. Die Hilfskraft an der Rezeption enthüllte so nichtsahnend die Affäre. „Das zerstörte mich total“, sagt Ava heute.
Obwohl ihr Mann die Affäre daraufhin beendete, fiel es Ava schwer, das Ganze zu verarbeiten. Nach der Geburt ihres Kindes fühlte sie sich außerdem ohnehin noch nicht wieder ganz wie sie selbst; von der Untreue ihres Partners zu erfahren, war dann so, als hätte er sich „mit einem Schlachtermesser“ über ihren Selbstwert hergemacht.
Nachdem sie diesen Schmerz durchlebt hatte, nahm sich Ava nicht explizit vor, selbst fremdzugehen – aber als sie ein Jahr später auf einem Branchenevent einem alten Kollegen wiederbegegnete, der 25 Jahre älter war als sie, verlieh ihr der Flirt mit ihm neues Selbstvertrauen: Sie fühlte sich endlich wieder attraktiv. Aus dem Flirt wurde schnell eine ausgewachsene emotionale Affäre, später auch eine sexuelle. „Wir waren zu dem Zeitpunkt beide emotional sehr verletzlich. Es fühlte sich ein bisschen an wie Schicksal“, erinnert sie sich. Im Laufe des folgenden Jahres fühlte sich Ava oft schuldig; gleichzeitig gab ihr die Beziehung aber auch das Gefühl, ihre Macht und ihr Selbstempfinden zurückzugewinnen. „Er half mir dabei, wieder mehr Selbstbewusstsein zu entwickeln und den Teil von mir wiederaufzubauen, von dem ich geglaubt hatte, ihn verloren zu haben“, erzählt Ava. „Ich fühlte mich einfach bestätigt.“
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Die E-Mail ließ diese schöne Seifenblase jedoch zerplatzen. Sie konnte nicht aufhören, an seine Frau zu denken, und suchte online sogar nach gemeinsamen Fotos der beiden. „Beim Anblick ihres Gesichts fühlte ich mich wie ein richtig schlimmer Mensch“, sagt Ava. „Ich tat hier jemandem dasselbe an, das mir angetan worden war. Ich dachte mir: Wenn sie das rausfindet, wird ihre Welt zusammenbrechen – genau wie meine damals.“ Nicht lange nach dieser E-Mail beendete sie die Affäre, und sechs Monate darauf verließ sie ihren Mann.
Ava ist davon überzeugt, dass diese E-Mail ihr gesamtes Leben verändert hat. Tatsächlich geht es vielen Menschen so, die schon mal fremdgegangen sind: Sie können ein konkretes Ereignis benennen, das sie zu der Erkenntnis brachte, dass sie den Seitensprung beenden wollten, meint die Beziehungstherapeutin Moraya Seeger DeGeare. „Ich denke, es ist meist eine ganze Reihe aus Erlebnissen, die zu dieser Entscheidung führen können – oft ist es aber ein ganz bestimmter Moment der Klarheit, den wir für den Wunsch nach einer Veränderung verantwortlich machen“, erklärt DeGeare.
Dieser entscheidende Moment kann natürlich der sein, in dem der Seitensprung auffliegt. Die Sex- und Beziehungsexpertin Dr. Tammy Nelson meint aber, dass eine Affäre oft endet, sobald sie entweder ihren Zweck erfüllt hat – zum Beispiel, wenn du dadurch ein sexuelles Bedürfnis befriedigen oder damit einer unglücklichen, inzwischen beendeten Beziehung entfliehen wolltest – oder eine beteiligte Person feststellt, dass die Affäre gar keinen Zweck hatte.
Was als Nächstes passiert, kann aber schwierig sein. Ganz egal, wie jemand beschließt, eine Affäre zu beenden – ob nun durch einen Schlussstrich in der Affäre selbst, oder durch das Beenden der primären Beziehung, oder beides –, tut es den meisten Menschen gut, sich zu überlegen, wieso sie überhaupt eine solche Grenze überschritten haben.
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Eine Einzeltherapie kann da helfen, meint Damona Hoffman, Dating-Coach bei OkCupid und Moderatorin des Dates & Mates Podcast. Beim Fremdgehen geht es fast immer mehr über die fremdgehende Person als um die betrogene. Viele untreue Leute leiden dabei unter enormen Schamgefühlen, die zum Teil durch die gesellschaftlichen Stereotypen verstärkt werden, die alle Betrüger:innen als schlechte Menschen darstellen. „Das eigene Verhalten zu verändern, ist schwierig – vor allem, wenn es so schambehaftet ist“, erklärt DeGeare. „Wenn du dich tief im Inneren wertlos fühlst, ist es sogar leichter, diese Verhaltensmuster weiter durchzuziehen, anstatt neue anzunehmen, die nicht zu unserem negativen Selbstbild passen.“ Deswegen muss die Scham überwunden werden, um einen klaren Blick darauf zu ermöglichen, warum jemand überhaupt fremdgeht – und wie es von diesem Punkt an weitergehen soll.
Die Beweggründe eines Seitensprungs zu analysieren, kann so frustrierend sein, wie ein dünnes Goldkettchen zu entwirren: Es ist eine langsame, zähe Arbeit und verlangt Geduld, Hingabe und Vorsicht. Manche Menschen machen für ihr eigenes Fremdgehen vielleicht erstmal den:die Partner:in verantwortlich, wie Ava anfangs. Oft ist aber auch viel Gefühlsarbeit nötig. „Meistens braucht es tiefere therapeutische Mühen, um die zugrundeliegenden Überzeugungen und Verhaltensmuster zu verstehen, die dich überhaupt zu diesem Punkt geführt haben“, sagt Hoffman.
Zu diesem Zweck wird in der Therapie beleuchtet, was der Betrug überhaupt gebracht hat, erklärt DeGeare. „Es geht darum, dich selbst zu fragen: ‚Was hat mich dazu geführt, nach außen zu signalisieren, dass ich verfügbar bin? Liegt es daran, dass ich das Gefühl liebe, gewollt zu werden? Warum?’“, sagt sie. „Liegt das zum Beispiel daran, dass dir ein Elternteil vielleicht nie den Eindruck vermittelt hat, du seist genug oder verdientest ungeteilte Aufmerksamkeit? Ist es an der Zeit für ein klärendes Gespräch mit diesem Elternteil? Wie kannst du mit dir selbst zufrieden sein, ohne dafür die Anerkennung anderer Leute zu brauchen?“
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Natürlich gibt es nicht den einen Beweggrund für jede Affäre. Seitensprünge und die Motivationen dafür sind kompliziert, wie Avas Erfahrung zeigt. Letztlich, betont Hoffman, müssen all diejenigen, die eine Affäre zu verarbeiten versuchen, dazu erst einmal in sich selbst hineinschauen und ihre eigenen Impulse, Gefühle und Motivationen hinterfragen – und sich selbst gleichzeitig Verständnis und Selbstliebe entgegenbringen.
Das kann anstrengend sein, ist die Mühe aber am Ende wert. Wer daraus gestärkt hervorgeht, kann daraufhin authentischer leben und glücklichere, ehrlichere Beziehungen führen. Einige Menschen, die fremdgehen, erkennen durch eine Affäre beispielsweise, dass sie ihre Sexualität, Gender-Identität oder Nicht-Monogamie gern weiter erkunden würden. Andere wiederum begreifen, dass sie in einem ungesunden Verhaltensmuster feststecken, das mehr als nur ihre romantischen Beziehungen beeinflusst. „Manchmal entdeckt man durch eine Affäre ein alternatives Selbst“, ergänzt Dr. Nelson. „Dabei geht es nicht immer darum, neue Menschen kennenzulernen – sondern selbst ein neuer Mensch zu werden.“
Das war jedenfalls bei Ava so. Nachdem sie ihre Ehe und ihre Affäre beendet hatte, zog sie mit ihrem Kind in eine neue Stadt und fing eine Therapie an. „Ich entwickelte mein Selbstwertgefühl alleine neu, ohne einen Partner“, erzählt sie. „Ich arbeitete an meiner Karriere und wurde zu einer starken, alleinerziehenden Mutter, die gelernt hat, mir die Elternschaft mit dem Mann zu teilen, der mir das Herz gebrochen hat. Irgendwann fühlte ich mich selbst wieder vollständig. Ich gestand mir selbst schlimme Wahrheiten über mich selbst ein und vergab mir dafür.“
Es mag viel Zeit und Mühe erfordert haben; wenn Ava heute aber auf ihr Leben zurückblickt, muss sie anerkennen, dass dieser eine Morgen – die E-Mail ihrer Affäre und der daraus resultierende Schock – ihr persönlicher Antrieb dafür war, sowohl ihre komplizierte Affäre als auch ihre launenhafte Ehe zu beenden. Und heute betrachtet sie diesen Moment als einen der wichtigsten ihres bisherigen Lebens.
*Name wurde von der Redaktion geändert.
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