Es gibt ein Sprichwort, das besagt, dass es keine Hierarchie des Leidens gibt. Das gilt besonders für Trennungen, den großen Gleichmacher. Wir können nicht immer vorhersagen, wie sie sich auf uns auswirken werden, oder die Intensität des Liebeskummers, den wir empfinden werden, von der Länge einer Beziehung abhängig machen. Als lesbische Person denke ich jedoch, dass Trennungen von lesbischen Paaren etwas Besonderes sind; nicht schlimmer, aber anders. Von der entmutigenden Darstellung von Liebeskummer in den Medien bis hin zu familiärer und gesellschaftlicher Homophobie gibt es viele Gründe, warum Trennungen für lesbische Paare besonders kompliziert sein oder von anderen abgegrenzt vonstatten gehen können. Dadurch, dass sich viel in der Welt verändert hat, trifft das zum Glück aber immer seltener zu.
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Als ich ein Teenager war (Ende der 2000er) und mir bewusst wurde, dass ich mich zu Frauen hingezogen fühle, hatte ich das Gefühl, ich sei die Einzige auf der Welt, der es so ging. In meiner Schule gab es niemanden, die in einer lesbischen Beziehung war oder den Wunsch danach äußerte. Es gab ein paar Darstellungen von lesbischen Personen in den Medien, aber definitiv keine in meinem Alter, und die sozialen Medien steckten damals noch in den Kinderschuhen. Als ich mit 18 Jahren meine erste Freundin kennenlernte – die übrigens die erste offen lesbische Frau war, die ich je getroffen hatte –, hatte ich das Gefühl, dass das Unmögliche möglich wurde. Unsere Beziehung war etwas, von dem ich insgeheim geträumt hatte, das aber unerreichbar gewirkt hatte. Ich glaube, das ist ein Grund dafür, dass ich so traurig war, als wir uns ein Jahr später voneinander trennten.
Wie alle ersten Lieben fühlte es sich so an, als ob etwas, auf das ich so lange gewartet hatte, zerbrochen sei. Erschwerend kam hinzu, dass ich mir nicht sicher war, ob ich jemals wieder solche Gefühle für jemanden empfinden würde. In den folgenden Jahren schien ich ein Verhaltensmuster anzunehmen, das diese Denkweise bestätigte: Ich verliebte mich in Mädchen, die sich als heterosexuell identifizierten. Weil sie sich noch nicht als bi- oder homosexuell geoutet hatten, konnte ich in Echtzeit beobachten, wie sie jene Schwierigkeiten zu bewältigen versuchten, mit denen ich als Teenager zu kämpfen hatte – von Verwirrung bis Scham. Einige schafften es auf die andere Seite und wir wurden ein Paar; andere sagten mir, dass sie einfach nicht auf Mädchen stünden. Das verstärkte mein Gefühl, dass etwas mit mir nicht stimmte. Jedes Mal, wenn das passierte, fühlte ich mich zum Scheitern verurteilt – als sei die Auswahl an möglichen Partner:innen zu klein, als gäbe es einfach nicht so viele lesbische Mädchen da draußen. Damals machte die LGBTQ+-Community öffentlich nur einen kleinen Prozentsatz der Bevölkerung aus, und so schienen lesbische Personen Mangelware zu sein.
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Es gibt alte Stereotypen: dass lesbische Personen zu schnell zusammenziehen, dass wir schon die Nachfolgerin daten, während wir noch mit der Vorgängerin zusammen sind. Aber selbst, wenn diese Klischees auf einige lesbische Paare zutreffen, sind sie ja nicht unbedingt etwas Schlechtes, oder? Warum sollten wir damit warten, uns zu binden?
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Ironischerweise war ich mit diesem Gefühl nicht allein. Sara, 24, wuchs in einer Stadt auf, wo sie keine anderen queeren Menschen kannte. Deshalb fühlte sich der Dating-Pool nicht klein an, sondern war nicht vorhanden. Als pansexuelle Person fühlt sie sich potenziell zu allen Geschlechtern hingezogen, hatte bisher aber überwiegend gleichgeschlechtliche Beziehungen. Sie erinnert sich daran, dass sie als junge queere Person of color nur selten eine Darstellung von anderen queeren und trans Menschen of color in einer Beziehung sah – geschweige denn einer gesunden. Die Darstellungen von lesbischen Paaren, die sie sah, waren intensiv – Blau ist eine warme Farbe ist ein Paradebeispiel dafür – und hinterließen bei ihr den Eindruck, dass Trennungen immer dramatisch oder qualvoll sein würden. „Ich hatte ständig im Hinterkopf, dass so ein Trauma unausweichlich war“, erinnert sie sich heute. „Ich glaube, du verinnerlichst das. Und wenn es dann zu einer Trennung kommt, fühlt sich die Unvermeidlichkeit offensichtlich an.“
Daisy Jones, die Autorin von All The Things She Said, ist auch der Meinung, dass die Medien ein bestimmtes Klischee in Bezug auf lesbische Beziehungen kultiviert haben. „Ich denke, dass die Medienlandschaft – und insbesondere die Musikwelt – Trennungen zwischen Frauen oft als ein verheerendes Ereignis darstellt, mit viel Sehnsucht, Besessenheit und Bedauern im Nachhinein. Nimm z. B. den MUNA-Song ‚Everything‘ als Beispiel, in dem es im Refrain heißt: ‚Everything's about you to me!‘ (zu Deutsch: Für mich dreht sich alles um dich!) Das ist meiner Meinung nach die Trennungshymne für lesbische Personen schlechthin – tragisch, zwanghaft, sich darin suhlend. Natürlich sind Trennungslieder so alt wie die Zeit selbst und es gibt Millionen von heterosexuellen Musiker:innen, die ebenfalls tragische Lieder über Trennungen schreiben. Ich glaube aber, es ist seltener, einen Trennungssong zu hören, in dem es um lesbische Liebe geht und in dem es heißt: ‚Juhu, ich bin Single!‘, oder der sich als eine queere Version von ‚Thank U, Next‘ (zu Deutsch: Danke, der:die Nächste, bitte) eignen würde.“
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Für Daisy ist das, was eine lesbische Trennung so schwierig machen kann – und vielleicht das Thema vieler Kunst, die sich Liebeskummer widmet –, dass sich Frauen ziemlich leicht in Beziehungen „verlieren“ können. „Ich verallgemeinere natürlich“, erklärt sie, „aber deine Partnerin kann auch sehr schnell zu deiner Familie und deiner besten Freundin werden. Ich sehe heterosexuelle Paare, die nur mit ihren heterosexuellen Freund:innen ausgehen und eigenständige Einheiten innerhalb der Partner:innenschaft bleiben. Ich glaube, es ist ziemlich stereotypisch, dass Frauen relativ schnell alles füreinander bedeuten, und das macht es schwer, später ohne einander auszukommen. So verliert eine Person nicht nur ihre Partnerin, sondern auch jegliche Unterstützung, ihre Familie und ihre Lebensweise.“
So fühlt sich auch Sara. „Ich glaube, wie intensiv sich eine Trennung anfühlt, hängt damit zusammen, an wen du dich normalerweise wendest, wenn du Hilfe brauchst. Meine Familiensituation war insofern schwierig, als dass das Thema Dating bei uns aus kulturellen Gründen tabu war.“ Damit waren auch Gespräche über gleichgeschlechtliche Trennungen vom Tisch.
Laut Nicholas Rose, einem Psychotherapeuten, der vor allem mit Menschen in queeren Beziehungen arbeitet, distanzieren sich queere Menschen bei einer Trennung aus Scham oder mangelnder Akzeptanz häufig von ihren Familien. Und wenn deine eigene Familie deine Sexualität nicht akzeptiert, hast du vielleicht eine starke Bindung zur Familie deines Partners oder deiner Partnerin aufgebaut, ohne die du nach einer Trennung ebenfalls auskommen musst, fügt er hinzu.
Rose meint, dass diese Umstände das Gefühl von Isolation, das ohnehin bereits besteht, noch verstärken können. „Es gibt weniger Daten und Verständnis für die spezielle Dynamik in lesbischen Beziehungen und den besonderen Druck, unter dem solche Paare stehen können“, sagt er. Das zeigt sich auch in unserer Gesellschaft: Für queere Frauen gibt es weniger starke Netzwerke von queeren Frauen, mit denen sie reden können, als es bei Männern in gleichgeschlechtlichen Beziehungen in der Regel der Fall ist. Diese können auf einen größeren Fundus an Literatur, Informationen und Content im Allgemeinen zurückgreifen. „Was oft emotionalen Stress verursacht, ist der Verarbeitungsprozess selbst – und ein Teil der Fähigkeit, Dinge zu verarbeiten, besteht darin, zu verstehen, wie andere Menschen mit Herausforderungen dieser Art umgehen“, sagt Rose. Wenn du also Beispiele siehst, mit denen du dich identifizieren kannst, hast du die Gewissheit, dass Trennungen nun mal wehtun und glaubst nicht, dass du die einzige Person bist, der es so ergeht.
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Angesichts all dessen ergibt es Sinn, dass lesbische Ehen statistisch gesehen – noch vor hetero- oder homosexuellen Ehen – mit den höchsten Scheidungsraten enden. In Online-Artikeln wird frustrierenderweise auf alte Stereotypen als möglichen Grund dafür verwiesen: dass lesbische Personen zu schnell zusammenziehen, dass wir schon die Nachfolgerin daten, während wir noch mit der Vorgängerin zusammen sind. Aber selbst, wenn diese Klischees auf einige lesbische Paare zutreffen, sind sie ja nicht unbedingt etwas Schlechtes, oder? Warum sollten wir damit warten, uns zu binden? Queere Menschen haben sich nie an die üblichen Timelines gehalten, wenn es beispielsweise ums Heiraten oder Kinderbekommen ging, weil das früher auch gar nicht möglich war. Das Klischee vom lesbischen „U-Hauling“, also dem schnellen Zusammenziehen mit einer Partnerin, könnte ein weiteres Beispiel dafür sein, dass wir unseren eigenen Weg gefunden haben, Dinge zu tun. Das gilt auch für die höhere Scheidungsrate. Warum in einer Beziehung bleiben, wenn du unglücklich bist? Wenn du das tust, weil du glaubst, dass es das ist, was die Gesellschaft von dir erwartet oder was eine Ehe vorschreibt, dann ist es vielleicht besser, weiterzuziehen.
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. Das finde ich beruhigend.
Daisy Jones
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Die Realität von lesbischen Personen ist nicht mehr dieselbe wie vor zehn Jahren, als ich mich outete. Die Gründe, die damals zu Trennungen von lesbischen Paaren führte, ändern sich allmählich. Zunächst einmal wissen wir, dass sich immer mehr Menschen als queer oder sexuell fluid identifizieren, was bedeutet, dass „der Dating-Pool“ im Prinzip größer wird. „Die Welt ist ein riesiger Ort und es gibt so viele Mädchen da draußen – eigentlich zu viele“, scherzt Daisy. „Ich gehe abends aus und treffe Leute, die ich noch nie in meinem Leben gesehen habe. Die echte Welt sieht anders aus als in The L Word – wenn Frauen Frauen lieben. Das finde ich beruhigend.“
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Heutzutage gibt es auch mehr und bessere Darstellungen von lesbischen Beziehungen in den Medien. „Ich denke, dass die Darstellung von lesbischen Beziehungen im Allgemeinen im letzten halben Jahrzehnt viel sexier und cooler geworden ist und dass die Dinge nicht mehr ganz so morbide oder miserabel sind wie früher“, sagt sie. „Videos wie ‚Gone‘ von Christine und Charli oder St. Vincent in Latex, King Princess auf dem Cover vom Playboy, Fernsehsendungen wie Euphoria und Betty zeigen, dass wir nicht immer mitten in einer Krise stecken oder weinen oder Liebeskummer haben“, lacht sie. „Ich glaube, in den letzten Jahren haben sich die alten, zweidimensionalen Vorstellungen davon, wie lesbische und bisexuelle Beziehungen und folglich auch Trennungen aussehen, wirklich weiterentwickelt.“
Falls du gerade eine Trennung durchlebt hast, können dir Instagram und TikTok beim Verarbeitungsprozess helfen, betont Sara. „Auf diesen Plattformen können wir über queere Beziehungen und darüber sprechen, ob sie intensiver sind, und der Beweis dafür ist die Tatsache, dass es Meme-Accounts gibt, die sich ausschließlich um lesbische Trennungen drehen", sagt sie. „Sie basieren auf gegenseitigem Verständnis, was der Grund dafür ist, warum sie so verbreitet sind.“ Es gibt eine Art „Zusammengehörigkeit“, besonders auf TikTok, sagt sie. „Alles wird erzählt – von der Person, die jemand gedatet hat, bis hin zur Trennung, und anhand der Kommentare zeigt sich, dass es vielen von uns so geht. Das Ganze ist in einer Kultur eingebettet.“ Wenn du dich nicht vor deiner Familie oder deinen Freund:innen outen möchtest, kannst du dir in den sozialen Medien ein Netzwerk aus Menschen aufbauen, mit denen du über deine Trennung sprechen kannst. „Vielleicht liegt es an meinem Algorithmus, aber ich sehe oft, dass queere und trans Menschen of color etwas zu ihrem Liebeskummer posten. Die Kommentarbereiche werden zu Gemeinschaftsräumen, in denen Menschen versuchen, einander zu unterstützen.“
QueerTok ist ihrer Meinung nach zu einem eigenen Universum für Akzeptanz und die Queer-Community geworden. „Räume für queere Menschen können physisch sein – und das ist großartig –, aber manche Leute leben vielleicht zu Hause oder bei ihren Eltern oder an einem kleinen Ort, wo es niemanden gibt, mit dem:der sie über ihre Sexualität reden können. Das Internet eignet sich dann hervorragend dazu, all das zu verarbeiten“ – ein Raum, dank dem lesbische Trennungen (vielleicht) nicht unbedingt herzzerreißend und tragisch sein müssen.