„Du bist so jung; du wirst bestimmt wieder jemanden kennenlernen.“
Im Laufe der letzten 15 Monate, seit dem Tod meines Partners, habe ich den gleichen Satz so oft gehört, dass ich nicht mehr mitzählen kann. „Gott sei Dank wart ihr nicht verheiratet“, sagten einige Leute zu mir, als ob das dieses tragische Ereignis irgendwie leichter machen würde. In meinem Herzen waren wir aber sehr wohl verheiratet und noch einiges mehr. Wir sind bloß nicht mehr dazu gekommen, tatsächlich den Deckel draufzumachen.
Ben war mein Lebenspartner, mein Verlobter, mein zukünftiger Ehemann, der Vater meiner zukünftigen Kinder – zumindest hatte ich das gedacht. Ich wusste, dass er etwas Besonderes war, als ich ihn an einem Feiertag im August 2014 kennenlernte, nur wenige Monate nach meinem 24. Geburtstag. Obwohl ich jung war, entwickelte sich unsere Beziehung schnell – denn wenn du dir sicher bist, bist du dir ganz einfach sicher.
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Wir erklärten uns in den frühen Morgenstunden eines Sonntags in jenem Herbst auf einer heißen, klebrigen Tanzfläche bei einer Lagerhausparty unsere Liebe zueinander. Nur zwei Monate später zogen wir zusammen und verbrachten sechs unglaubliche Jahre miteinander, bis ich ihn kurz nach meinem 30. Geburtstag im Jahr 2020 verlor.
Während unserer Beziehung lebten wir in sechs verschiedenen Häusern, erkundeten ein Dutzend Länder, tanzten auf Hunderten von Tanzflächen und besuchten unzählige Festivals. Wir überstanden Phasen, während derer wir eine Fernbeziehung führen mussten, besprachen berufliche Veränderungen, feierten Beförderungen und legten gemeinsames Geld an. Wir waren dabei, als Kinder innerhalb unserer Kreise zur Welt kamen, hatten mit schweren Krankheiten zu kämpfen, verabschiedeten uns ein letztes Mal von Geschwistern und beerdigten Eltern. Als wir älter wurden, nannten wir uns Mann und Frau, denn für uns waren wir genau das: Mann und Frau. Wir sagten oft, dass wir in diesen sechs kurzen Jahren so viel Lebenserfahrung gesammelt hatten wie in einer 60-jährigen Beziehung. Die letzten 15 Monate brachten uns einander näher, als wir es uns je hätten vorstellen können.
Wir hofften, dass wir noch 54 gemeinsame Jahre miteinander hätten, aber im Juli 2019 wurde bei Ben eine seltene Art von Krebs diagnostiziert: Er hatte einen malignen peripheren Nervenscheidentumor. Das war der Anfang vom Ende, denn nur acht Monate nach der ersten Diagnose wurde seine Erkrankung als unheilbar eingestuft.
Kurz vor seinem Tod wurde uns mitgeteilt, dass die Ärzt:innen nichts mehr tun konnten, um die Ausbreitung der Krankheit zu verlangsamen. Ben hatte bereits zwei erfolglose Chemotherapien hinter sich, aber die Metastasen verbreiteten sich weiter wie ein Lauffeuer. Seine Onkolog:innen schlugen ihm vor, eine Liste mit all den Dingen zu schreiben, die er noch unbedingt tun wollte und rieten ihm, sie so bald wie möglich zu tun.
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Obwohl wir dem Tod direkt ins Auge blickten, weigerten wir uns, uns zu fürchten und nur aus Angst zu heiraten. Und obwohl ich mir von morgens bis abends Sorgen machte, musste ich daran glauben, dass Ben eine der Ausnahmen der Regel sein würde, dass er seinem Sarkom (die Art von Krebs, der in Knochen und Muskeln beginnt) die Stirn bieten würde, dass wir unsere Traumhochzeit auf Ibiza haben könnten und dass unser gemeinsames Leben zur Normalität zurückkehren würde. Immerhin hatten doch so viele der Überlebenden von Krebs im Endstadium, über die wir gelesen hatten, dieses Glückslos gezogen. Es würde nur ein wenig länger dauern, als wir ursprünglich geplant hatten.
Aber die Dinge liefen nicht nach Plan und wir konnten unsere Traumhochzeit nicht feiern.
Am 14. November 2020 wurde mein schlimmster Albtraum wahr. Das war der Tag, an dem Ben an schweren COVID-19-Komplikationen starb, nachdem er 24 Tage lang auf einer Intensivstation am Leben erhalten worden war. Von diesem Tag an bezeichnete ich mich als Witwe.
Das ist der Grund, warum:
Es gibt kein offizielles Wort für diejenigen von uns, die vor der Eheschließung ihre:n Partner:in verlieren. Wir haben nicht die gleichen Rechte oder steuerlichen Vorteile wie Ehepartner:innen. Außerdem wird unsere Trauer meiner persönlichen Erfahrung nach deshalb weniger ernst genommen. Stattdessen müssen wir uns abgedroschene Phrasen anhören, wie: „Du bist so jung; du wirst bestimmt wieder jemanden kennenlernen. Zum Glück wart ihr nicht verheiratet.“ Wenn ich meine Beziehung aber mit jenen von Personen vergleiche, die verheiratet sind, dann ist das Stück Papier, das wir nicht hatten, der einzige Unterschied. Was ist schon ein Stück Papier, wenn doch die Gefühle die gleichen sind?
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Wenn du das Wort Witwe hörst, denkst du vielleicht an ältere Damen und die Farbe Schwarz. Wenn ich dieses Wort höre, denke ich aber an die besondere Bedeutung, die es für diejenigen von uns hat, die sich ohne ihre:n Partner:in in diesem Neuland zurechtfinden müssen. Für mich ist es ein Zeichen dafür, welch große Rolle Ben in meinem Leben gespielt hat und immer noch spielt und wie sehr es wehtut, dass er von uns gegangen ist. Mich als Witwe zu bezeichnen, erinnert auch andere daran, wie lebenseinschneidend Bens Tod für mich war. Ich bezeichne mich als Witwe, weil andere Menschen sonst möglicherweise meine Trauer herunterspielen würden.
Ben war mein Lebenspartner, mein Verlobter, mein zukünftiger Ehemann, der Vater meiner zukünftigen Kinder. Wir hatten unsere Jugend gemeinsam durchlebt und alles, was dazugehörte: die unzähligen Höhen und Tiefen, Wendungen, Erfolge und Misserfolge, Geburten und Todesfälle. Wir brauchten kein Dokument, das unsere Beziehung oder unsere Liebe füreinander bestätigte.
Unterm Strich bedeutet das: Verheiratet oder nicht, jeder Verlust verdient die gleiche Anerkennung und das gleiche Mitgefühl. Unabhängig von deinem offiziellen Status ist ein:e Partner:in untrennbar mit unserer alltäglichen Erfahrung verwoben. Seine:Ihre Anwesenheit berührt jeden Aspekt unseres Lebens; unsere Identität verschmilzt im Laufe der Zeit – wohl oder übel – mit der unserer Partner:innen.
Im Jahr 2015 verlor die Schauspielerin Michelle Dockery ihren Verlobten John Dineen an Krebs. In einem Interview mit The Guardian sagte sie, dass die beiden verlobt, aber „im Herzen verheiratet“ gewesen seien und erklärte sich zum ersten Mal in der Öffentlichkeit als Witwe.
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„Ich bezeichne mich selbst als Witwe, weil wir im Grunde genommen verheiratet waren“, sagte Dockery. Sie fügte hinzu, dass es eine „Erleichterung“ sei, das ausgeprochen zu haben.
Es ist wichtig, dass wir trauernden Menschen die Erlaubnis geben, sich mit ihrer Trauer auseinanderzusetzen und ihre Beziehung zu dem Menschen, den sie verloren haben, so zu beschreiben, wie sie es für richtig halten. Für mich, Michelle und viele andere hat das Verwenden des Wortes „Witwe“ dazu geführt, dass ich meine Beziehung zu meinem verstorbenen Verlobten nach meinen eigenen Vorstellungen neu definieren und mein Leben wieder in den Griff kriegen konnte.
Ich hatte immer gehofft, dass ich dieses Wort nie brauchen würde, aber jetzt sehe ich es als die allergrößte Ehre überhaupt an, Ben geliebt zu haben und seine Witwe zu sein.
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