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Unsere platonische Ehe hat genauso ihre Berechtigung wie eine romantische

Foto: Megan Madden
Die 26-jährige Chiderah und die 31-jährige Deidre lernten sich vor der Pandemie über eine Dating-App in Toronto kennen. Bei ihrem ersten Date gingen sie in eine Bar und sprachen über ihren gemeinsamen Traum, eines Tages nach Europa zu ziehen. Als sie merkten, dass sich aus der Sache keine Liebesbeziehung entwickeln würde, trafen sie sich trotzdem weiterhin in Cafés und arbeiteten dort zusammen.
Während der Pandemie zogen die zwei Frauen nach Berlin, wo Chiderah mit vielen Herausforderung klarkommen musste: Sie hatte Probleme mit dem Job und finanzielle Schwierigkeiten, musste einige Trennungen durchmachen und wurde von Bettwanzen heimgesucht. Sie war völlig verzweifelt.
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Als Deidre sie dann in den Arm nahm und ihr sagte, dass am Ende alles gut ausgehen würde, machte es Klick. „In diesem Moment sah ich sie an und dachte mir: ‚Sie ist die Person, mit der ich den Rest meines Lebens verbringen möchte‘“, erzählt Chiderah. Zwei Wochen später heirateten sie in Anwesenheit von ein paar Freund:innen feierlich in ihrer kleinen Berliner Wohnung.
Die beiden führen eine platonische Ehe, die rechtmäßig ist und ihre Beziehung gefestigt hat, die auf spiritueller Verbundenheit und einer praktischen Form von Liebe basiert und nicht sexueller oder romantischer Natur ist. Einem aktuellen Bericht der New York Times zufolge scheinen platonische Ehen immer beliebter zu werden.
In Ländern wie dem Vereinten Königreich sind die Heiratsraten zwischen Mann und Frau so niedrig wie nie zuvor, was vielleicht darauf hindeutet, dass die jüngere Generation dort von der klassischen Vorstellung davon, wie eine Ehe auszusehen hat, Abstand nimmt. Auch in Deutschland hat sich diesbezüglich viel getan. Seit 2017 ist dort eine Eheschließung auch für gleichgeschlechtliche Paare möglich. In Österreich ist das seit 2019 der Fall. In der Schweiz wird es im Juli dieses Jahres so weit sein. Was aber platonische Ehen betrifft, so ist es an dieser Stelle wichtig, zu erwähnen, dass es derzeit keine Kategorie gibt, um sie statistisch zu erfassen. Deshalb ist es unmöglich, zu wissen, wie viele davon bereits geschlossen wurden.
Was bewegt also zwei Personen dazu, sich dazu verpflichten, ihre:n Freund:in auf platonische Weise zu lieben und zu ehren, bis dass der Tod sie scheidet?
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„Wir leben zusammen, haben Pläne für ein gemeinsames Haus und lieben uns in Krankheit und in Gesundheit. Wir kommunizieren jeden Tag miteinander. Wenn es in meinem Leben eine wichtige Entscheidung zu treffen gibt, berate ich mich mit ihr“, erklärt Chiderah, die in der PR-Branche und als Model arbeitet. „Deidre ist die Person, an die ich mich mit allem wende. Freund:innen sprechen oft nicht unbedingt jeden Tag miteinander. Wenn es um Kommunikation geht, kann es da eine gewisse Distanz geben. Deidre kennt mich aber besser als jeder andere Mensch auf dieser Welt und ich liebe sie.“
Außerdem bietet eine platonische Ehe Steuererleichterungen und rechtliche und wirtschaftliche Vorteile, wie z. B. Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung, das gemeinsame Sorgerecht für das Kind bzw. die Kinder, eine vornehmliche Absicherung für den hoffentlich nicht eintretenden Fall einer Scheidung, Ehegattensplitting, eine Optimierung der Steuerklassen, etc.
Viele platonische Paare geben aber ähnliche Beweggründe für ihre Heirat an wie andere, „konventionelle“ Ehepaare: den Wunsch, ihre Leben miteinander zu verknüpfen und vor aller Augen zu bekräftigen, dass sie füreinander der wichtigste Mensch in ihrem Leben sind.
Die Idee davon, was eine „legitime“ Liebesbeziehung ausmacht, hat sich in den letzten Jahrzehnten erweitert. Viele Menschen heiraten jetzt erst später im Leben und immer mehr junge Erwachsene entscheiden sich dafür, zuerst zusammenzuleben, bevor sie den Bund fürs Leben schließen oder anstatt sich trauen zu lassen.
Obwohl sich die gesellschaftliche Einstellung zur Ehe ändert, ist Romantik immer noch ganz oben in der Rangliste, wenn es um persönliche Beziehungen geht. Sie ist, was die meisten von uns bei der Partner:innensuche als Ziel verfolgen. Indem sie das Blatt wenden und Freundschaft in den Mittelpunkt stellen, verändern platonische Lebenspartnerschaften die gesellschaftliche Norm in Bezug aufs Heiraten und Partnerschaften an sich. Sie nehmen den Platz ein, der normalerweise für romantische und sexuelle Beziehungen reserviert ist, und zeigen uns, dass diese Form von Ehe genauso erfüllend sein kann, auch wenn es keine körperliche Intimität gibt.
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„Es ist möglich, sowohl romantische als auch platonische Seelenverwandte zu haben“, sagt Deidre, Schriftstellerin und Filmemacherin. „Natürlich gibt es einige Bedürfnisse, die Chiderah nicht erfüllen kann, aber wenn es um Partnerschaften geht, so sollte die Grundlage unerschütterliche Liebe und Unterstützung sein und das bietet sie mir und ich ihr.“
„Deidre ist ein emotionaler Anker für mich, denn manchmal verstehen mich romantische Partner:innen einfach nicht so gut wie sie“, fügt Chiderah hinzu. „In romantischen Beziehungen versuchen wir manchmal die Version von Romantik, mit der wir aufgewachsen sind und die wir idealisiert haben, mit der Person in Einklang zu bringen, die wir tatsächlich vor uns haben. Ohne Romantik kannst du die Person aber so akzeptieren, wie sie ist.“
Wenn du darüber nachdenkst, sind solche Beziehungen in der Popkultur allgegenwärtig. Denk nur mal an die symbiotische Freundschaft von Meredith Grey und Cristina Yang in Grey's Anatomy, in der sie sich ständig gegenseitig als ihre „Person“ bezeichnen. Und was ist mit Thelma & Louise, oder den Geschichten über platonische Liebe in Dolly Aldertons Buch Alles, was ich weiß über die Liebe, einer Ode an ihre Freundschaften?
Freundschaft über eine romantische Bindung zu stellen, stellt die Art und Weise in Frage, wie wir als Gesellschaft Intimität und Fürsorge sehen. Aber wie alle oben genannten Beispiele zeigen, ist Liebe nicht unbedingt an Romantik gebunden und Sex muss nicht der einzige Ausdruck von Liebe sein. Wenn wir über die patriarchalischen Erwartungen hinausgehen, bietet die Liebe Raum für viele unterschiedliche Ausdrucksformen.
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Im November 2020, nach fast zehn Jahren sehr enger Freundschaft, heiratete der:die 24-jährige Jay seinen:ihren guten Freund bzw. seine:ihre gute Freund:in Krystle. Sie schlossen den Bund fürs Leben mit einer traditionellen Zeremonie mit Brautkleidung, Ringen und Gelübden.
„Wir haben weder eine romantische noch eine körperliche Beziehung zueinander“, sagt Jay. „Wir heirateten, um unseren inzwischen vollständig adoptierten Sohn gemeinsam aufziehen zu können. Wir erziehen ihn miteinander, wir teilen uns die Finanzen, wir leben im selben Haus, wir teilen ein Bett, aber wir sind nicht verliebt ineinander und haben auch keinen Sex.“
Jay findet nicht, dass du nur dann ein Leben mit jemandem aufbauen solltest, wenn du dich zu dieser Person körperlich hingezogen fühlst. Er:sie hat stattdessen die Entscheidung für sich getroffen, ein Leben mit jemandem aufzubauen, dem:der er:sie vertraut und der:die ähnliche Moralvorstellungen, Werte und Lebensziele hat. „Menschen heiraten aus unterschiedlichen Gründen. Manche heiraten aus finanziellen Gründen oder um Kinder zu bekommen. Nur weil es in meiner Ehe keinen Sex gibt und oder es an Romantik fehlt, ist sie nicht schlechter und hat genauso ihre Berechtigung.“

Wenn es um Partnerschaften geht, so sollte die Grundlage unerschütterliche Liebe und Unterstützung sein.

Deidre
Die platonische Ehe ist alles andere als ein modernes Konzept und reicht viel weiter zurück als Grey's Anatomy. Tatsächlich ist die Erwartung, dass die Ehe eine Verbindung sein sollte, die auf Romantik basiert, relativ modern. Historisch gesehen war sie in erster Linie eine wirtschaftliche Vereinbarung.
Das Aufkommen der romantischen Ehe kann nur bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgt werden und wurde durch Jane Austens Elizabeth Bennet und Mr. Darcy populär. Selbst in „klassischen“ Ehen geht eine romantische Beziehung häufiger in eine platonische Partnerschaft über, als es viele vielleicht zugeben wollen.
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Dr. Kathy Nickerson, eine zugelassene klinische Psychologin und Beziehungsexpertin, ist der Meinung, dass jede:r die Möglichkeit haben sollte, die Vorteile einer Ehe zu genießen. „Wenn zwei Freund:innen beschließen, zu heiraten, weil sie sich gegenseitig unterstützen und die finanziellen Vorzüge einer Ehe in Anspruch nehmen wollen, dann ist das großartig“, erklärt sie. „Viel zu lange wurde die Ehe als eine Art exklusiver Club angesehen, zu dem nur bestimmte Menschen Zugang haben. Das sollte nicht so sein. Jede:r sollte Zugriff zu Versicherungsleistungen, wirtschaftlichen Vorteilen und der emotionalen Unterstützung haben, die eine Ehe oder persönliche Partnerschaft bietet.“
Solange beide Partner:innen die gleiche Vorstellung davon haben, wie ihre Ehe aussehen soll, sieht Nickerson keine Nachteile. „Das Wichtigste ist, dass beide Personen ausführlich und klar darüber sprechen, was sie wollen, brauchen und erwarten. Und nach der Eheschließung sollten beide die Abmachung, die sie miteinander getroffen haben, nicht ohne viel Kommunikation und gegenseitiges Einverständnis ändern.“
Für Chiderah und Deidre ist Kommunikation der Schlüssel. Inzwischen haben sie beschlossen, den Begriff „Ehe“ nicht mehr zu verwenden und sich stattdessen als „platonische Lebenspartner:innen“ zu bezeichnen.
@thelovelyjaybird It all came together in the matter of a year, can’t wait to see what the next brings. #untraditionalfamily #platoniclove #bestfriends #fosterparents ♬ omg she may be insane - Troy
„Wir befinden uns derzeit in einer neuen Phase unserer Beziehung, weil wir einen immensen Druck von außen verspürten, weil andere Leute ihre ideologischen Versionen von Ehe auf uns projizierten“, erklärt Chiderah. „Viele kamen mit der Vorstellung nicht klar, dass wir einfach zwei Menschen sind, die koexistieren, aber auch ihr eigenes erfülltes Leben haben.“
Chiderah sagt auch, dass einige Personen versucht haben, ihre Partnerschaft herunterzuspielen und zu untergraben.
„Die negativen oder verwirrten Reaktionen anderer Menschen zeigen uns, dass unsere Beziehung nicht ernst genommen wurde“, sagt sie. „Wir haben aber sehr wohl aus Liebe geheiratet, und was darauf folgte, lag außerhalb unserer Kontrolle. Es fühlte sich an, als würden wir vergessen, was wir einander bedeuten und füreinander sind. Mit der Scheidung wurde uns eine Last von den Schultern genommen. Wir haben nicht mehr das Gefühl, unsere Partnerschaft ständig rechtfertigen zu müssen.“
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Indem Jay und Krystle sowie Chiderah und Deidre Freundschaft in den Mittelpunkt stellen, sind sie in der Lage, Hierarchien aufzubrechen, eine Gemeinschaft zu schaffen und sozialen Wandel herbeizuführen. Damit zeigen sie, dass es möglich ist, der Liebe jenseits von Romantik einen höheren Stellenwert einzuräumen.
Die Sozialtheoretikerin Bell Hooks bekräftigt diese Idee. In Lieben lernen – Alles über Verbundenheit schreibt sie, dass Frauen, die enge Freundschaften pflegen, „sich wünschen, dass diese Bindungen gewürdigt und geschätzt werden, dass sie uns so tief binden wie Ehegelübde“. Romantische Beziehungen und verbindliche Freundschaften können als zwei Seiten derselben Medaille und nicht als singuläre Konzepte betrachtet werden.
„Wir können Seelenverwandte haben, ohne dabei unbedingt auf eine romantische Partnerschaft ausgerichtet zu sein“, sagt Chiderah. „Seelenverwandte sind Menschen, die dein Leben besser machen. Sie sind Personen, die dich unterstützen, wenn du Hilfe brauchst. Das ist die Botschaft, die wir mehr und mehr vermitteln sollten, um Menschen zu zeigen, dass es in Ordnung ist, anders zu sein oder eine andere Art von Liebe zu wählen, wenn sie besser zu dir passt. Du kannst dein Leben nach deinen eigenen Vorstellungen leben, und das ist völlig okay.“
Romantik vergeht. Vielleicht war die Idee, eine lebenslange Verbindung auf etwas, das von Natur aus vergänglich ist, zu stützen, schon immer idealistisch. Wenn uns von klein auf gesagt wird, dass wir unsere:n beste:n Freund:in heiraten sollen, warum ist es dann umstritten, genau das zu tun?
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