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Hör bitte auf mit „Wir müssen reden“-Nachrichten

Design: Kristine Romano.
Es gibt keine Nachricht, die dasselbe Maß an Panik auslöst wie diese:
„Können wir reden?“
Dabei ist es ganz egal, ob sie von einem:einer Freund:in, Partner:in, Mitarbeiter:in oder Chef:in kommt, und auch, ob via SMS, WhatsApp, E-Mail oder – Gott bewahre – Slack. Diese drei Worte empfinden die meisten von uns als ein sehr, sehr böses Omen und ziehen uns gefühlt den Boden unter den Füßen weg. 
Ganz irrational ist das nicht. Schließlich sind Nachrichten à la „Können wir reden?“ oder „Wir müssen reden“ beinahe immer üble Vorboten. Genau deswegen ist es nie okay, jemandem so etwas zu schreiben – selbst dann, wenn das Thema, über das du sprechen möchtest, eigentlich etwas total Harmloses ist. Selbst wenn du bloß über gemeinsame Wochenendpläne reden, dir eine Meinung einholen oder deinem Gegenüber erzählen möchtest, dass du gerade abserviert wurdest.
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Aber warum treffen uns diese paar Worte so hart? Das hat einen guten Grund: Dopamin. Das ist ein Neurotransmitter, der quasi als Bote zwischen dem Gehirn und dem Nervensystem vermittelt. Studien zufolge bestimmt Dopamin außerdem unsere instinktive Suche nach Dingen, die uns Freude bereiten. Kurz gesagt: Wir lassen uns gern „belohnen“. Zum Beispiel wissen wir, dass uns das Posten eines Selfies Likes einbringen könnte; und wir wissen, dass unsere Nachrichten an andere vermutlich beantwortet werden. All das befeuert den sogenannten „Dopamin-Feedback-Loop“. 
Wo Belohnung winkt, lauert aber eben auch ein gewisses Risiko. Und wenn wir eine Nachricht bekommen, die uns in Unsicherheit stürzt, kann das für Angst und Unruhe sorgen. Wir sind inzwischen so darauf programmiert, auf das Vibrieren und Blinken unserer Smartphones zu reagieren, dass eine Studie von 2015 sogar ergab, dass viele von uns das Handy in der Tasche vibrieren spüren, wenn wir es nicht mal bei uns haben.
Digitale Kommunikation ist ein hochriskantes Spiel – dabei findet ein Großteil unseres Lebens inzwischen in dieser Form statt. Von Trennungen bis hin zur Kündigungs-E-Mail: Viele der wichtigsten Nachrichten, die du in deinem Leben bekommst, erreichen dich mittlerweile über dein Handy. Und genau aus diesem Grund ist zweideutige oder unklare digitale Kommunikation effektiv psychologische Kriegsführung.
Dr. Linda Kaye ist Vorsitzende der Cyberpsychologie-Abteilung der British Psychological Society. „Nachrichten wie diese lösen niemals positive Reaktionen in uns aus. Wir zucken direkt zusammen und denken uns: ‚Oh, okay!‘, weil wir das sofort so interpretieren, dass etwas Wichtiges, Dringendes passiert ist – ob das nun stimmt oder nicht“, erklärt sie.
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Wenn wir also eine Nachricht wie: „Können wir mal reden?“ – oder, noch schlimmer, „Wir müssen reden“ –, bekommen, löst das in uns Dr. Kaye zufolge mit großer Wahrscheinlichkeit die Erwartung von etwas Negativem aus.
Das ergibt Sinn; das habe ich schon am eigenen Leib erfahren. Vor ein paar Jahren bekam ich an einem Dienstagnachmittag eine Nachricht, die mein Leben veränderte. Sie bestand aus nur fünf Worten: „Ich muss mit dir reden.“ In den darauffolgenden Monaten reagierte ich, wie ich heute glaube, jedes Mal quasi traumatisiert, wenn mein Handy vibrierte. Als Konsequenz bat ich mein gesamtes Umfeld darum, mir Sprüche zu schicken wie: „Können wir reden?“, oder: „Hast du mal Zeit für ein Gespräch?“ Es war, als sei in meinem Kopf ein Schalter umgelegt worden. Mein Handy war plötzlich zu ein Portal geworden, durch das Angst und Aufregung in mein Leben schwappten. Du weißt nie, was die Person am anderen Ende deiner Nachrichten so alles durchgemacht hat. Also drück dich klar und deutlich aus – und lass ihn:sie auf jeden Fall wissen, worum es dir geht.
Dr. Kaye erklärt, dass die Sprache, die wir in schriftlicher Kommunikation verwenden, immer eine große Rolle spielt, und warnt davor, dass das insbesondere für Menschen in Machtpositionen gilt.
„Es ist wichtig, das Machtverhältnis zwischen Sender:in und Empfänger:in zu bedenken“, betont Dr. Kaye. „Wenn du eine solche Nachricht zum Beispiel von einem:einer Vorgesetzten bekommst, drückt er:sie damit effektiv aus: ‚Wir müssen reden.‘ Dadurch wirst du in eine passive Rolle gedrängt, in der du mit dieser Person reden musst, ob du willst oder nicht.“
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Aus diesem Grund solltest du immer vorsichtig vorgehen, wenn du jemanden in einer Nachricht um ein Gespräch bittest. Allein die Aufforderung zu einem solchen Gespräch stellt dich nämlich in eine Machtposition.

Wenn du keinen zusätzlichen Kontext dazu bekommst, was die sendende Person von dir möchte, erwartest du mit großer Wahrscheinlichkeit etwas Negatives.

Dr. Linda Kaye
Vor allem im Arbeitsumfeld können so uneindeutige Nachrichten deswegen schnell unheilvoll wirken. Heute – vor allem im Zeitalter des Homeoffice – findet ein Großteil unserer Kommunikation völlig ohne Kontext statt. Das heißt: Wir sind oft von unseren Kolleg:innen räumlich getrennt. Wir können also nicht ihre Gesichtsausdrücke oder Körpersprache deuten, weswegen es uns schwer fallen kann, den Ton einer Nachricht richtig zu interpretieren.
„Wenn du keinen zusätzlichen Kontext dazu bekommst, was die sendende Person von dir möchte, erwartest du mit großer Wahrscheinlichkeit etwas Negatives“, erklärt Dr. Kaye. „Wenn dich jemand von Angesicht zu Angesicht etwas fragt wie: ‚Können wir mal reden?‘, oder: ‚Hast du kurz Zeit?‘, könntest du in seinem:ihrem Gesicht wichtige Hinweise lesen oder bekämst ein instinktives Gefühl dafür, welche Art von Gespräch dir bevorsteht – zum Beispiel am Tonfall deines Gegenübers oder in Form eines Lächelns.“
Obwohl sich unsere schriftliche Kommunikation ständig weiterentwickelt, mangelt es ihr Dr. Kaye zufolge noch immer an den Signalen, an die wir aus direkten Gesprächen so gewöhnt sind. Wir können zwar „ausgleichende Strategien“ nutzen, wie sie es nennt – wie zum Beispiel Emojis –, um unsere Absichten klarer rüberzubringen, aber wenn wir indirekt via Nachricht oder Slack miteinander sprechen, müssen wir immer noch „Bedeutungen zusammenbasteln“, sagt sie.
Und genau deswegen solltest du niemals eine Nachricht à la „Können wir mal reden?“ verschicken, sondern dich stattdessen genauer ausdrücken. Du brauchst Beispiele? Sollst du haben: „Können wir über deine Pläne für nächste Woche sprechen?“, oder: „Können wir uns mal über deine Präsentation unterhalten?“ Oder frag jemanden, ob er:sie Zeit für ein Gespräch hat, weil du ihn:sie vermisst. Kurz gesagt: Was du auch tust – gib deinem Gegenüber möglichst wenig Freiraum zur Interpretation, denn er:sie wird ansonsten höchstwahrscheinlich überlegen, was zwischen euch schief gelaufen sein könnte.
Und wenn du selbst mal eine „Wir müssen reden“-Nachricht ohne Kontext bekommst, denk dran: Bevor du einem Gespräch zustimmst, ist es dein gutes Recht, zu fragen, worum es darin gehen soll.
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