Eine Paartherapie ist nicht die erste Sache, die uns in den Sinn kommt, wenn wir an ein frisch verliebtes Pärchen denken. Obwohl viel über Hochzeiten und den ersten Kuss geredet wird, drehen sich Hollywood-Blockbuster selten um die Arbeit, die hinter einer erfolgreichen Beziehung steckt.
Die Erwartung, dass Beziehungen wie in Rom-Coms verlaufen sollen, wird nun endlich zunehmend in Frage gestellt – vor allem von der jüngeren Generation. Diese lässt sich Expert:innen zufolge früher als je zuvor auf Paartherapien ein.
„Früher galt eine Paartherapie als etwas, das Menschen vorbehalten war, die jahrzehntelang verheiratet gewesen waren, bevor ihre Ehen irgendwann zu kriseln begannen und sie deshalb große Geschütze auffahren mussten“, sagt Natasha Silverman, Therapeutin bei der Beziehungshilfsorganisation Relate. „Ich beobachte, dass immer mehr junge Personen eine Therapie machen, weil sie sie als einen wichtigen Teil von Selbstfürsorge betrachten. So wie sie sich im Fitnessstudio um ihren Körper kümmern, kümmern sie sich in der Therapie um ihre geistige Gesundheit und ihre Beziehung.“
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Für Nikki, die mit 32 zusammen mit ihrem Partner mit einer Paartherapie begann, hat diese Entscheidung sehr viel verändert. „Das war Anfang 2016 und wir kannten uns erst seit etwa sechs Monaten“, sagt sie. „Wir waren seit zwei Monaten zusammen gewesen, als wir einen furchtbaren Streit hatten.“
In früheren Beziehungen hätte sie vielleicht Schluss gemacht, aber irgendetwas sagte ihr, dass es diese wert war, nicht einfach das Handtuch zu werfen. „Ich fühlte mich wirklich zu ihm hingezogen und wusste, dass er etwas Besonderes ist“, sagt sie. „Ich war von ihm inspiriert und wollte die Beziehung retten.“ Als ihre Schwester ihr dann davon erzählte, dass sie in Therapie war, beschloss Nikki, es ebenfalls damit zu versuchen.
„Meine Schwester ist in einer polyamoren Beziehung mit zwei anderen Personen. Das kann sehr kompliziert sein, weshalb sie mit einer Paartherapie anfing und mir ebenfalls dazu riet“, fährt Nikki fort. „Ich war überrascht, dass mein Partner dazu bereit war. Das zeigt aber, dass er auch um unsere Beziehung kämpfen wollte.“
In der Therapie entdeckten die beiden schnell, was ihre Beziehung belastete.
„Innerhalb der ersten fünf Minuten schien unsere Therapeutin zu verstehen, wie wir uns beide fühlten“, sagt Nikki. „Sie sagte uns, dass wir in eine übliche Beziehungsdynamik hineingeraten waren. Ich habe Angst vor Konflikten und bei ihm ist das Gegenteil der Fall. Wir lösten beide die Angst der jeweils anderen Person auf unterschiedliche Weise aus. Das war es auch, was zu diesem verheerenden, explosiven Streit geführt hatte.“
Für uns beide war es aufschlussreich, zu erfahren, wie wir schlechte Gewohnheiten in unserer Beziehung entwickelt hatten. „Ich glaube jetzt, dass die Art und Weise, wie eine Person mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin umgeht, viel mit der Kindheit zu tun hat“, sagt Nikki. „Kleine Dinge, die einen damals verletzten, können sich in der Beziehung fortsetzen. Ich habe gelernt, dass bestimmte Dinge nicht bedeuten, dass er mich verurteilt oder herabsetzt. Die Therapie hat es uns ermöglicht, uns gegenseitig zu verstehen.“
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In der Anfangszeit hatte das Paar wöchentliche Therapiesitzungen, aber mit der Zeit konnten sie die meisten ihrer Kommunikationsprobleme auch ohne Hilfe von außen lösen. „Wir gehen immer noch einzeln und gemeinsam hin, wenn wir das Gefühl haben, dass wir Unterstützung brauchen“, sagt Nikki. „Wenn z.B. etwas Großes passiert, wie eine Familientragödie, die wir bewältigen müssen.... Wir haben jetzt nur mehr ein paar Mal im Jahr Paartherapie, um sicherzustellen, dass auch alles gut läuft.“
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Wir haben in der Paartherapie so viel über unsere Verhaltensmuster gelernt. Das hat sich auch auf andere Beziehungen in meinem Leben, wie zum Beispiel jene bei der Arbeit, ausgewirkt. Außerdem konnte ich mithilfe der Therapie lernen, meine Reaktionen zu verstehen und damit umzugehen.
Nikki, 32
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Silverman sagt, der häufigste Grund, warum junge Paare eine Therapie machen, sei, um die Zyklen zu durchbrechen, die sie in der Vergangenheit an einer erfolgreichen intimen Beziehung gehindert haben.
„Manche Menschen wissen, dass die Art und Weise, wie sie sich in Beziehungen verhalten, ihr langfristiges Glück untergräbt“, erklärt Silverman. „Oder sie sehen, dass sie die Fehler ihrer Eltern wiederholen. Wir neigen dazu, das zu wiederholen, was wir kennen und was uns vertraut vorkommt.“ Sie fügt hinzu, dass auch unsichere Bindungsstile eine Rolle spielen. Diese können dazu führen, dass Menschen das Bedürfnis haben, Intimität zu vermeiden oder sich ängstlich fühlen, wenn sie sie nicht bekommen.
„Ich sehe oft Menschen, die Quizze zu Beziehungen oder Bindungsstilen gemacht haben und feststellen, dass etwas an der Dynamik zwischen ihnen und ihrem Partner oder ihrer Partnerin nicht stimmt“, fügt sie hinzu. „Älteren Paaren hatten diese Art von Informationen nicht zur Verfügung. Zudem wurde es früher als nichts Ungewöhnliches angesehen, wenn Personen in einer Beziehung nicht übermäßig glücklich waren.“
Silverman glaubt, dass es befähigend ist, dass junge Menschen diese Möglichkeiten und die Chance haben, Verantwortung für ihre Beziehungen zu übernehmen. „Ich sehe Paare, die von Paartherapien begeistert und dazu motiviert sind, zusammen etwas Langfristiges aufzubauen“, sagt sie.
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Emma, 36, war beispielsweise Mitte 20, als sie zusammen mit ihrem jetzigen Ehemann mit einer Paartherapie anfing. Das war ein Jahr nachdem sie sich kennengelernt hatten. Sowohl sie als auch ihr Partner hatten in ihrer Kindheit Dinge erlebt, die zu Schwierigkeiten in ihrer Beziehung führten.
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Eine Partnerschaft ist dann besonders vielversprechend, wenn beide Partner:innen dazu bereit sind, an ihrer Beziehung zu arbeiten.
Natasha Silverman
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„Wir hatten einige Kommunikationsprobleme, wollten aber beide, dass es zwischen uns klappt“, sagt sie. „Unser Therapeut half uns, Codewörter zu entwickeln, die wir verwenden konnten, wann immer eine Person etwas in der anderen triggerte. Außerdem half er uns dabei, unsere Reibungspunkte zu erkennen und besser zu verstehen.“
Emma wuchs in einer Familie auf, wo emotionaler Missbrauch auf der Tagesordnung stand. Ihr Partner verlor seinen Vater in jungen Jahren. „Er wurde auf einmal zum ‚Mann im Haus‘“, sagt Emma. „Für einen jungen Teenager waren das große Schuhe zu füllen. Deshalb brachte er auch eine Menge emotionalen Ballast in die Beziehung mit… Aufgrund der Erlebnisse in meiner Kindheit hatte ich ein sehr geringes Selbstwertgefühl und Angstzustände. Deshalb fand ich es wirklich schwierig, damit umzugehen, wann immer er sich von mir zurückzog – was sein Bewältigungsmechanismus war.“
Emmas Therapeutin half ihnen dabei, zu erkennen, wie sich ihre Erziehung auf ihr Verhalten zueinander auswirkte und wie diese Kreisläufe durchbrochen werden konnten. „Wir sind jetzt glücklich verheiratet, haben Kinder und unsere Kommunikationsprobleme haben sich in Luft aufgelöst“, sagt sie. „Aber hie und da greifen wir auf unsere Codewörter zurück, wenn es nötig ist.“
Haifa Barbari, Gründerin der Coaching-App Be What Matters, bestätigt, dass Paartherapien bei jungen Menschen immer beliebter werden. Wie Silverman sagt auch sie, dass zwar viele ihrer Kund:innen unsichere Bindungsstile haben, aber eigentlich alle Paare von einer Therapie profitieren können.
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„Ich habe eine Kundin, die zuerst allein zu mir kam, als sie noch Single war, und dann später ihren Partner mitbrachte“, sagt Barbari. „Die beiden liebten sich wirklich, hatten aber unterschiedliche Liebessprachen. Zusammen erstellten wir einen Plan, mit dem sie die Bedürfnisse der jeweils anderen Person erfüllen konnten.“
So arbeiten zwei Menschen daran, ihre Wunschbeziehung zu entwickeln. „Wir machen alle Unterschiede und Kompromisse ausfindig und finden heraus, wie sie sich im Alltag zeigen können, um die gemeinsame Vision Wirklichkeit werden zu lassen… Dieser Prozess ist wie ein Beziehungsleitfaden.“
Sie fügt hinzu, dass es fünf Liebessprachen gibt, zu denen verbale Ausdrücke, Zweisamkeit, Geschenke, gute Taten und körperliche Zärtlichkeiten gehören. „Menschen können unterschiedliche Liebessprachen haben. Für eine gut funktionierende Beziehung ist es also notwendig, zu lernen, welche ihr jeweils habt und wie ihr auf die Bedürfnisse der anderen Person eingehen könnt, vor allem, wenn sich eure voneinander unterscheiden“, erklärt sie. Auch andere Dinge, wie z. B. sich monatlich gemütlich hinzusetzen und zu schauen, wie es auch beiden in der Beziehung geht, können für Paare nützlich sein.
Die moderne Dating-Kultur ermutigt oft zu einer eher Wegwerf-Einstellung in Sachen Beziehungen, aber für Barbari ist das Schaffen von richtigen Grundlagen der Schlüssel, um Herausforderungen überwinden zu können. „Ich empfehle Paaren, damit zu beginnen, sobald sie sich entschlossen haben, zusammen zu sein. Denn niemand von uns wacht einfach eines Tages auf und weiß auf magische Weise, wie sie in einer Beziehung brillieren können. Das ist ein Lernprozess und es gibt professionelle Unterstützung, um zu helfen.“
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Obwohl die Arbeit an einer Beziehung ein positiver Schritt nach vorne ist, sagt Silverman, dass es auch wichtig ist, zu wissen, wann es Zeit ist, um die Flinte ins Korn zu werfen. Für manche Menschen kann es schwierig sein, die Anzeichen für missbräuchliches Verhalten zu erkennen, vor allem für diejenigen, die es aus ihrer Kindheit kennen.
„Organisationen wie Women's Aid können Frauen dabei unterstützen, zu erkennen, ob eine Beziehung das Potenzial hat, gesund zu sein, oder ob sie Anzeichen für Missbrauch aufweist“, erklärt sie.
In Beziehungen, in denen eine gesunde Partnerschaft erreicht werden kann, liegt es laut Silverman an beiden Personen, dazu beizutragen. „Das ermutigendste Zeichen dafür, dass aus einer Beziehung etwas werden kann, ist die Bereitschaft beider Partner:innen, tatsächlich daran zu arbeiten“, fährt sie fort. „Wenn ein:e Partner:in, nicht bereit ist, sich die Mühe zu machen und Verantwortung für sein:ihr eigenes Handeln zu übernehmen, dann kannst du's wahrscheinlich mit der Beziehung vergessen, denn unter diesen Umständen wird sie nicht lange halten.“
Silverman fügt hinzu, dass es eine Herausforderung sein kann, wenn nur ein:e Partner:in eine Therapie machen möchte. „Beziehungen funktionieren nicht nur deshalb, weil wir den richtigen Partner oder die richtige Partnerin ausgesucht haben. Sie sind erfolgreich, weil beide Beteiligten gemeinsam an ihrer Partnerschaft arbeiten wollen“, sagt sie.
Nach mehreren glücklichen gemeinsamen Jahren ist Nikki dankbar für die Arbeit, die sie und ihr Partner von Anfang an in ihre Beziehung gesteckt haben. „Ich wollte die Dinge zwischen uns in Ordnung bringen, weil ich das Gefühl hatte, dass es sich lohnt“, erklärt sie. „Außerdem kann es ja auch sein, dass du die gleichen Probleme mit jemand anderem hast. Wir haben in der Paartherapie so viel über unsere Verhaltensmuster gelernt. Das hat sich auch auf andere Beziehungen in meinem Leben, wie zum Beispiel jene bei der Arbeit, ausgewirkt. Außerdem konnte ich mithilfe der Therapie lernen, meine Reaktionen zu verstehen und damit umzugehen.“
Letztendlich betont Nikki, dass wir nie allein auf der Welt sind, egal ob wir Single oder in einer Beziehung sind. „Es ist immer hilfreich, an sich zu arbeiten und negative Verhaltensweisen zu erkennen und ändern“, sagt sie. „Eine gute Beziehung hilft, sich gegenseitig zu einem besseren psychischen Gesundheitszustand zu verhelfen. Natürlich streiten wir uns immer noch, aber wir geben uns nicht mehr gegenseitig die Schuld. Stattdessen setzen wir uns jetzt hin und schauen uns an, was wir gerade fühlen. Von diesen Praktiken werden wir von nun an ein Leben lang Gebrauch machen.“
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