„They fuck you up, your mum and dad. They may not mean to, but they do. They fill you with the faults they had. And add some extra, just for you.“ (Sie machen dich kaputt, Mama und Papa. Nicht absichtlich, doch sie tun's. Sie beladen dich mit all ihren Fehlern. Und legen noch ein paar extra drauf, nur für dich.) So lautet der Text aus dem Gedicht „This Be The Verse“ von Philip Larkin aus dem Jahr 1971.
Die Idee, dass deine Eltern und deine Kindheitserfahrungen dein Gefühlsleben prägen, ist nicht neu, so simpel sie auch sein mag. Wenn deine Eltern glücklich und nett zueinander waren, wirst du wahrscheinlich eine positive Einstellung zu romantischen Beziehungen haben. Wenn sie es nicht waren, bist du, um einen Larkinschen Ausdruck zu gebrauchen, „abgefuckt“. Dies ist die Prämisse der Bindungstheorie, die zwar erst vor knapp zehn Jahren in das Vokabular der Populärpsychologie aufgenommen wurde, aber inzwischen überall zu finden ist.
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Warum wir uns immer in den Falschen verlieben: Beziehungstypen und ihre Bedeutung für unsere Partnerschaft von Amir Levine und Rachel Heller wurde erstmals 2010 veröffentlicht. In den letzten Jahren hat es den Weg zurück auf die internationalen Bestsellerlisten und in die Hände von Journalist:innen gefunden, die eine Erklärung nach der anderen zu den verschiedenen von Levine und Heller vorgeschlagenen Bindungsstilen verfasst haben: unsicher-ambivalent, unsicher-vermeidend, desorganisiert/desorientiert und sichere Bindung.
Von Gesprächen in der Kneipe bis hin zu Dating-App-Profilen und Online-Quizzen, von Instagram (wo unqualifizierte Therapeut:innen Ratschläge für die verschiedenen Bindungsstile erteilen) bis hin zu TikTok (wo Videos zu diesem Thema bereits 1,1 Milliarden Mal aufgerufen wurden) – die Bindungstheorie ist in den Mainstream-Diskurs eingezogen und bildet den Rahmen, durch den immer mehr Menschen ihr Konzept von Dating und ihre Herangehensweise an Beziehungen betrachten – mit gemischten Ergebnissen.
Ich habe meinen Freund:innen zugehört, als sie die Leute, die sie über Dating-Apps kennengelernt haben, sowie die – kurz- und langfristigen – Partner:innen anderer Freund:innen analysierten: „Oh, er klingt vermeidend“, sagt die Gruppe über eine völlig fremde Person. „Es scheint, als ob sie nur unsicher-ambivalent ist“, sagt jemand als Antwort auf eine Geschichte über die Freundin eines Freundes, die um mehr emotionale Kommunikation gebeten hat.
Es ist unangenehm, Zeugin dieser Art von Psychologie zu sein. Ich habe aber auch mit Menschen gesprochen, die mir gesagt haben, dass die Lektüre der Bindungstheorie ihr Leben „verändert“ hat, weil sie ihnen entweder geholfen hat, Beziehungen zu verlassen, die ihnen nicht „nutzten“, oder um ihr eigenes Verhalten zu verstehen.
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Nehmen wir die 34-jährige Jess (nicht ihr richtiger Name). „Ich hatte eine positive Erfahrung mit der Bindungstheorie, als ich mich mit meinem Freund in einem Push/Pull-Zyklus befand“, erklärt sie. „Ich wurde ängstlich und er zog sich zurück. Das Erkennen meiner eigenen Tendenz zu unsicher-ambivalenter Bindung half mir, aus diesem Kreislauf auszusteigen.“
Oder der 33-jährige Michael (auch nicht sein richtiger Name). „Das Buch von Levine und Heller hat mir geholfen, mich von meinen Impulsen als unsicher-ambivalenter Mensch zu lösen“, erklärt er. „Ich würde mich nicht mehr auf eine Beziehung einlassen, wenn ich auch nur einen Hauch von Vermeidungsverhalten verspüre. Mein Therapeut rät mir jetzt, mich zurückzulehnen, es langsam angehen zu lassen und den Bindungsstil der anderen Person zu erkennen.“
Im Jahr 2021 berichtete die New York Times über ein ungewöhnliches Phänomen der Verlagsbranche: die erneut entfachte Beliebtheit von Warum wir uns immer in den Falschen verlieben. Im selben Jahr war das Buch auf Amazon in den Kategorien Sozialwissenschaften, Kognitionspsychologie und Liebe und Romantik ganz oben auf der Bestsellerliste. Es wurde inzwischen in 20 Sprachen übersetzt und wird seit seiner Veröffentlichung von Jahr zu Jahr in immer höheren Auflagen verkauft.
Das Buch selbst ist voll von entwaffnend verallgemeinernden und gleichzeitig spezifischen Zitaten wie „die meisten Menschen sind nur so bedürftig wie ihre unerfüllten Bedürfnisse“ und „wahre Liebe bedeutet im evolutionären Sinne Seelenfrieden“. Sie funktionieren als nette Instagram-Aphorismen; sie sind von Natur aus zitierfähig und können geteilt werden, was sicherlich zum unaufhaltsamen Aufstieg der Theorie zur vorherrschenden These über die moderne Partner:innensuche beigetragen hat.
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Wenn wir nur Instagram-Posts verwenden, um unsere Partner:innen zu etikettieren und zu diagnostizieren – dann ist das ein gefährlicher Pfad zum Verlust von Empathie.
Eleanor morgan, Angehende psychotherapEUTIN
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Die Merkmale der einzelnen „Typen“ von Menschen werden in Warum wir uns immer in den Falschen verlieben wie folgt zusammengefasst: „Sichere Menschen fühlen sich mit Intimität wohl und sind in der Regel warmherzig und liebevoll; unsicher-ambivalente Menschen sehnen sich nach Intimität, sind oft mit ihren Beziehungen beschäftigt und neigen dazu, sich Sorgen über die Fähigkeit ihrer Partner:innen zu machen, sie zu lieben; unsicher-vermeidende Menschen setzen Intimität mit einem Verlust an Unabhängigkeit gleich und versuchen ständig, Nähe zu minimieren.“
Dies impliziert natürlich eine Hierarchie der Persönlichkeiten. Eine sichere Person zeigt in ihren Beziehungen den Goldstandard des Verhaltens. Ängstliche Menschen sind verletzt und beschädigt, während Vermeider:innen kalte Fische sind. Kann man Menschen in ihrer ganzen Komplexität wirklich so fein säuberlich kategorisieren? Besteht nicht die Gefahr, dass eine solche Kategorisierung im besten Fall unsere Interaktionen mit ihnen einschränkt und im schlimmsten Fall unser Bild von ihnen verfälscht? Und wenn es so weit kommt, dass man den Bindungsstil von Menschen diagnostiziert, denen man kaum oder gar nicht begegnet ist, dann ist sicherlich etwas sehr schiefgelaufen.
Auf Instagram und TikTok wiederholen Dating-„Expert:innen“ die Bindungstheorie. Auf einem Account mit dem Namen „The Attachment Project“ (Das Bindungsprojekt) zum Beispiel finden sich niedliche pink- und lilafarbene Posts mit der Überschrift „Bin ich mit einem Narzissten zusammen? Was soll ich tun?“ stehen Seite an Seite mit teilbaren Postings, die angeblich erklären, warum „vermeidende Menschen so tun, als seien sie unabhängig und anderen überlegen“.
Die Ideen des Buches Warum wir uns immer in den Falschen verlieben verdienen an sich schon Kritik, aber die Art und Weise, wie sie in den sozialen Medien verpackt und vermarktet werden, wo Follower, Likes und Shares die Reichweite und damit die kommerzielle Rentabilität jedes Creators erhöhen, sollte uns zu denken geben. Wer teilt diese Ideen und warum?
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Eine Person, die mit dir Schluss gemacht hat, als „narzisstisch“ abzustempeln und endlos zu scrollen, um sich selbst – einer ängstlichen Person – zu bestätigen, dass die Person, die dir das Herz gebrochen hat, dich nicht um ein zweites Date bittet oder dir eine Nachricht zurückschickt, vermeidend und daher von Natur aus geschädigt ist, ist ein kurzsichtiger Versuch, eine andere Person dazu zu bewegen, deiner Darstellung der Beziehung, die du mit ihr hattest, zu entsprechen. Ich frage mich, ob die „sicheren“ Bindungstypen (falls es sie gibt) sich über die Bindungstheorie informieren und die Memes teilen, die sie hervorgebracht haben? Und wenn ich an diese Postings zurückdenke: Was soll's, wenn eine vermeidende Person „selbstgenügsam“ ist? Was ist daran falsch? Ist das nicht eine bewundernswerte Eigenschaft bei einer Partner:in?
Eleanor Morgan ist eine angehende Psychotherapeutin. Sie sagt, sie sei beunruhigt darüber, wie diese verkürzte Psychologie aus dem Zusammenhang gerissen und von unqualifizierten, selbsternannten Dating-„Experten:innen“ in den sozialen Medien verbreitet wird.
„Es ist die größte offen zugängliche Plattform, die es gibt“, erklärt sie. „Das bedeutet, dass die Menschen sehr überzeugende Geschichten über unsere Partner:innen spinnen können, ohne sich unbedingt die Zeit zu nehmen, sich mit ihnen zu beschäftigen. Da die Grafiken in den sozialen Medien so anschaulich sind und leicht geteilt werden können, übernehmen immer mehr Menschen diese Narrative in ihre Beziehungen.“
„Wenn die Bindungstheorie ein Tor zu einer tieferen Arbeit mit einer Therapeut:in oder zu individueller Recherche sein kann, ist das großartig“, folgert Morgan. „Wenn nicht – wenn wir nur Instagram-Posts verwenden, um unsere Partner:innen zu etikettieren und zu diagnostizieren – dann ist das ein gefährlicher Pfad zum Verlust von Empathie.“
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Die Liebe – die Suche nach ihr, das Festhalten an ihr, die Trauer über ihren Verlust – ist eine ebenso universelle wie allgegenwärtige Beschäftigung des Menschen. Deshalb wird sie in Kunst und Literatur seit jeher dargestellt. Der Reiz der Bindungstheorie ist also leicht zu verstehen: Sie bietet einen psychologischen Rahmen, um eine Erfahrung zu verstehen, nämlich die intime Begegnung mit anderen Menschen in ihrer ganzen Komplexität, die sich so oft der Logik zu entziehen scheint.
Wie Morgan hat die Psychologin Heather Sequeira Bedenken hinsichtlich des Online-Nachlebens der Bindungstheorie. Sie weist darauf hin, dass die Bindungstheorie ihren Ursprung in den 1950er Jahren hat. Das Konzept wurde 1958 von dem britischen Psychologen John Bowlby entwickelt, der sich dafür interessierte, wie die Beziehung eines Kindes zu seiner Mutter seine spätere Einstellung zur Welt prägt. Zusammen mit der amerikanisch-kanadischen Psychologin Mary Ainsworth entwickelte Bowlby die Kategorien der Bindungsstile, nachdem er Mütter und Kinder in verschiedenen Studien beobachtet hatte.
Das Verhalten der Mutter als Hauptbezugsperson war für Bowlbys Hypothese von zentraler Bedeutung. Wenn eine Mutter, wie er es nannte, „liebelos“ und nicht in der Lage war, die weiblichen mütterlichen Ideale der Präsenz und emotionalen Unterstützung zu erfüllen, würde ihr Kind Schaden nehmen und langfristige kognitive, soziale und emotionale Schwierigkeiten erleben. Die Anhänger:innen dieser Arbeit fügten in späteren Jahren weitere Kategorien hinzu.
Der genderspezifische Charakter von Bowlbys ersten Studien ist offensichtlich. Wie Philip Larkin sind wir alle versucht, die Schuld für alles im Leben auf unsere Eltern zu schieben. Und ganz besonders auf unsere Mütter. Es gibt nichts, was die Gesellschaft mehr liebt, als Frauen an den Pranger zu stellen, die sich nicht auf die gesellschaftlich anerkannte Weise mütterlich verhalten. Aber wollen wir wirklich unsere Mütter zu unseren eigenen persönlichen Evas machen, sie verteufeln und sie für unsere ängstliche und/oder vermeidende Vertreibung aus dem sicher verankerten emotionalen Garten Eden verantwortlich machen. Alles nur, weil sie damit beschäftigt oder abgelenkt waren, genug Geld zu verdienen, um uns Kinder zu ernähren?
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Bereits 1962 kritisierten Psycholog:innen Bowlbys Theorie als „einfaktoriell“, weil sie sich so sehr auf das Verhalten der Mutter eines Kindes konzentrierte. Es gibt auch Studien, die der Bindungstheorie direkt widersprechen und zeigen, dass der Bindungsstil einer Person in romantischen Beziehungen nicht mit der Beziehung zu ihren Eltern übereinstimmt. Und es gibt auch viele Forschungsergebnisse, die darauf hindeuten, dass der Bindungsstil und das Verhalten einer Person in ihren beruflichen Beziehungen, in ihren Freundschaften und in ihren Liebesbeziehungen unterschiedlich sind, was die allumfassende Natur der Bindungstheorie widerlegt.
Hinzu kommt, wie Judith Rich Harris 2009 in einer Studie schrieb: „Die Bindungstheorie unterschätzt das Kind:“
Harris schreibt weiter: „Das Problem mit den Ausarbeitungen der Bindungstheorie ist die Bindungstheorie selbst. Wie hätte ein Geist, der so funktioniert, wie es die Theorie postuliert, die Fitness seines Besitzers in Zeiten der Jäger und Sammler erhöht? Der kindliche Verstand ist umfassender und scharfsinniger, als die Bindungstheoretiker ihm zugestehen.“
Die Vorstellung, dass alle zwischenmenschlichen Beziehungen in einem einzigen Rahmen verstanden werden können, ist also nicht nur vereinfachend, sondern auch psychologisch fragwürdig. Sie ermutigt auch Erwachsene, sich der Verantwortung für die Kontrolle ihres eigenen Gefühlslebens zu entziehen.
„Obwohl niemand bestreiten würde, dass frühe negative Erfahrungen wie Missbrauch, emotionale Vernachlässigung und Armut stark mit ängstlichen oder sogar zurückgezogenen Persönlichkeitsmerkmalen im Erwachsenenalter verbunden sind, gibt es nur wenige und widersprüchliche Beweise dafür, dass der ‚Bindungsstil‘ die Persönlichkeit eines Menschen im Erwachsenenalter beeinflusst“, erklärt Sequeira. „Bestenfalls könnte man die Bindungstheorie als einen Faktor unter hundert anderen Faktoren betrachten, dessen Wirkung in der öffentlichen Meinung stark aufgebauscht wird. Schlimmstenfalls ist das nach Ansicht einiger führender Kinderentwicklungsforscher schlichtweg falsch.“
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Michael und Jess räumen beide ein, dass die Theorie, die sie als hilfreich für ihre Herangehensweise an romantische Beziehungen ansehen, Mängel aufweist. „Ich denke, die Bindungstheorie ist zu binär, um eine Antwort auf alles zu bieten“, sagt Jess. Michael fügt hinzu: „Ich glaube, dass die Ideen der Theorie und die Bindungsstile auf ängstlich-vermeidende Personen, die so oft als problematisch bezeichnet werden, befremdlich wirken müssen.“
Wenn man weiß, dass sich die Bindungstheorie im Wesentlichen aus einer Studie über die Auswirkungen von lieblosen, abwesenden oder unsympathischen Müttern auf ihre Kinder entwickelt hat, ist es unmöglich, die Heteronormativität dieses Rahmens zu ignorieren. Soweit ich in den sozialen Medien sehen kann, sind die meisten derjenigen, die über die Bindungstheorie posten, cis Frauen, und die meisten Menschen, die als „Vermeider:innen“ diagnostiziert werden, sind cis Männer, auch wenn es Ausnahmen gibt. Dies ist die logische Erweiterung einer Theorie, die mit Blick auf Geschlechternormen formuliert wurde.
Wenn es um intime zwischenmenschliche Beziehungen geht, wird es sicherlich immer Menschen geben, die Emotionen zurückhalten oder Spielchen spielen, aber ein Werturteil wie „unsicher-vermeidend“ über diejenigen zu fällen, die emotional nicht offen sind, ist einschränkend und spricht für eine unzeitgemäße Vorstellung davon, wie Gefühle zum Ausdruck gebracht werden sollten. In einer Zeit, in der vor allem Frauen erwerbstätig sind, aber weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen und oft gleichzeitig wichtige Betreuungsarbeit leisten, ist dies besonders schädlich. Müssen wir alle die ganze Zeit in unseren Gefühlen leben, aus Angst, als „unsicher-vermeidend“ diagnostiziert zu werden?
Ist eine Person „vermeidend“, weil sie dir nicht sofort zurückschreibt? Oder ist die Person beschäftigt und zeigt ihren Respekt für dich, indem sie ihren beruflichen Verpflichtungen nachkommt, damit ihr euch ein gemeinsames Leben aufbauen könnt? Bist du „ängstlich-ambivalent“, weil du dich ein wenig erschrocken hast, weil du dich verliebst und dich verletzlich fühlst? Oder ist es normal, sich entblößt zu fühlen, wenn man einem anderen Menschen das eigene weiche Innere offenbart? Ich bin mir sicher, dass die meisten von uns schon mindestens einmal beide Seiten des Szenarios erlebt haben. Und ist der Versuch, eine Situation zu kontrollieren, indem man das Verhalten einer Person pathologisiert, weil es einem nicht gefällt, nicht das Gegenteil von Liebe?
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Die feministische Denkerin bell hooks kann uns hier Weisheit vermitteln. In ihrem Buch Lieben lernen. Alles über Verbundenheit schreibt sie: „Dieselbe patriarchale Konditionierung, die uns Frauen lehrt, dass wir von Natur aus fürsorglich sind, lehrt uns auch, dass wir instinktiv wissen, wie man Liebe gibt und empfängt. Wir versagen genauso wie die Männer, weil wir einfach nicht wissen, was wir tun.“
„Frauen“, fügte hooks hinzu, „sind oft mehr daran interessiert, geliebt zu werden, als daran, zu lieben.“ Und genau darin liegt das Problem, dass so viele Menschen – im Allgemeinen junge, heterosexuelle Frauen – die Bindungstheorie anwenden. Sie ist zu einem Mittel geworden, um das „lieblose“ Verhalten eines anderen zu erklären und gleichzeitig zu verlangen, geliebt zu werden, anstatt zu fragen, wie Liebe aussehen könnte und wie wir alle einander besser wirklich lieben und unterstützen könnten.
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Bestenfalls könnte man die Bindungstheorie als einen Faktor unter hundert anderen Faktoren betrachten, dessen Wirkung in der öffentlichen Meinung stark aufgebauscht wird. Schlimmstenfalls ist das nach Ansicht einiger führender Kinderentwicklungsforscher schlichtweg falsch.
Heather Sequeira, psychologin
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In diesem Zusammenhang sagt Sequeira, dass sie immer häufiger hört, dass Menschen die Bindungstheorie nutzen, um ihre aktuellen oder zukünftigen Partner:innen zu „diagnostizieren“.
„Ich höre oft Ausdrücke wie ‚er ist vermeidend‘ oder ‚er ist ambivalent‘, und viele Menschen verwenden diese Ausdrücke, ohne wirklich zu wissen, was sie bedeuten“, erklärt sie. „Ich denke, dass die Menschen einerseits oft gerne Etiketten verwenden, um Verhalten und Persönlichkeit zu beschreiben. Es scheint uns Klarheit und Trost zu geben, weil wir das Gefühl haben, etwas oder jemanden zu verstehen. Eine:n Partner:in als ‚unsicher-vermeidend‘ zu bezeichnen, kann jedoch auch dazu führen, dass die Schuld für ein Problem in der Beziehung der Partner:in in die Schuhe geschoben wird, anstatt ein differenzierteres Verständnis dafür zu ermöglichen, dass eine Beziehung eine komplexe Mischung aus den Persönlichkeiten und Verhaltensweisen beider Partner:innen ist.
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Wenn die Bindungstheorie dazu dient, Gespräche zu eröffnen und sich selbst zu verstehen, kann sie unbestreitbar nützlich sein, wie Morgan hervorhebt. Wenn sie jedoch als vereinfachende Abkürzung verwendet wird, um jemand anderen zu erklären, anstatt Fragen zu stellen und den Antworten zuzuhören, könnten wir uns fragen, ob sie jemals fortschrittlich sein kann. Ist es wirklich so viel anders, jemanden als unsicher-ambivalent oder unsicher-vermeidend abzustempeln, weil er:sie sich nicht so verhält, wie man es gerne hätte, als zu sagen: „Na ja, er ist eben ein Widder“? Der Astrologie wird mit Skepsis begegnet, weil sie einen unverrückbaren Rahmen vorgibt, der suggeriert, dass die Ergebnisse in unserem Leben vorherbestimmt sind. Die Bindungstheorie läuft Gefahr, ebenso fatalistisch zu sein.
Hinzu kommt, dass in der Hierarchie der Bindung, in der „Vermeider:innen“ verleumdet werden und die unsicher-ambivalenten Menschen anscheinend recht glimpflich davonkommen. Ist es in Ordnung, die Grenzen einer anderen Person mit Füßen zu treten und ihr mehrere Nachrichten zu schicken, bevor sie die Chance hatte, dir zu antworten, weil du eine „besorgte, ängstliche Person“ bist, die eine schwierige Erziehung hatte und beschlossen hat, dass dein Gegenüber „vermeidend“ ist?
Wenn wir andere Menschen mit abwertenden Etiketten versehen, ohne zu hinterfragen, warum sie sich auf eine bestimmte Art und Weise verhalten und ohne unsere Reaktion darauf zu untersuchen, wie wir ihr Verhalten wahrnehmen, entziehen wir uns der Verantwortung für unser eigenes Handeln. „Auf diese Weise nehmen wir uns selbst die Kontrolle über unser Leben und legen unsere Autonomie und Entscheidungsfindung auf Eis, indem wir stattdessen den pseudowissenschaftlichen Faktor ‚Bindungsstil‘ verantwortlich machen, den wir nicht ändern können“, sagt Sequeira.
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Was die Liebe zu anderen Menschen so aufregend macht, ist gleichzeitig auch beängstigend: Menschen können dich immer wieder überraschen. Doch anstatt die Ungewissheit zu begrüßen und den Menschen den Raum zu geben, sich zu verändern, will die Bindungstheorie – so, wie sie in der Populärkultur umgesetzt wird – die Menschen in fein säuberlich kategorisierte Schubladen stecken. Tatsächlich glaubte Bowlby ursprünglich, dass Bindungsstile dauerhaft sind und nicht geändert werden können. Diese Vorstellung, dass der eigene Bindungsstil fest und unveränderlich ist, kann laut Sequeira zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden, die Beziehungen zum Stillstand und Scheitern verurteilt.
„Es besteht auch die Möglichkeit, dass, wenn wir jemanden als vermeidend bezeichnen, eine subtile Botschaft entsteht – sowohl an die Person als auch an uns selbst – die das Problem in der Beziehung aufrechterhalten könnte“, erklärt sie. „Wenn wir jemanden als vermeidend bezeichnen, wird unser Gehirn neue Verhaltensweisen, Argumente und Beziehungsprobleme wahrscheinlich durch die Linse der Vermeidung interpretieren, sodass wir automatisch mehr davon ‚sehen‘. Sobald unser Gehirn etwas mit einem Etikett versehen hat, wird es zu einem Vorurteil, durch das wir die Welt sehen. Eine andere Möglichkeit ist, dass unser:e Partner:in das Etikett ‚vermeidend‘ übernimmt und es als ‚außerhalb der eigenen Kontrolle‘ ansieht (was es natürlich nicht ist) und tatsächlich beginnt, sich dem Stereotyp entsprechend zu verhalten.“
Heutzutage sind wir es gewohnt, Kontrolle über die meisten Dinge unseres Alltags zu haben. Da kann es sich schwierig anfühlen, Beziehungen zu führen. Andere Menschen tun nicht immer, dass was du willst und ein Konzept zu haben, in das du andere hineindrängen kannst, fühlt sich nach Kontrolle an. Das kann aber mehr verstecken als offenbaren. Besonders weil wir uns zu sehr darauf konzentrieren, das Verhalten anderer Menschen zu kategorisieren und uns dadurch aktiv dazu entscheiden, unser eigenes Verhalten zu ignorieren.
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Doch um zu lieben und geliebt zu werden, müssen wir unser Verhalten reflektieren. In Lieben lernen bietet bell hooks eine Vision davon, wie die Praxis der Liebe tatsächlich aussehen könnte: „Wenn ich davon spreche, das Werk der Liebe zu tun“, schreibt sie, „spreche nicht nur von Partnerschaft; ich spreche von der Praxis der Selbstliebe in Verbindung mit der Praxis der Beziehungsliebe.“
Es gibt keinen universellen Ansatz zu lieben, auch wenn es verlockend klingt, einen zu erstellen. Bowlby war fasziniert von der Arbeit von Charles Darwin. Also sollte es keine Überraschung sein, dass Social-Media-„Wissenschaftler:innen“, wie moderne Darwins, im Dating-Pool herumwühlen und versuchen, ein einheitliches Modell für menschliches Verhalten zu nutzen um sichere Bindungstypen zu finden, die ihre Vermutungen bestätigen. Dafür gibt es ein Wort: Bestätigungsfehler. Wenn du entschlossen bist, Recht zu behalten, wirst du nicht merken, wenn du Unrecht hast, und verpasst dadurch die Möglichkeit, zu wachsen und dich weiterzuentwickeln.
Es gibt viel, was wir nicht wissen, aber eins ist sicher: Einen anderen Menschen als unsicher-ambivalent oder unsicher-vermeidend zu diagnostizieren, anstatt Verantwortung für unser eigenes Verhalten zu übernehmen und uns mit unserer Partner:in als facettenreiche Person zu beschäftigen, ist keine Art, andere zu lieben. Vor allem, wenn wir erwarten, wirklich zurückgeliebt zu werden.
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