Vor ein paar Jahren habe ich mir eine kleine Challenge überlegt: Ich wollte jeden einzelnen Tag mein Bett machen. Du lachst, aber für mich ist das nicht gerade etwas, das mir leicht fällt! Es widerspricht dem Lieber ein perfektes Chaos als eine halbherzige Ordnung-Prinzip, nach dem ich lebe. Aber ich weiß aus sicherer Quelle (von Menschen, die auf jeden Fall organisierter sind als ich), dass eine gute Gewohnheit dein Leben verändern kann.
Wenn ich jeden Tag mit einem perfekt gemachten Bett beginne, das Mutti und jeden Bundeswehroffizier mit Stolz erfüllen würde, würde das irgendwann auf meinen überfüllten Terminkalender und meinen schlampigen Schreibtisch abfärben – sagten sie. Jeder Bereich meines Lebens würde dann wie von selbst ordentlicher werden – sagten sie.
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Mir hat mal ein Lehrer gesagt, es dauert 21 Tage, bis etwas zur Gewohnheit wird. Wenn ich es also irgendwie hinbekam, meine Kissen jeden Tag für drei Wochen aufzuklopfen und meine Decke glattzustreichen, wäre es ab dem 22. Tag die normalste Sache der Welt für mich. Ich würde es praktisch automatisch machen. Wie atmen. Oder laufen. Vielleicht würde es mir ja sogar Spaß machen! Doch nachdem ich mich 21 Tage gequält hatte, mein Bett um 7 Uhr morgens herzurichten, wurde mir bewusst: Ich hasse es immer noch. Vielleicht sogar mehr als früher. Also gab ich auf. Dann würde ich eben immer ein bisschen weniger erfolgreich oder organisiert sein als diese Bettmacher*innen. (Hihi, das klingt als ob sie ins Bett machen würden! Aber du weißt, was ich meine.) Mir doch egal.
Und dann stellte sich heraus, dass ich die Sache komplett falsch angegangen war. Die 21-Tage-Regel ist nämlich nur ein Mythos. Beziehungsweise eine Fehlinterpretation einer Aussage, die der plastische Chirurg Maxwell Maltz in seinem Buch Psycho-Cybernetics getroffen hat. Maltz hatte nach einer Operation festgestellt, dass Patient*innen 21 Tage brauchen, um sich an die Veränderung des Körpers zu gewöhnen – sei es nun nach einer Nasenkorrektur oder einer Beinamputation. Anschließend schrieb er in seinem Buch „es dauert mindestens 21 Tage, bis ein altes mentales Bild verschwindet“. Diese Idee verbreitete sich, allerdings ließen viele in ihren Erzählungen das „mindestens“ unter den Tisch fallen, so James Clear, Autor von Atomic Habits: An Easy & Proven Way To Build Good Habits and Break Bad Ones. Dabei ist dieses kleine Wörtchen ziemlich wichtig. Durch seinen Wegfall entstand der Mythos, es würde genau 21 Tage dauern, bis etwas zur Gewohnheit wird. Und der verbreitete sich immer weiter – obwohl das Ganze auf der Meinung eines einzigen plastischen Chirurgen basiert. Schon lustig, dass das nie jemand hinterfragt hat, oder?
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Im Bereich der Wissenschaft wird die 21-Tage-Regel heute jedenfalls stark angezweifelt. So veröffentlichte Phillippa Lally, Senior Researcher am University College London, beispielsweise eine Studie, die besagt, es dauert im Schnitt 66 Tage, bis etwas zur Gewohnheit wird! Genauer gesagt sind es je nach Person 18 bis 254 Tage: „Wovon die Unterschiede der Dauer abhängen, wissen wir nicht wirklich“, sagt Lally. Aber sie hat eine Idee: „Es ist wahrscheinlich einfacher, sich kleine Dinge anzugewöhnen“. Oder anders gesagt: Jeden Morgen ein Glas Wasser zu trinken ist einfacher, als auf einmal regelmäßig Sport zu machen. Und deswegen kann es sein, dass du es schneller in deine Routine aufnimmst als größere Aufgaben.
Diese Erkenntnis sorgte bei mir für gemischte Gefühle. Die 21-Tage-Regel hatte etwas Beruhigendes – drei Wochen klangen machbar! Ich könnte so gut wie alles drei Wochen lang machen. Gleichzeitig fühlt sich die Entlarvung des Missverständnisses auch irgendwie empowering an. Das bedeutet nämlich, drei Wochen Qual pur ist nicht die einzige Möglichkeit, sich eine neue Routine anzueignen. Lallys Untersuchungen zeigten auch, dass es nicht schlimm ist, wenn du mal einen Tag auslässt. Du musst dann also nicht wieder bei Tag 1 anfangen – wie ich es bisher angenommen hatte. Und wenn du komplett aufgibst, musst du dich auch nicht wie ein*e totale*r Versager*in fühlen. Laut James Clear gibt es keinen Grund, enttäuscht oder wütend auf dich selbst zu sein, wenn du etwas 21 Tage probiert hast und es nicht zur Gewohnheit geworden ist. Es ist vollkommen normal, wenn es länger als zwei, drei Wochen dauert!
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Eine Frage stelle ich mir doch: Wenn die 21-Tage-Regel Quatsch ist, wie soll ich mich dann bitte motivieren, mir eine neue Gewohnheit zuzulegen? Schließlich könnte der Versuch im schlimmsten Fall 254 anstrengende Tage dauern! Nun, da gibt es laut Lally ein paar Methoden, die helfen könnten.
Zum Beispiel ist die Erfolgschance höher, wenn du dir etwas suchst, das du auch wirklich in deinem Leben haben möchtest, sagt Phillippa. Und dann kannst du dir selbst etwas einfacher machen, in dem du deine neue Gewohnheit mit einer alten verknüpfst. Ein Beispiel: Du putzt dir eh jeden Morgen die Zähne, also kannst du einfach direkt im Anschluss Zahnseide verwenden – und nicht erst irgendwann im Verlauf des Tages. Am besten legst du die Zahnseide neben deine Zahnpasta, dann vergisst du es nicht. Der Trick ist, erstens, die neue Gewohnheit nicht zu vergessen und zweitens, motiviert zu bleiben. Und keine Angst: Je länger du etwas machst, desto leichter wird es. Du wirst also nicht bis Tag 65 pure Qualen erleiden müssen, bevor es endlich Click macht – das Ganze ist ein Prozess.
Vielleicht versuche ich es wirklich noch mal, die Sache mit dem Bett machen anzugehen. Wenn ich Glück habe, stellt sich bei mir ja schon nach 22 Tagen die Routine ein! Auf der anderen Seite könnte es aber natürlich auch 222 Tage dauern… Vielleicht beherzige ich dann doch lieber Lallys Ratschlag, meine Energie für etwas zu nutzen, das sich nicht wie Folter anfühlt – wie zum Beispiel jeden Abend in mein Dankbarkeitstagebuch zu schreiben. Und die Bett-mach-Sache überlasse ich einfach den Frühaufsteher*innen.
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