Anmerkung der Redaktion: Es sind 16 Jahre vergangen seit den Anschlägen am 11. September 2001, die rund 3.000 Menschen das Leben gekostet haben. Margaret Lazaros arbeitete zum Zeitpunkt der Attentate im World Trade Center und hat überlebt. Das ist ihre Geschichte. Die folgende Erzählung beinhaltet Details, die auf manche Leser*innen verstörend wirken können.
Es war ein wunderschöner, warmer Tag, der Himmel war strahlend blau und keine Wolke zu sehen.Gemeinsam mit meiner Tochter Megan nahm ich an diesem Morgen den Schnellbus in die Stadt. Sie hatte gerade erst begonnen auf die Highschool in Manhattan zu gehen und hörte wie jeden Morgen Musik auf ihrem iPod, während ich mit allerlei Gedanken beschäftigt war an die Dinge die heute erledigt werden mussten.
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Als Megan aufstand, um wie jeden Tag an der Haltestelle 72nd Street auszusteigen, passierte allerdings etwas seltsames, was so in dieser Art noch nie vorgekommen war, sie drehte sich zu mir um und sagte: „Mama, ich will heute nicht zur Schule gehen, ich weiß nicht warum, aber ich will einfach nicht gehen.“ Ich war wie vom Donner gerührt. So etwas hatte ich noch nie von ihr gehört, noch nicht einmal, als sie wegen ihrer Leukämie durch die Chemotherapie geschwächt war, wollte sie jemals einen Tag der Schule fern bleiben.
„Ich liebe dich, Mama!“, sagte Megan, während sie sich den Weg zur Tür bahnte. Ich schaffte gerade noch ein schnelles „Ich liebe dich auch!“, bevor der Bus weiter in Richtung meines Arbeitsplatzes, dem World Trade Center, fuhr.
Ich kam gegen acht Uhr am Gebäude an und fuhr direkt in mein Büro im 27ten Stock des Nordturmes. Als das erste Flugzeug um 08:45 Uhr in den Turm flog, stand ich mit zwei Kollegen an meinem Schreibtisch. Der Aufprall war so stark, dass ich intuitiv nach oben blickte und erwartete, dass die Decke auf uns herab stürzte. Sie tat es nicht.
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Es wurde immer gesagt, dass es im Ernstfall eine Durchsage mit genauen Rettungsanweisungen geben würde, aber es kam nichts. Wir waren auf uns allein gestellt.
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Panisch drehte ich mich zu meinen Kollegen und rief: „Oh mein Gott, irgendwas ist passiert; irgendetwas schreckliches ist gerade passiert. Wir müssen sofort hier raus!“ und schon rannte ich den Gang hinunter, dorthin wo andere Kolleg*innen standen und niemand so genau wusste, was zu tun war. Obwohl wir hunderte von Feuerübungen absolviert hatten, hatten wir niemals den 27ten Stock verlassen. Man hatte uns immer gesagt, dass es im Ernstfall eine Durchsage mit genauen Rettungsanweisungen geben würde. Aber da kam keine Durchsage. Nichts. Wir waren auf uns allein gestellt.
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Ich rannte zurück zu meinem Büro um meine Tasche zu holen und hörte mein Telefon klingeln, als ich abnahm, hörte ich die Stimme meiner Kollegin, die aus einem anderen Büro in New York anrief.
„Oh Marie, es ist etwas ganz furchtbares passiert“, rief ich ins Telefon, packte hastig meine Sachen und schon im Wegrennen hörte ich noch Maries: „Lauf!“
Ich glaube, da habe ich zum ersten Mal verstanden, dass die Situation wirklich ernst war und wir schnell weg mussten.
Wir wussten nicht, was wir tun sollten, wir wussten noch nicht mal, welches Treppenhaus uns nach unten führen würde. Wir entschieden uns schließlich für eine Tür, die sich nicht heiß anfühlte, nur um sie dann zu einem Treppenhaus voller Menschen, die sich bereits von oben nach unten flüchteten, zu öffnen. Mit ihnen drängten auch wir uns nun in Richtung Freiheit. Wir hatten solche Angst, wir wussten ja nicht was passiert war oder noch passieren würde. Im Treppenhaus brannte nur schwaches Notlicht, welches durch die aufgewirbelten Staubpartikel noch gedämmt wurde und allmählich wurde es immer schwieriger zu atmen, ich musste husten und einer meiner Kollegen gab mir ein Taschentuch, damit ich mein Gesicht schützen konnte.
Nachdem wir sieben oder acht Stockwerke nach unten gelaufen waren, begegneten wir das erste Mal der Feuerwehr. In voller Montur, waren sie auf dem Weg nach oben um das Feuer zu löschen. Während sie uns den Weg nach unten wiesen, versuchten sie uns zu beruhigen, indem sie sagten, dass dort bereits ihre Kolleg*innen auf uns warten würden. Wir waren so dankbar und ich bin es noch, wusste ich doch damals noch nicht, dass diese tapferen Menschen ihr Leben lassen würden.
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Das, was ich vor mir sah, war ein Bild der absoluten Zerstörung: Die Wände waren aufgebrochen, der Boden mit Staub und Trümmern bedeckt.
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Fast 45 Minuten dauerte es die letzten 20 Stockwerke nach unten zu laufen. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir keine Ahnung, dass bereits ein zweites Flugzeug in den anderen Turm geflogen war. Unten angekommen, wusste ich zuerst nicht, wo ich war, es sah aus, als ob ich mich in einem alten, baufälligen Keller befinden würde und es dauerte einen Moment, bis ich bemerkte, dass ich mich in der Lobby befand, in der noch vor einer Stunde geschäftiges und unbeschwertes Treiben geherrscht hatte.
Das, was ich vor mir sah, war ein Bild der absoluten Zerstörung: Die Wände waren aufgebrochen, der Boden mit Staub und Trümmern bedeckt. Es war schwer den Ausgang zu finden, aber ein Mann zeigte uns den Weg nach draußen: „Lauft“, sagte er „Lauft und dreht euch nicht um, schaut nicht zurück!“ Als ich an mir herab zu meinen Füßen blickte, sah ich, dass ich durch rote Pfützen watete. „Was macht die ganze rote Farbe hier?“, dachte ich noch, bis mir klar wurde, dass es sich um Blut statt Farbe handelte, aber ich hatte keine Zeit weiter darüber nachzudenken, als ich mit all den anderen Massen an Menschen die Straße hinunter rannte. In absolutem Schockzustand, hörte ich viele von ihnen weinen und wieder andere riefen nach ihren Freunden und Kollegen.
Schließlich drehte ich mich doch noch einmal zum World Trade Center um und sah die großen klaffenden Löcher in beiden Gebäuden. Aus beiden quoll schwarzer Rauch hervor und bevor ich überhaupt begreifen konnte, was geschehen war, hörte ich einen so gewaltigen Lärm, wie ich ihn noch niemals zuvor und auch seit dem nie wieder erlebt habe. Da, genau vor meinen Augen, fiel der Südturm langsam in sich zusammen.
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Wieder begannen wir zu rennen, in panischer Angst dieser Situation vielleicht nicht lebend zu entkommen. Die Rauchwolke war überall und zog sich bedrohlich über uns zusammen, irgendjemand schubste mich von hinten, sodass ich für einen Moment Angst hatte, ich würde fallen und von der Menge überrannt werden. Ich schrie:„Bitte! Schubst mich nicht."
Mitten in diesem Alptraum spürte ich, wie meine Freundin Amy meine Hand griff und mich einige Blocks mit sich zog, bis wir schließlich außer Reichweite der dunklen Wolke waren. Wir brachten uns in einem Beerdigungsunternehmen in Sicherheit, dass einem Familienmitglied von Amy gehörte. Dort konnten wir dann auch endlich telefonieren. Ich rief zuhause an, erreichte aber niemanden, so hinterließ ich einfach nur eine Nachricht, dass es mir gut ginge.
Später fand ich eine Telefonzelle von welcher ich dann meine ältere Tochter und meine Schwester erreichen konnte. Letztere versicherte sich immer wieder bei mir, dass es mir auch ja gut gehe, aber meine einzige Sorge war zu diesem Zeitpunkt, meine jüngere Tochter Megan, zu deren Schule ich irgendwie gelangen wollte.
Ich rief zuhause an, aber niemand nahm ab. Ich konnte nur eine Nachricht hinterlassen, dass ich okay war. Später fand ich ein öffentliches Telefon und konnte zwei weitere Anrufe machen. Ich schrieb meiner älteren Tochter eine SMS, die in einem nahegelegenen Krankenhaus arbeitete, und rief meine Schwester an.
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Als ich auflegte, hörte ich ein weiteres Dröhnen in der Ferne. Ich drehte mich um und sah nun auch den Nordturm in sich zusammenfallen.
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Meine Schwester ging ran. Sie war so erleichtert von mir zu hören und fragte immer wieder: „Geht's dir gut?“ Ich sagte ihr, dass es mir gut ginge und dass ich irgendwie nach Uptown gelangen musste, um Megan von der Schule zu holen. Als ich auflegte, hörte ich ein weiteres Dröhnen in der Ferne. Ich drehte mich um und sah nun auch den Nordturm in sich zusammenfallen. Der Horror dieses Tages hörte einfach nicht auf.
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Wie ferngesteuert lief ich weiter, Seite an Seite mit den vielen anderen Menschen, die sich wie ich, paralysiert, unter Schock und in gespenstischer Stille, ihren Weg stadteinwärts bahnten. Vorbei an Geschäften, die uns mit Wasser und Obst versorgten. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte ich, völlig erschöpft und mit blutigen Füßen, Megan's Schule und dort konnte ich nun endlich meine Tochter beruhigen. Diese hatte zwar in der Zwischenzeit ihren Vater erreicht und wusste von diesem bereits, dass ich in Sicherheit war und mich auf den Weg zu ihr gemacht hatte, dennoch war sie nach wie vor sehr aufgeregt: „Mama, wie sollen wir nach Hause kommen?“ und ich antwortete ihr: „Wir werden uns erstmal zu Fuß auf den Weg machen.“
Als Megan meine Füße sah, wollte sie sofort ihre Turnschuhe mit meinen Sandalen tauschen, aber ich verneinte und so lief ich weitere 20 Blocks, diesmal mit meiner Tochter, in Richtung zuhause. Unterwegs hielten wie immer wieder an, um in Kontakt mit unseren Liebsten zu bleiben. Irgendwann bekamen wir mit, dass einige Busse und Bahnen, zwar unregelmäßig, aber immerhin ab und zu wieder fuhren und wir konnten einen Zug nehmen, der uns schließlich, um 17:45 Uhr, ganz in die Nähe unseres Zuhauses brachte.
Dort endlich angekommen, hörten wir die vielen Nachrichten der Menschen ab, die den ganzen Tag versucht hatten uns zu erreichen. Mein Patenkind kam vorbei, er wollte sich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass es uns gut ging und uns nichts passiert war. Meine ältere Tochter kam erst einmal nicht weg von Long Island, da die Brücke gesperrt war und blieb deshalb bei meiner Schwester, bis ich sie endlich um 22:30 Uhr weinend in die Arme schließen konnte.
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In den folgenden Wochen begann der schmerzhafte und lange Weg der Heilung. Es war uns wichtig, möglichst viele Beerdigungen und Trauerfeiern zu besuchen. Wir wollten uns, auch für die eigene Aufarbeitung, von Kolleg*innen, den tapferen Menschen von der Feuerwehr, Freund*innen und Nachbar*innen verabschieden. Es war unbeschreiblich schwer, wieder zur Arbeit zurückzukehren und wir wurden dabei intensiv und behutsam von Traumatherapeut*innen betreut.
Den 11. September 2001 werden wir niemals vergessen. Immer müssen wir derer gedenken, die Opfer dieses schrecklichen Tages wurden, genauso wie wir, die wir diese grauenvolle Tragödie überlebt haben, für immer mit der Erinnerung leben müssen. Ich bin seit damals nie wieder am World Trade Center gewesen und glaube nicht, dass ich es jemals schaffen werde, noch einmal dorthin zurückzukehren.
Jedes Jahr am 11. September, nehme ich mir Zeit um mich aktiv an die zu erinnern und für sie zu beten, die an diesem Tag von uns gegangen sind. Dann verwahre ich sie wieder in meinem Herzen bis zum nächsten Jahr. Manchmal frage ich mich, warum gerade ich das Glück hatte zu den Überlebenden zu gehören. Immer wieder sehe ich vor meinem inneren Auge die Fernsehbilder von den Kindern, die in den Tagen nach den Anschlägen, die Straßen nach ihren Eltern absuchten, da diese nie aus dem Gebäude herausgekommen waren. Ich denke dann daran, dass dies auch meine Töchter hätten sein können.
Ich erkläre es mir so, dass ich wohl noch etwas zu erledigen habe auf dieser Welt und das ich deshalb noch hier bin. Ich bin so unendlich dankbar, dass ich weiter mit meiner Familie und meinen Freund*innen zusammen sein darf. Ich werde niemals vergessen, was mit uns und unserem Land damals geschehen ist und wie viele von uns ihre Liebsten für immer verloren haben.
Margaret Lazaros ist eine Überlebende der Terroranschläge auf das New Yorker World Trade Center am 11. September 2001. Die hier geäußerten Ansichten sind ihre eigenen und spiegeln nicht die Ansichten von Refinery29 wider.
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