Deutschland stirbt aus. Jedenfalls hört man das ja immer. Wenn ich mich so auf den Straßen Berlins und in meinem Freund*innenkreis umschaue, dann bekomme ich allerdings einen ganz anderen Eindruck. Überall wird gekugelt, gestillt, gewickelt. Ich bin in meinem Umfeld eine der letzten ohne Kind. Meine Freund*innen erzählen mir regelmäßig von der schier unmöglichen Aufgabe, für ihren Nachwuchs einen Kindergartenplatz zu bekommen, denn es gibt einfach zu viele Kinder für zu wenig Kitaplätze. In bestimmten Gegenden hier in Berlin gibt es gefühlt mehr Kindercafés als Kneipen. Kinder zu haben ist plötzlich cool und gesellschaftlich immer noch hoch angesehen.
Dieser Kinderboom ist keinesfalls das Ergebnis meiner selektiven Wahrnehmung, die sich auf einen eventuellen Kinderwunsch gegründet, sondern einfach Fakt. Das Statistische Bundesamt hat herausgefunden, dass die zusammengefasste Geburtenziffer 2016 bei 1,59 Kindern je Frau lag. Das ist zwar immer noch etwas geringer als der europäische Durchschnitt, aber trotzdem beeindruckend, denn das ist der höchste Wert hier in Deutschland seit 1973.
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Woher kommen die Babys?
Eine Antwort ist, dass die Zuwanderung der letzten Jahre uns auch mehr Kinder beschert hat. Eine weitere wäre, dass die steigende Geburtenrate eine direkte Folger der verbesserten Familienpolitik des Bundes ist. Ist das 2007 eingeführte Elterngeld der Grund dafür, dass die Leute wieder mehr Kinder bekommen? Ja, es hat sich etwas verbessert, aber es ist bei weitem nicht alles optimal, da es noch immer so nervige Dinge wie Ehegattensplitting und die strukturelle Diskriminierung von Alleinerziehenden gibt. Dagegen spricht zudem die Tatsache, dass die Geburtenraten in einer Gesellschaft immer dann steigen, wenn die Verhältnisse zunehmend unsicherer werden. Denn dort, wo die Altersvorsorge nicht mehr gesichert ist, sind Kinder ziemlich praktisch. Zu unromantisch? Vielleicht. Trotzdem sollte man diesen Faktor nicht unter den Teppich kehren. Allerdings ist unsere Gesellschaft tatsächlich familienfreundlicher geworden, obwohl es natürlich auch hier noch immer großen Nachholbedarf gibt. Elternsein ist allerdings zu einer Statussymbol-ähnlichen Sache geworden, die man mit Stolz zelebriert.
Kinder werden auch nicht mehr als das Ende der persönlichen Freiheit gesehen. Fast scheint es so, als würden viele die Augen davor verschließen, wie sehr sich das Leben nach einem Kind wirklich ändert, denn zumindest im ersten Jahr dreht sich doch erst mal alles ums Kind.
Fakt ist außerdem, dass sich der Arbeitsmarkt verändert hat. Ja, Frauen und besonders Mütter werden noch immer im Job benachteiligt, haben nicht mal ansatzweise die gleichen Aufstiegschancen wie Männer und müssen nach der Elternzeit nicht selten um ihren Job bangen. Aber Frauen können sich heutzutage selbstständig machen, ihr eigenes Business aufziehen und so versuchen Kind und Familie unter einen Hut zu bekommen. Viele Eltern in meinem Bekanntenkreis machen das so und auch, wenn es nicht immer leicht ist, ist es doch eine mögliche Alternative.
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Niemand, der*die Kinder bekommen hat oder bekommen möchte, wird aber als ausschlaggebenden Grund für die Familienplanung das bombastische Kindergeld oder die schmale Rente angeben. Die Erklärung, die ich immer wieder höre und der Grund, wieso ich mir (irgendwann) Kinder wünsche, ist der, dass wir uns nach Liebe und Geborgenheit sehnen. Ein durchaus egoistischer Grund, könnte man meinen, aber Kinderkriegen an sich ist ja ein zutiefst egoistischer Akt, schließlich gibt man seine Gene an die nächste Generation weiter und macht sich dadurch quasi unsterblich.
Zurück zur Liebe. Unsere Gesellschaft ist nicht besonders liebevoll. Ständig muss man sich auf dem Arbeitsmarkt durchboxen, sich mit den Nachbar*innen, der Chefin, irgendwelchen Nazis rumärgern und eh gibt es wenig Liebe und Zuneigung im Großstadtalltag. Beziehungen werden irgendwie auch immer komplizierter, was nicht schlecht ist, aber eben den Wunsch nach etwas Stabilität aufkommen lässt. Das ist übrigens auch einer der Gründe, wieso gerade so viel geheiratet wird. Wir sehnen uns alle kollektiv nach Geborgenheit und den großen Gefühlen, nach Familie und einem geschützten Raum, in dem wir ganz wir selbst sein können. Und in dem wir bedingungslos geliebt werden. Aber wir wollen auch gebraucht werden, endlich mal für jemanden da sein dürfen. All diese Bedürfnisse sind besonders doll ausgeprägt, je liebloser die Umwelt ist. Isso.
Vater, Mutter, Kind? Nein, Familie!
Familie ist heute nicht mehr das, was es noch vor ein paar Jahren war. Klar, alternative Familienkonzepte gibt es schon lange, allerdings erfreuen sie sich seit ein paar Jahren wirklich großer Beliebtheit. Besonders im urbanen Raum werden zahlreiche Varianten von Familie gelebt, die gar nicht mal mehr so viel mit dem klassischen Vater-Mutter-Kind-Modell zu tun haben. Ein Kinderwunsch kann jetzt auch relativ easy ohne den oder die richtige*n Partner*in verwirklicht werden und dank Co-Parenting ist man auch nicht alleine. Natürlich gibt es noch immer Alleinerziehende und die haben es nach wie vor wirklich nicht leicht. Sie tragen nicht nur die gesamte Verantwortung für den Nachwuchs, sie werden auch nicht einmal ansatzweise so vom Staat unterstützt wie verheiratete Paare. Überhaupt wird die heterosexuelle Zweierbeziehung und das klassische Familienmodell vom Staat weiterhin gepusht wie verrückt. Ein Tatsache, die sowas von gestern ist, dass ich darüber nur den Kopf schütteln kann. Und trotzdem setzen sich andere Familienmodelle durch, weil sie vielerorts zumindest teilweise von gesellschaftlichen Stigmata befreit wurden. Weil sich Menschen in ähnlichen Situationen gegenseitig unterstützen. Weil man nicht mehr einzig und allein auf die Unterstützung vom Staat und der biologischen Familie abhängig ist.
Ich wollte nie Kinder, da ich mir nicht vorstellen konnte, Teil einer klassischen Familie zu sein. Als mir klar wurde, dass es beides nicht unbedingt immer im Abo gibt, entflammte in mir der Kinderwunsch. Oder zumindest die Idee davon, wie es wäre, wenn ich Verantwortung für ein Kind übernehmen würde. Ob ich es wirklich machen werde, weiß ich noch nicht genau. Ich weiß aber, dass es viele Möglichkeiten gibt, diesen Wunsch zu realisieren und dass ich mich dafür nicht unbedingt in einer festen Partnerschaft befinden muss. Und dieses Gewissheit ist ziemlich super.