Ich muss oft an eine bestimmte Szene aus Mad Men denken. Darin präsentiert Peggy Olson, eine junge Werbetexterin, einem wichtigen Kunden selbstbewusst eine Werbeidee. Der Kunde schaut ihr dabei in die Augen und leckt sich über die Zähne; sie deutet es als vulgäre Geste, ignoriert es aber. Als das Meeting erfolgreich endet, lächelt Peggy ihre Kollegen zufrieden an und wird beiläufig von ihnen darüber informiert, dass sie Lippenstift auf den Zähnen hat. Ihr Kollege, mit dem sie sich vorher gestritten hat, hatte sie absichtlich nicht davor gewarnt, um sie bloßzustellen. Ein kleiner Beweis des fehlenden Respekts, typisch für eine Werbeagentur in den 1960ern – aber doch ganz schön schmerzhaft.
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Solche Situationen sind nicht bloß peinlich, sondern vor allem dann wahnsinnig demütigend, wenn man es selbst nicht mal mitbekommt – insbesondere als Frau –, zum Beispiel in Form von Spinat zwischen den Zähnen, Klopapier am Schuh, einem Popel im Nasenloch oder (wenn du ganz viel Pech hast) Menstruationsblut im Schritt. Mir selbst ist es ehrlich gesagt ziemlich egal, wenn ich am Ende des Tages einen kleinen Schokofleck im Gesicht bemerke oder nachmittags noch mit Schlaf im Augenwinkel rumrenne. Ich bin ein Mensch, und Menschen passiert sowas nun mal. Wen juckt’s?
Wie auch Peggy in diesem Meetingraum, die sich daraufhin schnell die rote Farbe von den Zähnen rubbelt, habe aber auch ich dauernd das Gefühl, kurz vor der totalen Demütigung zu stehen – in meinem Fall in Bezug auf meinen Geruch. Gestank, um genau zu sein. Ich habe immer Angst, ekelhaft zu riechen, ohne es mitzubekommen.
Wir waren eine ganze Weile von anderen Menschen und ihren Gerüchen entfernt. Während dieser Zeit sind uns unsere eigenen Körper umso vertrauter geworden – inklusive unserer Gerüche, die wir übrigens auch gar nicht selbst wahrnehmen können. Laut Dr. Pamela Dalton vom Monell Chemical Senses Center ist dein Geruchssinn gegenüber deinem eigenen Geruch „abgestumpft“. Selbst wenn der Geruch eindeutig schlecht ist, gewöhnen sich die Geruchsrezeptoren im Gehirn daran und „benachrichtigen“ dich nach einer Weile nicht mehr über einen andauernden Duft. Und das alles galt schon vor Corona und dessen Konsequenzen für unsere Sinne: Anosmie (Geruchsverlust) ist ein weit verbreitetes Symptom der Krankheit, und obwohl der Geruchssinn in den meisten Fällen nach spätestens einer Woche wieder zurückkehrt, gibt es dafür keine Garantie. Viele Menschen, die an Corona erkrankt sind – vor allem zu Beginn der Pandemie –, beklagen sich bis heute über einen schwächeren Geruchssinn.
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Bis vor nicht allzu langer war mir mein eigener Geruch noch bewusst, ohne dass ich mich total darauf konzentrierte. Ich fand jedenfalls immer, dass ich gar nicht so intensiv rieche; neutral eben. Ich neige zum Schwitzen und habe ziemlich fettige Haut, dusche aber regelmäßig und bin auch der Meinung, dass ein gewisser Gestank direkt nach dem Sport auch nachvollziehbar ist, wenn sie sich eindeutig gerade stark bewegt haben. In den letzten Jahren ist diese Gleichgültigkeit aber immer stärker einem Hyperbewusstsein meines eigenen Geruchs gewichen.
Von Viren und deinem eigenen normalen Geruchsempfinden mal ganz abgesehen, können sich ganz viele Faktoren auf deinen eigenen Körpergeruch und dein Empfinden davon auswirken. Angststörungen zum Beispiel können deinen Schweißgeruch negativ beeinflussen und deinen Geruchssinn so verändern, dass harmlose Düfte plötzlich schlechter riechen. Dasselbe gilt für Paranoia, und auch die Zwangsgedanken, die mit Zwangsstörungen oder Dysmorphien einhergehen, können sich auf Gerüche konzentrieren. Es gibt sogar die sogenannte Olfaktorische Referenzstörung (ORS), deren Betroffene so stark davon überzeugt sind, zu stinken, dass sie ihr Zuhause nicht verlassen, obwohl sie gar nicht schlecht riechen. Auch Fatigue (die chronische Erschöpfung, die beispielsweise durch Long COVID oder andere chronische Krankheiten wie ME/CFS ausgelöst werden kann) kann es dir erschweren, dich so oft zu waschen wie früher. Eine schlechtere Körperhygiene kann auch eine Reaktion auf ein Trauma sein oder mit Sinnesempfindungen zusammenhängen.
Man sollte meinen, dass all das – plus die Auszeit von verschwitzten, stinkenden Menschenmengen – für ein allgemeineres Verständnis dafür sorgen würde, dass wir alle irgendwie riechen. Der erneute Kontakt zum menschlichen Geruch hat bei mir aber dafür gesorgt, dass ich mich mit meinem eigenen zunehmend unwohl fühle.
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Bei der Angst, für andere Leute unangenehm zu riechen, geht es vor allem darum, wie anderen diesen Geruch interpretieren könnten: Du bist faul und kümmerst dich nicht um dich selbst. Du bist ekelhaft und – insbesondere, wenn du als Frau gelesen wirst – schaffst es nicht, Gender-Erwartungen zu entsprechen. Eine verschwitzte, fettige Frau zu sein, ist „unfeminin“ und nur im Kontext deiner eigenen Begehrlichkeit akzeptabel – zum Beispiel beim Sex, oder wenn du versuchst, deinen Körper durch Sport zu verändern oder zu „verbessern“. Eine schweißnasse Stirn bei einem Meeting oder Schweißflecken im Bus sind da nicht akzeptabel. Gleichzeitig schwingt bei alldem der Verdacht mit, du seist irgendwie töricht: Entweder weißt du, dass du „falsch“ riechst, schämst dich aber nicht dafür (und das darf sich bloß keine Frau erlauben!), oder du weißt es nicht und bist somit ein:e Idiot:in, der:die eines Besseren belehrt werden sollte.
Nach Jahrzehnten der Werbung, die uns Seife, Zahnpasta, Shampoo und Co. mit dem Versprechen verkaufen will, diese Produkte würden uns nicht bloß reinigen, sondern auch gut duften lassen, ist es kaum verwunderlich, dass wir Menschen anhand ihres Geruchs ganz klar in „gut“ und „schlecht“ aufteilen. Die damit verbundene Angst – zumindest in meinem Fall – ist die, nicht kontrollieren zu können, wie mich Leute empfinden, und sie abzustoßen, ohne es selbst mitzubekommen.
Dabei haben Menschen natürlich einen Geruch! Und der ist nicht so schlimm, dass wir ihn zwangsläufig durch Parfum kaschieren oder dreimal tägliches Waschen vernichten müssen.
Die Lösung für dieses Problem ist nicht, sich dauernd zu waschen – zumindest nicht für mich. Zwar wäre das mein erster Instinkt, aber ich weiß durch meine Erfahrung mit Zwangsstörungen, dass ein solches Verhalten ganz schnell zu verängstigter Verzweiflung und immer drastischeren Definitionen für „akzeptabel“ führen kann.
Es ist aber auch keine Lösung, Hygiene von jetzt an über Bord zu werfen und mich dem Gestank hinzugeben. Menschen haben einen Geruch, ja – aber es gibt auch gute Gründe dafür, dass wir manche Gerüche als abstoßend empfinden. Eine grundlegende Hygiene ist wichtig für dich und andere.
Dich im Sommer für deine Schweißflecken fertig zu machen und immer wieder an deinen Haaren zu schnuppern, weil deine letzte Dusche zwei Tage her ist, ist Zeit- und Energieverschwendung. Dein Geruch ist kein Widerspruch für deine Weiblichkeit oder ein Beweis deiner Faulheit oder Ignoranz. Mal schlecht zu riechen, ist kein moralisches Versagen. Und die Angst davor, schlecht zu riechen, nimmt viel Zeit in Anspruch, die du ansonsten damit verbringen könntest, dein Leben zu leben – und es vielleicht mit Aktivitäten zu füllen, die den ganzen Schweiß überhaupt wert sind.
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