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Bestimmt dein Darm wirklich deine mentale Gesundheit?

Foto: Ruby Woodhouse.
Ganz egal, ob du nur ab und zu Verdauungsprobleme oder chronische Beschwerden hast: Du weißt garantiert, dass sich diese ungewollten körperlichen Symptome negativ auf deine Stimmung auswirken. Und wenn diese Symptome einfach nicht abhauen wollen, kann das auch Konsequenzen für deine geistige Gesundheit haben.
Der menschliche Verdauungstrakt ist ein beeindruckendes System, das meistens so vor sich hingluckert und dabei herausfiltert, was wir (nicht) brauchen, ohne dass wir es mitbekommen. Erwachsene tragen rund neun Meter Darm in sich herum: den Dünndarm – einen langen, schmalen Schlauch, etwa sieben Meter lang – und den Dickdarm, benannt nach seinem weiten Durchmesser. Letzterer ist circa anderthalb Meter lang. Das ist sehr viel Darm; kein Wunder also, dass da auch ab und an mal was schiefgehen kann. Symptome wie Durchfall, Verstopfung, Blähungen, Völlegefühl, Schmerzen und Übelkeit machen uns meist ziemlich gut darauf aufmerksam, dass irgendwas nicht so läuft wie geplant. Diese Beschwerden können dann aber auch dafür sorgen, dass auch im Kopf nicht alles rund läuft, denn wenn es uns nicht gut geht, schlägt uns das verständlicherweise auf die Laune.
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Vor nicht allzu langer Zeit hatten wir noch keine Ahnung davon, was „Mikrobiom“ oder „probiotisch“ überhaupt bedeutet. Inzwischen kommst du um Supplements für die „Darmgesundheit“ (und die Werbung dazu) aber kaum noch drumrum. Tatsächlich scheint „Darmgesundheit“ inzwischen eine Art Synonym für „Wellness“ zu sein. Klar ist es schön, dass wir uns unserer Körper und unserer Ernährung – und deren Auswirkung auf unsere geistige Gesundheit – heute vielleicht stärker bewusst sind denn je; insbesondere, weil das Stigma rund um den Darm und um die Verdauung so viele Menschen davon abgehalten hat, offen über ihre Probleme zu sprechen und sich Hilfe zu suchen. Aber was sollen Begriffe wie „probiotisch“, „Mikrobiom“ und „Darmgesundheit“ überhaupt bedeuten – und wie viel „Wissenschaft“ steckt hinter dem ganzen Profit?

Die Hirn-Darm-Verbindung

Dass es eine Verbindung zwischen emotionalem Stress und körperlichen Beschwerden gibt, ist schon lange bestätigt. Wenn wir extrem gestresst sind, wird unsere primitive Kampf-oder-Flucht-Reaktion ausgelöst: Stresshormone werden ausgeschüttet, die wiederum diverse körperliche Symptome mit sich bringen. Chronischer Stress kann dafür sorgen, dass der Körper in einem konstanten Warnzustand bleibt – und somit dauernd auf Kampf oder Flucht aus ist. Auch das kann enorme körperliche Konsequenzen haben. Manchmal zeigt uns unser Körper sogar schon, dass wir emotional gestresst sind, bis es uns selbst wirklich bewusst ist. Und oft schreit der Darm dabei am lautesten.
Ein unruhiger Darm kann Signale ans Hirn schicken, und ein unruhiges Gehirn wiederum an den Darm. Diese zweispurige Straße nennt sich die Darm-Hirn-Achse. Im letzten Jahrzehnt hat die Wissenschaft erwiesen, dass diese Verbindung – über den Vagusnerv – eine zentrale Rolle für unseren emotionalen Zustand spielt.
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Wir wissen, dass der Darm rund 95 Prozent des Glückshormons Serotonin in unseren Körper ausschüttet, und dass ein Ungleichgewicht der Darmflora mit dem Reizdarmsyndrom (IBS, für irritable bowel syndrome), Immunstörungen, Alzheimer, Arthritis, Übergewicht oder allgemeiner auch mit dem Energiepegel einer Personin Verbindung stehen kann. Klar ist, dass gezieltere Untersuchungen zur Darm-Hirn-Achse zu effektiveren Behandlungsoptionen zahlreicher Gesundheitsbeschwerden führen könnten. Leider wissen wir zwar viel über diese Verbindung, aber noch längst nicht alles.
Ebenfalls wichtig in diesem Zusammenhang sind die unzähligen Bakterien, die wir in uns herumtragen. Jeder Darm enthält etwa 100 Billionen Mikroorganismen wie Mikroben, Viren und Pilze, die zusammen die Darmflora ausmachen. Das „Mikrobiom“ steht für all die Gene, die in dieser Flora enthalten sind, und ist von Person zu Person so einzigartig wie ein Fingerabdruck. Diese Flora erfüllt im Körper so viele wichtige Funktionen, dass sie immer häufiger als „zweites Gehirn“ bezeichnet wird. Abgesehen davon, dass sie bei der Verdauung hilft und nötige Nährstoffe absorbiert, schüttet die Darmflora auch chemische Profile aus, die unsere Immunfunktion, unseren Metabolismus und – für mich besonders interessant – unsere Stimmung regulieren.
Als jemand, die – um es mal nett zu formulieren – darmmäßig schon ihr ganzes Erwachsenenleben über gestresst ist, interessiere ich mich schon lange für dieses Thema. Ich bin zwar längst keine Expertin zur Darmflora, habe aber im Laufe der Jahre (und über zahlreiche Interviews mit Forschenden, Ärzt:innen, Psychiater:innen und Psycholog:innen hinweg) doch immer dieselbe Message mitgenommen: Die Darmflora hat eindeutig einen Einfluss auf unser allgemeines Wohlbefinden – doch haben wir noch längst nicht alle Antworten, die wir brauchen.
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Der Verdacht liegt nahe, dass die Darmflora eine Rolle für unseren emotionalen Zustand und unser Sozialverhalten spielt und auch mit Problemen wie Depressionen zusammenhängen könnte. Die Theorien dazu basieren aber meist auf Untersuchungen von Mäusen; es gibt nur wenige Studien am Menschen, die eine solche Verbindung stützen würden. Dennoch schlachten einzelne Firmen und ganze Branchen diese Theorien (und unsere Neugier) dem Profit zuliebe aus. Denn wo es erste Zusammenhänge gibt, lässt sich immer Geld machen.

Das Geschäft mit Darm und Psyche

Immer mehr medizinische Behandelnde bieten Darmflora- bzw. Mikrobiom-Tests an, um langfristig die Haut, den Schlaf, die Verdauung, die Stimmung, und noch vieles mehr zu verbessern. Inzwischen gibt es aber auch zahlreiche Firmen, die solche Test-Kits für zu Hause anbieten. Bei der Recherche für mein Buch Hormonal besuchte ich einen Ernährungsberater, der mir vorschlug, mein Mikrobiom zu untersuchen und so potenziell eine Verbindung zwischen meiner Darmgesundheit und PMS festzustellen. Nachdem ich meine Liste an Symptomen runtergerattert hatte – Angstzustände, Tränen, Schmerzen, Verstopfung, ein Blähbauch –, lautete seine erste Diagnose erstmal Dysbiose (ein Ungleichgewicht der Darmbakterien – sprich: zu viele schlechte, zu wenige gute Bakterien). 
Um die Diagnose zu bestätigen, ließ ich meinen Urin testen (für etwa 320 Euro), der dazu an ein Labor namens Genova Diagnostics geschickt wurde. Als ich zur Besprechung meiner Ergebnisse wieder in die Praxis kam, sagte mir der Ernährungsberater, ich habe „eine Überbesiedelung durch milchsäureproduzierende Bakterien“, die auf eine gestörte Kommunikation mit dem Gehirn hinwiesen. Um das zu bestätigen, sollte ich eine Stuhlprobe untersuchen lassen (für weitere 400 Euro). Ich hatte außerdem einen „leicht erhöhten“ Spiegel eines Entzündungsmarkers namens Picolinat, der mit einer „leichten Gehirnentzündung“ zusammenhinge, die zu „Stimmungsstörungen“ führen könne. Das ließe sich aber durch mehr fettigen Fisch „korrigieren“. Er empfiehl mir Bückling zum Frühstück.
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Eine Gehirnentzündung. Dieses Wort blieb mir natürlich erstmal eine Weile im Kopf hängen, obwohl mir darauffolgende Gespräche mit Neurowissenschaftler:innen versicherten, dass der Begriff in diesem Kontext überhaupt nichts zu sagen hatte – vor allem nicht nach einer Urinprobe. Ich erfuhr außerdem, dass das Genova-Diagnostics-Labor schon mehrfach für seine pseudowissenschaftliche Vorgehensweise sanktioniert wurde. Bis ich das erfuhr, klang die Theorie des Ernährungsberaters aber erstmal plausibel. Natürlich ist aber kein Test der Welt jemals ein vollständiges Diagnose-Tool. Wenn du darmbezogene Symptome hast, ist klar, dass mit dem Mikrobiom etwas nicht stimmt. Eine Stuhlprobe, an einem Tag, ist aber immer nur eine Momentaufnahme – kein vollständiges Bild.
Weil die Wellness-Industrie vor einigen Jahren ihren größten Boom erlebte, gelten endlose Tests inzwischen als eine Form von Selfcare. Das betrifft insbesondere den Darm. Dabei haben viele dieser Tests aber nur eine sehr schwache wissenschaftliche Basis. Die ganzen Untersuchungen verfestigen außerdem die Annahme, irgendwas müsse etwas Schlimmes lauern – dabei stimmt das bei den meisten Menschen nicht mal. Aktuell ist es unmöglich, eine eindeutige, messbare Verbindung zwischen dem Darm und der geistigen Gesundheit einer Person festzustellen. Und selbst wenn ich, ein ziemlich ängstlicher Mensch, irgendwie die Möglichkeit hätte, ein paar „falsche“ Mikroben für meine Panikattacken verantwortlich zu machen, wäre die Lösung darauf dieselbe, wie wenn ich die Mikroben gar nicht hätte untersuchen lassen: Ich müsste mich ebenfalls erstmal um die Basics kümmern – Ernährung, Schlaf, Sport, und Stress.
Wir müssen nicht immer genau wissen, was wann in unserem Darm los ist. Was wir wissen, ist, dass unsere moderne Ernährung oft voller Kohlenhydrate und verarbeiteter Getreidesorten ist, die die „schlechten“ Bakterien in unserem Darm füttern. Auch Gewohnheiten, die dem Herzen, der Lunge oder dem Gehirn schaden – wie Zigaretten- oder Alkoholkonsum, zum Beispiel –, können sich negativ aufs Mikrobiom auswirken. Indem wir unseren Konsum dieser Lebens- und Suchtmittel zurückschrauben, mehr Gemüse als alles andere essen und ein paar probiotische und omega-3-reiche Lebensmittel (wie fettigen Fisch) in unsere Ernährung aufnehmen, machen wir jedenfalls nicht viel falsch. (Diese sogenannte mediterrane Diät soll die Vielfalt der Bakterien im Darm fördern.)
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Vielleicht denkst du jetzt, es sei ja zumindest ein guter erster Schritt, ein paar Supplements einzuwerfen. In der lukrativen Welt der probiotischen Nahrungsergänzungsmittel ist allerdings noch immer nicht ganz klar, ob diese Stoffe überhaupt etwas bringen. Viele der Pillen und Kapsel behaupten, die „Darmgesundheit zu fördern“ und dir „gute Bakterien“ zuzuführen; weil die Supplement-Industrie aber so schlecht reguliert ist, lässt sich nie wirklich sagen, ob die Versprechen auf der Verpackung auch wirklich drinstecken. Ob sich probiotische Supplements für unser aller Darmgesundheit lohnen, konnten Studien bisher auch nicht beweisen. Indizien dazu gibt es bisher vor allem im Zusammenhang mit antibiotikabedingtem Durchfall oder entzündlichen Darmkrankheiten wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa. Anstatt in Form teurer Pillen lassen sich hilfreiche Bakterien aber auch durch fermentierte Lebensmittel wie Joghurt, Kefir, Sauerkraut, Kimchi und Miso einnehmen. (Und ich selbst kann bestätigen, dass mein Darm viel friedlicher ist, seit ich diese Dinge esse.)
Eines Tages lassen sich mentale Beschwerden wie Angstzustände vielleicht durch eine Behandlung der Darmflora beseitigen. Aber auch jetzt wissen wir schon genug, um kleine Veränderungen zugunsten unserer allgemeinen Gesundheit durchzuführen. Unser jetziges Verständnis der mächtigen Darm-Hirn-Achse deutet jedenfalls stark darauf hin, dass eine gesunde, abwechslungsreiche Ernährung entscheidend für unsere körperliche und mentale Gesundheit ist. Und mal ehrlich: Wer hat denn ohnehin geglaubt, beides ließe sich voneinander trennen?
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