Dafür, dass das polyzystische Ovarialsyndrom (PCOS) die häufigste hormonelle Störung von Menschen mit Gebärmutter zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr ist, reden wir verdammt wenig darüber.
Selbst wenn du dich als weitestgehend gesund betrachtest, ist es wichtig, dich mit deinem Körper gut auszukennen – und zu verstehen, wovon immerhin 8 bis 13 Prozent aller gebärfähigen Menschen betroffen sind. Um das PCOS gründlicher zu beleuchten – von seinen Symptomen über seine Ursachen bis hin zu Behandlungsmöglichkeiten –, haben wir den endokrinen Chirurgen Dr. Andrew Thompson um Hilfe gebeten. Er hat uns einen leicht verständlichen Guide zum polyzystischen Ovarialsyndrom zusammengestellt.
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Was ist das polyzystische Ovarialsyndrom (PCOS)?
Das PCOS ist eine hormonelle Störung, die Menschen mit Gebärmutter während ihrer gebärfähigen Jahre betreffen kann. Beim PCOS wachsen kleine, mit Flüssigkeit gefüllte Bläschen (Zysten) innerhalb der Eierstöcke. Das wirkt sich auf die Östrogen- und Progesteronproduktion des Körpers aus; beide Hormone regulieren den Menstruationszyklus. Obwohl PCOS-Betroffene zwar Kinder bekommen können, besteht bei ihnen doch das Risiko von Fruchtbarkeitsproblemen. Obwohl viele Betroffene ein gesundes und normales Leben führen können, ist die PCOS-Diagnose entscheidend dafür, zukünftigen Risiken vorzubeugen.
Dr. Thompson erklärt: „Obwohl das PCOS so weit verbreitet ist, wird es größtenteils nicht erkannt, und obwohl PCOS-Betroffene nicht zwangsläufig eine höhere Sterblichkeitsrate haben, haben sie doch ein größeres Risiko, später im Leben ernster zu erkranken – zum Beispiel an Diabetes vom Typ 2, Herzkreislauferkrankungen oder Endometriumkrebs.“
Welche Symptome hat das polyzystische Ovarialsyndrom (PCOS)?
Die Symptome können von Person zu Person variieren, hängen aber zwangsläufig von den jeweiligen Hormonen ab. Zu den geläufigsten Symptomen gehörigen unregelmäßige Menstruationsblutungen, Akne, unnatürliche Gewichtszunahme oder -schwankungen, schwere Blutungen, Hirsutismus (starkes Haarwachstum im Gesicht, auf der Brust, den Pobacken oder dem Rücken) oder Haarausfall, Pigmentflecken und Kopfschmerzen.
Das Problem bei diesen Symptomen ist, dass sie leicht mit den Anzeichen anderer Krankheiten verwechselt, als „Es ist nur eine Phase“ oder als harmlos abgetan werden können. Genau deswegen empfiehlt Dr. Thompson, sämtliche solcher Veränderungen genau zu dokumentieren. „Ich rate all denjenigen, die zwei oder mehr der typischsten PCOS-Symptome bemerken, sich auf das Syndrom testen zu lassen“, sagt er.
Die Hormonstörung kann sich nicht nur auf die Fruchtbarkeit auswirken, sondern auch zum metabolischen Syndrom (das Gewichtsschwankungen auslösen kann), zu Schlafapnoe, Endometriumkrebs und Depressionen führen kann. Es ist daher unheimlich wichtig, nach diesen Symptomen Ausschau zu halten.
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Was ist die Ursache vom polyzystischen Ovarialsyndrom (PCOS)?
Obwohl es zu dieser Frage bisher keine eindeutige Antwort gibt, bei der sich alle Expert:innen einig sind, gibt es doch einige Faktoren, die Vermutungen zufolge eine Rolle spielen können: Die Gene, eine Insulinresistenz und Entzündungen wurden alle schon mit der Überproduktion von Androgenen in Verbindung gebracht, die das PCOS triggert.
Dr. Thompson erklärt: „Das PCOS kann entstehen, wenn gebärfähige Menschen größere Mengen männlicher Hormone in ihren Eierstöcken produzieren. Das kann sich auf ihren Menstruationszyklus und ihre Fruchtbarkeit auswirken und zu vergrößerten Eierstöcken und Eierstockzysten führen. Obwohl die meisten Betroffenen ihre Diagnose zwischen dem 20. und dem 30. Lebensjahr bekommen – oder wenn sie Schwierigkeiten damit haben, schwanger zu werden –, kann ein PCOS auch in jedem anderen Alter nach der Pubertät entstehen.“
Ein Teil der Verwirrung rund ums PCOS hängt mit dem Namen des Syndroms zusammen. Prof. Wiebke Arlt, Leiterin des Institute of Metabolism and Systems Research an der University of Birmingham, hat Refinery29 gegenüber schon einmal erklärt, dass der Name irrtümlich andeute, „es sei eine Erkrankung der Eierstöcke und habe ausschließlich mit den Eierstöcken zu tun“. Tatsächlich handelt es sich dabei um eine Stoffwechselstörung. „Die Eierstöcke reagieren lediglich auf die Insulinresistenz und den hohen Androgenwert im Blut. Genau deswegen verhalten sie sich so anders.“
Dieses Missverständnis sorgt potenziell auch für Schwierigkeiten bei der Behandlung von PCOS. Dr. Arlt ergänzt: „Auch aufgrund des Namens [des Syndroms] kümmern sich um PCOS-Patient:innen hauptsächlich Gynäkolog:innen, und nur selten Endokrinolog:innen oder Stoffwechselexpert:innen.“
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Um eine Diagnose zu bekommen, kannst du dich auch an deinen Hausarzt bzw. deine Hausärztin wenden. Dort überweist man dich dann gegebenenfalls an eine Fachpraxis.
Wie lässt sich das polyzystische Ovarialsyndrom (PCOS) behandeln?
Zu den Behandlungsmethoden beim PCOS gehört zum Beispiel die Anti-Baby-Pille, um den Zyklus zu regulieren; meist geht es aber darum, die Symptome mithilfe von Lifestyle-Veränderungen in den Griff zu bekommen. Dr. Thompson empfiehlt Betroffenen, sich dazu regelmäßig untersuchen zu lassen.
„Wer schon mit PCOS lebt, sollte in regelmäßigen Abständen für Check-ups in die Praxis. Aufgrund des gesteigerten Risikos, ernsthafte Erkrankungen zu entwickeln, und um das Syndrom effektiver zu bewältigen, solltest du auch jährlich deinen Cholesterinspiegel, deinen Blutdruck und dich auf Diabetes untersuchen lassen.“
Obwohl die folgenden Empfehlungen sicher kein garantiertes Heilmittel sind, hat Dr. Thompson doch ein paar Tipps für Veränderungen, die dir bei der Bewältigung der Symptome helfen können.
1. Überlege dir mit deinen Ärzt:innen einen Plan
Dr. Thompson zufolge ist es ein wichtiger erster Schritt nach der PCOS-Diagnose, dir einen medizinischen Plan zurechtlegen zu lassen. „Dazu kann eine medizinische Therapie gegen bestimmte Symptome zählen – wie mithilfe der Verhütungspille, die Menstruationsbeschwerden, Akne und überschüssiges Haarwachstum reduzieren kann. PCOS kann aber ebenso mentale Symptome mit sich bringen. Manchmal helfen dann Antidepressiva, eine Therapie oder Angstmedikamente.“
Im Umgang mit den diversen Symptomen lohnt es sich immer, dir auch eine zweite Meinung einzuholen, rät Thompson. „Zusätzlicher Support von verschiedenen Gesundheitsexpert:innen – die sich vielleicht mit bestimmten Symptomen besser auskennen – ist immer gut. Vielleicht gehst du wegen deiner Akne oder deines Haarwachstums in eine dermatologische, wegen Fruchtbarkeitsproblemen in eine gynäkologische Praxis, holst dir psychologische Hilfe für deine mentalen Symptome oder lässt deine Hormone endokrinologisch checken.“
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2. Achte auf einen gesunden Lifestyle
Eine gesunde Ernährung ist wichtig – vor allem, weil PCOS das Risiko erhöht, an Typ-2-Diabetes oder Herzproblemen zu erkranken. Dr. Thompson betont: „Eine ausgewogene, nährstoffreiche Ernährung kann die Intensität der Symptome reduzieren. Dabei solltest du vor allem auf deinen Cholesterinspiegel achten und möglichst wenige industriell verarbeitete Lebensmittel und Alkohol konsumieren. Vermeide das Rauchen und greife zu eisen- und proteinreichen Nahrungsmitteln.“ Dr. Thompson zufolge ist auch eine konsequente Schlafroutine wichtig. Wem es schwer fällt, eine gesunde Ernährung aufrechtzuerhalten oder guten Schlaf zu bekommen, kann sich dazu Rat bei Expert:innen suchen.
3. Versuch’s vielleicht mit einer natürlichen Behandlung
Es gibt ein paar natürliche Behandlungsmethoden, die nicht nur zur Symptombewältigung dienen, sondern sogar dein generelles Wohlbefinden verbessern können. Pflanzenheilkunde, bestimmte Tees und Nahrungsergänzungsmittel können die Symptome reduzieren und eventuelle Vitaminmängel ausgleichen. „Vitamin-D-, Kalzium-, Omega-3- und Magnesium-Supplements können helfen. Ein niedriger Magnesiumspiegel kann mit Diabetes in Verbindung stehen – ebenso wie Chromium, ein Mineral, das den Insulin- und Blutzuckerspiegel im Körper reguliert.“
Dennoch warnt Dr. Thompson, dass Naturbehandlungen nicht in jedem Fall erfolgreich sind, und empfiehlt allen PCOS-Betroffenen, vorher auf jeden Fall mit einem Arzt bzw. einer Ärztin darüber zu sprechen. „Genauso, wie ein Beratungsgespräch vor einer medizinischen Behandlung wichtig ist, gilt dasselbe auch für eine Behandlung mit Naturheilmitteln. Es ist wichtig, dir über potenzielle Nebenwirkungen im Klaren zu sein und sicherzustellen, dass du diese Mittel korrekt verwendest, damit sich deine Symptome nicht verschlimmern oder gar deine Gesundheit gefährdet wird.“
4. Treib regelmäßig Sport
Laut Dr. Thompson ist die regelmäßige Bewegung selbst für diejenigen PCOS-Betroffenen wichtig, die aufgrund des Syndroms keine Gewichtszunahme bemerken. „Regelmäßige körperliche Aktivität kann unsere körperliche und mentale Gesundheit enorm verbessern. Ob es dir dabei nun darum geht, Gewicht zu verlieren oder ein bestimmtes Gewicht zu halten: Sport kann dabei helfen, den Menstruationszyklus zu regulieren, und sogar das Risiko von Diabetes und Herzkreislauferkrankungen im Zusammenhand mit PCOS senken“, erklärt er.
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5. Versuche, Stress und Unruhe zu vermeiden
Dr. Thompson zufolge ist eine gute geistige Verfassung auch beim PCOS enorm wichtig, weswegen Stress und Angstzustände unbedingt vermieden werden sollten. Wie bei vielen anderen chronischen Krankheiten kann beides die Symptome auch hier nämlich verschlimmern.
„Obwohl es dir emotional schon sehr guttun kann, auf eine gesunde Ernährung und genug Bewegung zu achten, können sich auch entspannende Aktivitäten in deiner Routine lohnen – wie Achtsamkeits- oder Atemübungen und Meditation. Weil sich Koffein negativ auf den Schlaf und die innere Ruhe auswirken kann, hilft es oft auch, den Konsum einzuschränken.“ Klappt all das nicht, um deinen eigenen Stresspegel zu senken, empfiehlt Dr. Thompson, mit deinen Ärzt:innen darüber zu sprechen und dir gegebenenfalls eine Therapie verschreiben zu lassen.
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