Vielleicht bist du eher der Typ Mensch, der ganz froh ist, im Feierabend keinen Gedanken mehr an den Job zu verschwenden und sämtliche Benachrichtigungen zu deaktivieren; vielleicht aber macht dich allein diese Vorstellung schon unruhig. Wenn Letzteres auf dich zutrifft, dürfte dir eine neue Studie ein Gefühl der Bestätigung geben – die hat nämlich herausgefunden, dass es der geistigen Gesundheit von Angestellten schaden kann, wenn ihnen verboten wird, außerhalb der Arbeitszeiten ihre E-Mails zu checken.
Die Studie der University of Sussex hat sich die Auswirkungen eines solchen Verbots näher angeschaut, das den Angestellten eigentlich dabei helfen sollte, mal richtig abzuschalten – bei vielen davon allerdings eher noch mehr Stress auslöste. Vor allem „besonders unruhige und neurotische“ Menschen sollen unter Anweisungen wie diesen leiden, ergab die Studie, weil sie das Bedürfnis verspürten, auf eine „wachsende Anhäufung von E-Mails“ zu reagieren, um sich nicht davon überwältigt zu fühlen.
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Wir müssen mit unseren E-Mails umgehen können, wie es unserer Persönlichkeit und unseren Prioritäten am besten entspricht, um das Gefühl zu haben, unser Arbeitspensum im Griff zu haben.
Dr. Emma Russell
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Die Management-Dozentin Dr. Emma Russell von der University of Sussex Business School sagte gegenüber der BBC: „Solche allgemeinen Verbote kämen bei Angestellten nicht gut an, die Performance-Ziele besonders ehrgeizig verfolgen und es bevorzugen, auch außerhalb der Arbeitszeiten zu arbeiten, um ihre Aufgaben zu erledigen. Wir müssen mit unseren E-Mails umgehen können, wie es unserer Persönlichkeit und unseren Prioritäten am besten entspricht, um das Gefühl zu haben, unser Arbeitspensum im Griff zu haben.“
Aber gibt es denn wirklich Arbeitgeber:innen, die es ihren Mitarbeiter:innen verbieten, auch im Feierabend zu arbeiten? Ja: Einige Firmen setzen schon seit Jahren auf solche Verbote; VW zum Beispiel knipste seinen Angestellten schon vor zehn Jahren abends und am Wochenende den E-Mail-Server aus. Ganz so absurd, wie es vielleicht klingt, ist das gar nicht – und sogar eigentlich im Arbeitszeitgesetz festgehalten, das eine „ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden“ voraussetzt.
Aber ist das wirklich für alle Angestellten die ideale Lösung? Nein, meinen die Forschenden. Diese „Einheitsgrößen“-Regelung, die es uns theoretisch verbieten würde, nach Feierabend nochmal schnell eine E-Mail abzuschicken, kann nämlich für manche von uns ernsthafte gesundheitliche Konsequenzen haben.
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Unsere E-Mails außerhalb der Arbeit zu checken, lässt die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben verschwimmen.
Emma Mamo, Head of Workplace Wellbeing
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Emma Mamo, Head of Workplace Wellbeing bei der britischen Wohltätigkeitsorganisation Mind, erzählt: „Unsere moderne Technik erlaubt es Angestellten, rund um die Uhr erreichbar zu sein. Unsere E-Mails außerhalb der Arbeit zu checken, lässt die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben verschwimmen. Arbeitgeber:innen und -nehmer:innen sollten sicherstellen, dass diese pausenlose E-Mail-Kultur nicht zur Norm wird.
„Dabei können die Auslöser von arbeitsbedingtem Stress und schlechter geistiger Verfassung von Mitarbeiter:in zu Mitarbeiter:in variieren. Da kann ein Wellness-Aktionsplan helfen, den du mit deinem:deiner Vorgesetzten aufsetzt. Dieser Plan soll das Gespräch über die geistige Gesundheit erleichtern und dir dabei helfen, jeden individuellen Auslöser deiner schlechten psychischen Verfassung zu identifizieren und anzugehen, gegebenenfalls mit der Hilfe anderer Kolleg:innen.“
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Eine klare Work-Life-Balance ist dafür entscheidend, ergänzt sie, weil Angestellte „glücklicher, gesünder und eher loyal und produktiv sind, wenn ihr Arbeitsplatz aktiv etwas für die mentale Gesundheit tut“. Einige Firmen haben zu diesem Zweck schon eigene E-Mail-Regeln eingeführt; Mind zum Beispiel rät seinen Angestellten davon ab, zwischen 20 und 8 Uhr E-Mails zu verschicken und zu lesen.
Aber hilft das wirklich? Die 24-jährige PR-Managerin Leena Chauhan findet: Auf jeden Fall. Ihre Firma, in der das wortwörtliche Abschalten nach der Arbeitszeit gutgeheißen wird, hat dadurch ihr „Leben verändert“, sagt sie. „Unsere Chefin lebt nach dem Motto ‚Zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen‘, weswegen sie findet, dass die Arbeit vorbei ist, sobald du Feierabend machst. Sie meint, E-Mails haben in deiner Privatzeit nichts zu suchen. So zu arbeiten, hat mein Leben total verändert. Ich war in meinen vorherigen Jobs so unzufrieden, weil da von mir erwartet wurde, dass ich Tag und Nacht meine E-Mails beantworte. Deswegen habe ich dauernd geweint, weil mir klar war, dass mich alle für eine schlechte Mitarbeiterin hielten. Ich konnte nicht essen oder schlafen, und mein Aussehen war mir egal. Ich war total depressiv.
„Wegen meines Jobs verlor ich einige Freund:innen, weil mir entweder die Zeit fehlte, mich mit ihnen zu treffen, oder während der Treffen dann dauernd meine E-Mails checkte. Auch bei meiner Familie hing ich dauernd am Handy. Das war so ungesund.“
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Ich konnte es erst gar nicht glauben, als mir gesagt wurde, dass ich meine E-Mails nicht auf mein Handy weiterleiten darf.
LEena Chauhan
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Weil sie in ihrem neuen Job aber keine Sklavin ihres E-Mail-Eingangs mehr ist, ist von ihr „eine enorme Last“ abgefallen, meint sie. „Anfangs war ich echt schockiert, dass die da so flexibel waren. Ich konnte es erst gar nicht glauben, als mir gesagt wurde, dass ich meine E-Mails nicht auf mein Handy weiterleiten darf. Das machte mich so glücklich. Ich konnte mich endlich wieder öfter verabreden und bekam meine Freund:innen und Familie häufiger zu Gesicht. Ich habe jetzt sogar endlich Zeit für Sport nach der Arbeit!“
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Das Ganze lohnte sich auch für ihre Firma: Leena meint, dass sie sich ihren flexiblen Arbeitgeber:innen gegenüber loyaler fühlt, weil die ihre Work-Life-Balance respektieren. „Wenn ich jetzt am Wochenende E-Mails beantworten will, mache ich das, weil ich gern mehr leisten und meine Vorgesetzten beeindrucken will. Ich fühle mich dabei nicht mehr schlecht oder gestresst“, erzählt sie. „Ich glaube zwar nicht, dass das durch ein Gesetz oder Verbot geregelt werden muss – aber wenn du der Typ Mensch bist, der am Wochenende 6.000 E-Mails bekommt, solltest du dir zumindest eine Stunde Zeit nehmen (dürfen), um die zu überfliegen. In meiner Branche geht es nicht um Leben und Tod. Mein Job muss also gar nicht so stressig sein, und ich muss nicht dauernd am Handy hängen.“
Auch die Social-Media- und Content-Managerin Joy Ejaria, 29, findet, dass Firmen es ihren Angestellten nicht verbieten sollten, im Feierabend die E-Mails zu checken – es aber eine Regelung für diejenigen geben sollte, die eben darauf keine Lust haben. „Den Leuten die Arbeit zu verbieten, die freiwillig im Feierabend etwas machen wollen, kommt mir schwachsinnig vor. Manche Angestellten treiben genau durch diese Extra-Arbeit ihre Karriere voran und möchten das so. Wenn es aber Menschen gibt, die im Feierabend nicht mehr ihre Nachrichten lesen wollen, sollte es diese Möglichkeit auch geben. Ich selbst bin ein Gewohnheitstier: Wenn ich gerade nichts zu tun habe oder das Piepen einer E-Mail höre, checke ich meinen Posteingang. Wenn ich das plötzlich nicht mehr könnte, würde mich das total unruhig machen, weil ich vielleicht das Gefühl hätte, etwas Wichtiges verpasst zu haben.
Ich checke meine E-Mails häufig, weil ich nach einem Wochenende oder Urlaub nicht zu einem riesigen Berg an Arbeit zurückkehren möchte. Ich bin in meinem Job sehr motiviert und finde, das ist eine schöne Möglichkeit, das meiner Firma zu beweisen. Einmal hatte ich einen Job, wo ich das Management erst darum bitten musste, zu Hause Zugriff auf meine Mails zu bekommen. Darunter litt meine geistige Gesundheit, weil ich da nur in Teilzeit arbeitete – an den Tagen, an denen ich nicht da war, zerbrach ich mir also dauernd den Kopf über meinen Posteingang.“
Die Verhaltensanalystin Hannah Elderfield sieht das ähnlich. Sie findet, dass Arbeitgeber:innen ihren Angestellten möglichst flexible Arbeitszeiten gewähren sollten – vor allem im Homeoffice. „Es ist nicht überraschend, dass das E-Mail-Verbot zu manchen Uhrzeiten problematisch werden könnte. Wenn wir schon flexible Arbeitszeiten ermöglichen, sollte dasselbe auch für E-Mails und andere Benachrichtigungen gelten. Und das gilt für beide Richtungen: Flexibilität heißt nämlich auch, nicht sofort auf alles eine Antwort zu erwarten.“