Ich habe eine echte Vorliebe für Serien und Filme, die (zumindest zum Teil) in Büros spielen – wie Mad Men, 9 To 5, The Office US und die erste Staffel von Gavin and Stacey. Ich liebe es zu sehen, wie das Büroleben aussah, bevor das Internet Einzug hielt und unser Leben für immer veränderte. Als Teil einer Generation, die sich zwar an iPods erinnert, aber noch lange nicht alt genug war, um sich damals welche zu kaufen, habe ich die Arbeitswelt vor dem Internet nie miterlebt und bin fasziniert von der unterschiedlichen Dynamik, die damals zu herrschen schien.
Wie war es wohl, am Schreibtisch rauchen zu können (nichts für ungut, wenn du rauchst, aber: der Geruch)? Wie stünde es um meine sozialen Ängste, wenn ich das Telefon benutzen müsste, um jemanden zu erreichen? Wie viel mehr könnte ich jeden Tag erledigen, ohne ständig durchs Internet abgelenkt zu werden?
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Es kommt wahrscheinlich so rüber, als würde ich meine Arbeitsumgebung für meine Konzentrationsschwierigkeiten verantwortlich machen und die Schuld an meiner mangelnden Disziplin unserer Gesellschaft zuschieben. Es gibt aber reichlich Beweise dafür, dass sich technologische Fortschritte negativ auf uns ausgewirkt haben. Eine kürzlich durchgeführte Studie ergab, dass das Internet unsere Gehirne physisch so verändert hat, dass unsere Aufmerksamkeitsspannen jetzt kürzer und unser Erinnerungsvermögen schlechter denn je zuvor sind. Wissenschaftler Dr. Joseph Firth erklärte gegenüber The Telegraph, dass ein hoher Internetkonsum die Funktion dieses Organs wesentlich beeinträchtigen könne: „Die ständige Inanspruchnahme unserer Aufmerksamkeit durch Benachrichtigungen im Internet etc. führt dazu, dass wir sie nonstop aufteilen müssen. Das wiederum verringert unsere Fähigkeit, uns auf eine einzige Aufgabe konzentrieren zu können.“ Die Studie fand auch heraus, dass Smartphones die Aufgabe für uns übernehmen, uns Fakten merken zu müssen. Wahrscheinlich ist es dir auch schon öfters passiert: Du greifst unbewusst nach deinem Handy und googelst etwas. Im Büro gab es immer schon Dinge, die für Ablenkung sorgten (z.B. Klatsch und Tratsch am Kaffeeautomaten). Im Zeitalter des Internets ist es aber viel einfacher, sich ablenken zu lassen, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein.
Das Internet ist dafür ausgelegt. Wir leben in einer sogenannten Aufmerksamkeitswirtschaft, die sich durch den Kampf um unsere Aufmerksamkeit auszeichnet. Anzeigen sind so konzipiert, dass sie uns ins Auge fallen und uns zu sofortigem Handeln ermutigen sollen, damit wir auch ja nicht das Interesse verlieren und womöglich am Ende wegklicken. Apps werden entwickelt, um uns dazu zu verleiten, ständig zu scrollen, Push-Benachrichtigungen zu checken und überprüfen zu wollen, ob es etwas Neues gibt. Unsere Aufmerksamkeit ist ein genauso heiß begehrtes Gut wie unser Geld. Man könnte sogar behaupten, dass Social-Media-Apps deshalb kostenlos sind, weil sie als Gegenleistung einen Teil unserer Aufmerksamkeit erhalten (bevor unsere Daten an Werbetreibende weiterverkauft werden, die Werbematerial entwerfen, das speziell an unsere jeweiligen Interessen und Vorlieben angepasst ist). Die Flut an optischen und akustischen Signalen, die auf ungelesene Nachrichten aufmerksam machen sollen, und unser unaufhörliches Scrollen sorgen dafür, dass wir unser Handy so gut wie gar nicht mehr aus der Hand legen – ein Fass ohne Boden.
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Einfach ausgedrückt: Unternehmen schätzen unsere Aufmerksamkeit sehr. Deshalb sollten wir sie auch wertschätzen und die Kontrolle über sie zurückgewinnen.
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Es scheint, als ob wir nun immer seltener selbst auswählen, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten wollen. Stattdessen scheint diese Entscheidung stellvertretend für uns getroffen zu werden. Wir geben den Verlockungen nach und scrollen und klicken wie ferngesteuert weiter.
Das ist es, was das Konzept des „Aufmerksamkeitsbudgets“ so einfach und radikal macht. Schon seit mindestens einem Jahrzehnt geistert es jetzt bereits durch das Internet. 2010 schrieb Chris Brogan, Autor und Unternehmensberater, darüber, dass wir Aufmerksamkeit als „Währungseinheit“ ansehen und dementsprechend damit umgehen sollten. Kürzlich beschrieb Molly Conway, wie sie damit begann, ihre Aufmerksamkeit als ein Bankkonto mit Kontingent zu sehen, nachdem sie ihre Beziehung zu den sozialen Medien neu bewertet hatte. Sie erklärt, dass Aufmerksamkeit mit Geld verglichen werden kann, das es zu budgetieren gilt. Das bedeutet also, dass du achtsamer, wählerischer und somit sparsamer damit umgehen solltest. Einfach ausgedrückt: Unternehmen schätzen unsere Aufmerksamkeit sehr. Deshalb sollten wir sie auch wertschätzen und die Kontrolle über sie zurückgewinnen. Wie Molly so perfekt zusammenfasste: „Wenn ich mich dafür entscheide, eine ungestörte Stunde mit Freund:innen oder einem Buch zu verbringen (und mein Telefon tatsächlich die ganze Zeit in meiner Tasche liegen zu lassen), wie viel hätten sie [die Unternehmen] ausgegeben, um mir diese Stunde abzukaufen?“
Wenn du deine Aufmerksamkeit als Währungseinheit ansiehst, erkennst du ihren wahren Wert. Du achtest mehr darauf, wofür es sich lohnt, sie auszugeben. Was „lohnenswert“ ist, variiert natürlich von Person zu Person. Das soll also aber keineswegs heißen, dass jede:r von uns einen Social-Media-Entzug machen und in eine Hütte im Wald ziehen sollte. Finde stattdessen heraus, was dir wieviel „wert“ ist, indem du deine Prioritäten deinem Job, deinen Interessen und deiner geistigen Gesundheit entsprechend festlegst und diesen dann die nötige Aufmerksamkeit zukommen lässt.
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In der Praxis bedeutet das, dir vor Augen zu führen, wie du deine Zeit verbringst und darauf Einfluss zu nehmen, anstatt andere die Kontrolle über dein Leben übernehmen zu lassen. Erstelle eine To-Do-Liste, mithilfe der du bestimmen musst, womit du deine Zeit idealerweise verbringen möchtest. Möglicherweise willst du Französisch lernen, die Beziehung zu deinen Eltern verbessern, endlich das Buch zu Ende lesen, das seit 2018 bloß ungelesen bei dir zu Hause herumliegt. Anstatt dir unerreichbare tägliche Ziele zu setzen, hast du so immer deine Liste griffbereit, die dich an deine Prioritäten erinnert und deine Motivation, dich an deinen Vorsatz zu halten, aufrechterhält. Solltest du merken, dass du mal wieder in einen YouTube-Video-Sog hineingezogen wirst, schlägt Chris Brogan vor, dich zu fragen: „Auf welche Weise kann ich am effektivsten zu den Dingen, die mir und den Menschen um mich herum am wichtigsten sind, beitragen?“ Wenn du nervös bist und dich selbst davon abhalten willst, an deinen Nägeln herumzukauen (schuldig), hat ein How-To-Video, das dir zeigt, wie du dir diese nervige Angewohnheit abgewöhnst, einen echten Mehrwert. Das ist aber zum Großteil eine Ausnahme, nicht die Regel.
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Ein Aufmerksamkeitsbudget hat nicht den Zweck, dich dazu zu bringen, auf Technologie zu verzichten oder zu versuchen, den größten wirtschaftlichen Wert aus deiner Zeit zu schlagen. Es ist dafür gedacht, dir dabei zu helfen, zufrieden damit zu sein, wie du deinen Tag verbringst.
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Die Punkte, die du im Rahmen deines Aufmerksamkeitsbudgets als Prioritäten festgelegt hast, stellen vielleicht nicht immer die einfachsten oder aufregendsten Möglichkeiten dar, deine Zeit zu verbringen. Außerdem erfordern sie mit ziemlicher Sicherheit mehr Aufwand als die Jagd nach Hot Takes auf Twitter. Weil sie dir aber am Herzen liegen, wird es sich aber immer so anfühlen, als seien sie deine Bemühungen wert. Nutze Timer und Apps oder verwende Tools wie die Pomodoro-Methode (bei der du nach jeweils 25 Minuten konzentrierter Arbeit eine fünfminütige Pause einlegst), um dir bestimmte Zeiträume für die Dinge zu gönnen, die dir Spaß machen. Außerhalb der Arbeitszeit kann das alles Mögliche sein – das Telefon in einem anderen Raum aufzubewahren, während du Yoga machst, oder ein Buch zur Seite zu legen, dass du vielleicht lesen solltest, aber auf das du möglicherweise gerade einfach keinen Bock hast.
Praktisch gesehen hat ein Aufmerksamkeitsbudget nicht den Zweck, dich dazu zu bringen, auf Technologie zu verzichten oder zu versuchen, den größten wirtschaftlichen Wert aus deiner Zeit zu schlagen. Es ist dafür gedacht, dir dabei zu helfen, zufrieden damit zu sein, wie du deinen Tag verbringst. Wenn du im Laufe des Tages bemerkst, dass du deine Aufmerksamkeit nicht deinen Prioritäten entsprechend verschenkst, und dann damit aufhörst, ist es, als würdest du einen Teil von ihr auf ein Sparkonto legen. Wenn du dann deine Aufmerksamkeit auf Dinge richtest, die dir wichtig sind, fühlt es sich an, als würdest du sie investieren.
Wir leben in einer Aufmerksamkeitswirtschaft. Daran können wir nichts ändern. Was wir aber sehr wohl machen können, ist, die Art und Weise, wie wir uns in ihr positionieren, neu zu gestalten. So können wir einen kleinen Beitrag dazu leisten, uns glücklicher zu fühlen. Wir können das meiste aus dem Internet herausholen, lesen, was wir wollen, unterhaltsame Videos anschauen, um uns zu entspannen und vielleicht sogar einen Arbeitstag auch mit weniger Ablenkung überstehen. Geh also achtsam und somit sparsam mit deiner Aufmerksamkeit um.