Rot wie die Liebe, Grün wie die Hoffnung, Blau wie die Treue: Warum denn nicht Violett, Rosa oder Gelb? Ein Ausflug in die Welt der Farben und ihrer Wirkung.
Farben sind allgegenwärtig. Ob Himmelblau oder Grasgrün: Wir wandeln durch ein Kaleidoskop an Farben, jeden Tag. Menschen verbinden Farben mit Stimmungen, Farben können Signale senden, es gibt bestimmte Farben zu bestimmten Anlässen und kulturelle Farbcodierungen, die sich uns seit der Kindheit im Kopf festgesetzt haben.
Prominentestes Beispiel: Rot. Wir verschenken rote Rosen zum Valentinstag und verschicken rote Herzemojis. Wenn nach einem vermeintlichen Flirt ein gelbes Herz auf dem Smartphonebildschirm aufpoppt, steckt man leider in der Friendzone fest. Rot steht ganz unangefochten für Liebe, Romantik und Leidenschaft. Doch gleichzeitig gilt Rot auch als aggressiv und rücksichtslos, wie ein Test im Netz zum Thema «Welcher Farbtyp sind Sie?» verrät. Nach dem Durchklicken 15 sonderlicher Fragen wird das Profil ausgespuckt: «Rote Menschen sind Anführertypen in hohen Positionen. Sie sind sachorientiert, willensstark, aber auch aggressiv, beherrschend, rücksichtslos.» Aha. Was denn jetzt? Hauptsächlich bin ich übrigens aber ein grüner Durchschnittstyp, wie 51% der anderen 52’925 Quizteilnehmer.
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«Das Internet ist voll von solchen Schubladisierungen, Halbwahrheiten und selbst ernannten Farbpsychologen», sagt Marcella Wenger, Abteilungsleiterin Gestaltung im Haus der Farbe am Institut für Gestaltung. «Damit lässt sich ein Geschäft machen. Farben können auf jeden Fall eine starke Wirkung auf Menschen haben. Aber diese zugeschriebenen Attribute muss man immer im Kontext der Gesellschaft betrachten. Wir sind alle geprägt von Klischees und von der Werbung, mit denen wir aufwachsen und die uns permanent umgibt.»
Wie eine Farbe wirkt, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab: Wo sehe ich die Farbe? Neben welchen anderen Farben nehme ich sie wahr? Habe ich gute oder schlechte Erinnerungen, die ich damit verknüpfe? Wie ist der Lichteinfall?, um nur einige zu nennen. Wie unterschiedlich Farbe wahrgenommen werden kann, macht das Beispiel von Marcella Wenger deutlich: «Für meinen knallorangefarbenen Wintermantel kriege ich im tristen Wintergrau Dutzende Komplimente. Sieht man mich aber durch den Bahnhof huschen, in dem Gleisarbeiter am Werk sind, wird man mich aufgrund desselben Oranges als Arbeiter wahrnehmen.» Und fügt noch ein weiteres Beispiel an, das sie zum Schmunzeln bringt: «Ein roter Ferrari symbolisiert für viele Potenz und Macht.» Dies kann historisch erklärt werden: Rote Farbstoffe waren nur hohen Würdenträgern zugänglich, weil die Farbe nicht aus Pflanzen gewonnen werden konnte, sondern nur schwierig aus der Purpurschnecke und Schildlausarten. Aber auch hier spielt die situative Wahrnehmung eine wichtige Rolle, denn: «Auch ein Ferrari erscheint rosa, wenn er sehr schnell vorbeifährt.»
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Heisst also: Ein roter Pulli beim Bewerbungsgespräch macht einen noch lange nicht zum neuen Teamleiter, wenn man rot eigentlich gar nicht mag und es aufgesetzt wirkt. «Einen Tipp, welche Farbe man in solchen Situationen tragen soll, erweist Ihnen keinen Dienst. Man sollte die Farbe tragen, in der man sich gut fühlt. Sicher ist aber: Bunte Farben bleiben länger im Gedächtnis haften», sagt Marcella Wenger.
Aber können Farben auch einen Effekt auf unser Inneres, unseren Gemütszustand haben? 2013 boomten pinke Gefängniszellen in der Schweiz, weil es anscheinend eine beruhigende Wirkung auf die Insassen habe. 2006 wurde im Gefängnis in Pfäffikon die erste Zelle pink gestrichen, mittlerweile gibt es in der Deutschschweiz etwa rund 20 dieser Beruhigungszellen. Marcella Wenger steht dem kritisch gegenüber: «In solch einer Umgebung kann man sich der Farbe nicht entziehen. Das ist schon fast ein Übergriff auf die Persönlichkeit.» Auch wenn sie selbst rosa als «glückliche» Farbe bezeichnet, plädiert sie für das Recht auf die eigene Wahrnehmung. Denn dass Farben einen Effekt auf das Innenleben haben können, führt sie mit einem Test vor. «Halten Sie sich ein gelbes Sichtmäppchen vor die Augen und blicken Sie für eine Weile durch. Es wird ganz bestimmt einen Effekt auf Sie haben – aber nicht immer den gleichen.»
Warum steht aber genau Rot universal auch insbesondere für die Liebe? Auch darauf hat Marcella Wenger eine Antwort: «Rot ist ein Spezialfall. Es ist die einzige Farbe, die alle Menschen auf der Welt miteinander verbindet, weil wir sie in uns tragen: im Blut. Dieses pulsierende Rot, das verbinden wir mit Leben, mit Leidenschaft. Da war der Sprung zur Liebe und Romantik wohl nicht mehr weit.»
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