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Wieso Flexibilität bei der Arbeit noch nicht für Mütter gilt

photographed by Erin Yamagata.
Als die 39 Jahre alte Sophia Petrov* mit ihrem zweiten Kind schwanger war, bemerkte sie eines Tages, dass sie zwar andauernd Meetings mit neuen und existierenden Kunden vorbereitete, allerdings nicht mehr zu den Terminen eingeladen wurde. Ihre Chefin nahm sie irgendwann zur Seite und sagte: „Wir wollen nicht, dass unsere Kunden deinen Bauch sehen und Angst bekommen. Das verstehst du doch sicherlich.“ Diese Art von freundlich verpackten Anfeindungen ist besonders in traditionellen, konzerngeprägten Arbeitsumfeldern gang und gäbe für Mütter. Im englischen Sprachraum hat das Phänomen einen Namen: Motherhood Penalty und Fatherhood Bonus beschreiben zwei Seiten der gleichen Medaille. Es geht hierbei um die systematische Benachteiligung von Müttern in der Arbeitswelt aufgrund der Annahme, sie seien weniger engagiert und belastbar als ihre kinderlosen Kolleginnen. Gleichzeitig werden Männer mit Kindern gerne gesehen, weil Familienväter als geerdet und stabil gelten. Diese „Bestrafung“ ist für viele Frauen nicht nur ärgerlich, sie macht sie außerdem handlungsunfähig.
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Diverse Studien und Versuche der jüngeren Vergangenheit haben gezeigt, dass die Vier-Tage-Woche die Produktivität steigert und dass flexible Arbeitszeiten zurecht als das Modell der Zukunft angesehen werden. Diese Untersuchungsergebnisse scheinen sich jedoch nicht auf junge oder zukünftige Mütter zu übertragen. Mütter scheinen ihr Arbeitsleben wie naturgegeben ihren neuen Familienverhältnissen anpassen zu müssen. Dabei sorgen diese Modelle vielfach dafür, dass Arbeitgeber die neuen Arrangements als fehlendes Interesse am Job interpretieren und die Frauen beruflich aufs Abstellgleis gelangen.
Sophia Petrov arbeitet in einer PR-Agentur und erzählt: „Als mein erstes Kind anderthalb Jahre alt war, wurde ich ein zweites Mal schwanger. Ich fragte deswegen auf der Arbeit, ob ich eventuell jeden Freitag von zu Hause aus arbeiten könne. Oder zumindest ab und an mal.“ Ein Großteil ihrer Arbeit findet am Computer statt und viele Meetings werden über das Telefon gehalten. Deswegen ging Petrov davon aus, dass ein gelegentlicher Homeoffice-Tag eigentlich kein Problem darstellen sollte. Insbesondere, weil auch ihre Vorgesetzten öfter mal von zu Hause arbeiteten und sie selbst jeden Tag zweieinhalb Stunden pendelt. „Meine Chefin wollte mir diese Tage jedoch nicht zugestehen. Sie sagte mir, meine „Lebensumstände“ interessieren sie nicht. Und wenn sie mir erlauben würde, ins Homeoffice zu gehen, würde sie allen anderen diese Möglichkeit auch geben müssen. Selbst den Kollegen auf Junior-Level in ihren Mittzwanzigern, die Single und kinderlos sind und nur einige Straßen vom Büro entfernt leben.“
Als sie mit ihrem ersten Kind schwanger war, arbeitete sie in einem anderen Job. Die Atmosphäre in diesem Büro war generell feindselig und die Kollegen kündigten reihenweise. „Eine meiner Kolleginnen hat regelmäßig in der Küche geweint. Eine andere erlitt eine Gehirnerschütterung und kam trotzdem tags drauf wieder ins Büro, obwohl sie noch stark schwankte. Eine Mitarbeiterin aus der Verwaltung kam gerne mal an meinem Tisch vorbei und erzählte mir ausführlich von totgeborenen Babys und Fehlgeburten. Dieses unglaublich belastende Arbeitsumfeld sorgte schlussendlich dafür, dass ich Geburtsvorbereitungsuntersuchungen verpasste, weil ich im Job so unter Druck stand, dass ich mich nicht traute, rechtzeitig Feierabend zu machen. Ich hatte wahnsinnige Angst davor, „Ärger“ zu machen.“
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Meine Chefin sagte mir, meine „Lebensumstände“ interessieren sie nicht.

Natürlich spiegeln Petrovs Erfahrungen persönliche Situationen wider, ein Einzelfall ist sie deswegen trotzdem nicht. Stattdessen erlebt ein Großteil der (werdenden) Mütter am Arbeitsplatz solche offenen Diskriminierungen. Viele Frauen mit Kindern zeigen ihren Arbeitgeber an, wenn sie mal wieder bei einer Beförderungsrunde leer ausgegangen sind, versprochene Entschädigungszahlungen ausbleiben oder sie dafür bestraft werden, ein Meeting verschoben zu haben, weil eines ihrer Kinder krank geworden ist. Ohne Frage sind solche Angriffe schädlich. Die Doppelstandards, die bei der Vergabe von flexiblen Arbeitszeiten herrscht, sind hier jedoch besonders besorgniserregend. Für arbeitende Mütter ist nämlich Terminplanung – im Beruf sowie im Privatleben – der entscheidende Faktor für einen gelungenen Alltag.
Allzu häufig finden sich berufstätige Mütter in einem vermeintlichen Zwiespalt wieder: Entweder müssen sie die liebende, hingebungsvolle Mutter geben oder sie gelten als kaltherzige Karrieristin. Suzy Lopez* ist 39 Jahre alt und arbeitet als Grafikdesignerin und Kommunikationskoordinatorin. Sie erzählt: „In einem Mitarbeitergespräch mit meinem Vorgesetzten, in dem es um meine Beförderung ging, fragte er mich, ob meine Familie, also mein Mann und meine Kinder, bereit dafür seien, dass ich Managerin werde. Ich habe mich durch diese Frage extrem beleidigt gefühlt, da sie implizierte, dass ich als Managerin Überstunden machen und mich dann nicht mehr ausreichend um meine Kinder kümmern könnte.“ Lopez erzählt weiter, dass sie fortwährend nach flexiblen Arbeitszeiten gefragt hat, insbesondere wenn ihre Kinder krank waren oder besonders früh zur Schule mussten. Ihre Anfragen wurden jedoch regelmäßig abgewehrt. Genau wie Sophia Petrov empfindet auch Suzy Lopez das als unfair und ungerechtfertigt. „Ein Großteil meiner Arbeit findet online statt. Ich kann mich von jedem Computer der Welt einloggen und Broschüren oder Poster designen. Ich kann mit jedem im Büro über E-Mail kommunizieren, meine Arbeit ist von keinem Kollegen im Office abhängig.“ Zwar ist sie wegen des Hin- und Hers, das mit dem Thema einhergeht, frustriert, trotzdem hat sie nicht das Gefühl, dass ihre Nachfrage nach einem flexibleren Arbeitszeitmodell Einfluss auf das Verhältnis zu ihrem Arbeitgeber hatte.
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Der Widerstand vieler Arbeitgeber, ihren Angestellten mit Kindern entgegenzukommen, ist zu gleichen Teilen frustrierend wie schädlich. Tatsächlich wurde kürzlich eine Studie der University of British Columbia veröffentlicht, die belegt, dass Mütter sogar mehr Geld als ihre kinderlosen Kollegen verdienen können. Ausschlaggebend dafür ist jedoch ein gewisses Maß an Flexibilität, dass ihnen eingeräumt werden muss. Nichtsdestotrotz ist der Kampf um Flexibilität am Arbeitsplatz bei gleichzeitiger Verfolgung ihrer Karriereziele einer, den Frauen mit Kindern oftmals nur verlieren können.
Sowohl Lopez als auch Petrov halten einen Wandel innerhalb der Arbeitskultur für unausweichlich. Laut Lopez würde es sie und andere berufstätige Müttern unterstützen, in ihrem Feld erfolgreich zu arbeiten, wenn man die Modelle ihren Familienumständen anpassen würde. Petrov fügt hinzu: „Als Mutter mit zwei kleinen Kindern bin ich produktiver und besser im Multitasken als als Single. Ich wünsche mir, dass Mütter nicht dafür bestraft werden, Kinder zu bekommen. Die Firmen und Teams, mit denen sie arbeiten, provotieren nämlich von ihrem Beitrag.“
Lori Mihalich-Levin hat das Buch Back to Work After Baby geschrieben, das bislang nur auf Englisch erhältlich ist. Sie ist außerdem die Gründerin von Mindful Return, eine Firma die sich auf den Wiedereinstieg in den Beruf nach der Elternzeit spezialisiert hat. Einen Großteil ihrer Karriere hat Mihalich-Levin damit verbracht, Mütter dabei zu unterstützen, ihre Karriere nach dem Kinderkriegen wieder ins Auge zu fassen. Für sie ist das Hinterhältige an der systematischen Diskriminierung von Müttern, dass sie sich in der Psyche festsetzt. „Allein schon zu wissen, dass diese Diskriminierung besteht, die hochgezogenen Augenbrauen der Kollegen wahrzunehmen und sich Fragen über ihr Engagement im Job anhören zu müssen, jetzt wo sie Kinder haben, erschüttert das Selbstvertrauen vieler schwangerer und junger Mütter im Kern. Selbst wenn sich ihre Fähigkeiten nicht verringert und die Hingabe ihrem Beruf gegenüber sich durch das Mutterwerden nicht verändert haben.“
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Was die Flexibilität betrifft, teilt Mihalich-Levin die Ansicht der anderen berufstätigen Mütter. „Insbesondere in unseren Zeiten, in denen die Technologie weit genug fortgeschritten ist, dass man viele Dinge von überall aus erledigen kann, besteht das größte Hindernis darin, dass viele Firmen sich nach wie vor einer Arbeitskultur verpflichtet fühlen, die von hundertprozentiger Anwesenheit und Face-to-Face-Meetings geprägt ist.“ Dazu kommt laut Mihalich-Levin, dass diese veraltete Arbeitskultur, in der starre Arbeitszeitmodelle herrschen, Mütter schlichtweg bestraft. „Die Stigmata rund um den Mutterschutzurlaub werden sich erst dann ändern, wenn sowohl junge Mütter wie Väter Elternzeit nehmen und wir selbstverständlich über flexible Arbeitsmodelle für berufstätige Eltern sprechen.“ Allein das Wort „Mutterschaftsurlaub“ impliziert jedoch im deutschen Sprachgebrauch missverständlicherweise schon, es handele sich dabei um das bezahlte Freizeitvergnügen junger Mütter.
Laut Mihalich-Levin ist in den Augen der meisten Arbeitgeber die Nachfrage berufstätiger Mütter nach flexiblen Modellen klar mit ihrer Rolle als Hauptbetreuung der Kinder verknüpft. Und so stehen sich hier zwei Prioritäten gegenüber: Beruflicher Erfolg im Kontrast zu einer Mutter, die sich um ihre Kinder kümmert. Was Arbeitgeber tun können, um Müttern Erfolg im Job zu ermöglichen ist, veraltete, geschlechtsspezifische Arbeitsplatzkonzepte abzuschaffen und nicht per se anzunehmen, dass Frauen nach der Geburt bei ihren Kindern bleiben, während Männer nach einem Monat Elternzeit in den Beruf zurückkehren, als sei nichts gewesen. „Würden Väter sich stärker in die Kinderbetreuung engagieren, würde das die Chancen auf beruflichen Erfolg arbeitender Mütter dramatisch erhöhen.“, so Mihalich-Levin.
Schlussendlich liegt also noch jede Menge Arbeit vor uns. Mihalich-Levin jedoch glaubt, dass es zukünftig verschiedene Möglichkeiten gibt, sich als Mutter am Arbeitsplatz zurechtzufinden. „Eine Konsequenz aus der Erkenntnis, dass flexibles Arbeiten unsere Produktivität erhöht, ist, dass unsere Elternschaft uns zu besseren Arbeitern macht. Als Mutter erwerben wir so viele Fähigkeiten, die sich direkt auf unseren Job umlegen lassen. Das sollten wir unseren Vorgesetzten so deutlich wie möglich vermitteln. Nicht nur, um unser Selbstbewusstsein wieder aufzumöbeln, sondern auch um die Wahrnehmung der Leute, mit denen wir arbeiten, zu verändern. Nur weil wir Mütter sind, arbeiten wir noch lange nicht weniger engagiert in unserem Job.“
*Name von der Redaktion geändert

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