Instagram-Posts von Männern, die „kurvige Frauenkörper“ feiern, sind in Zeiten von Body Positivity keine Seltenheit mehr. Der Kommentarbereich verrät aber, dass sich die Geister scheiden, sobald ein Typ seine Anziehung zu einer fülligeren Person öffentlich verkündet: Einerseits wird diese Geste mit einer Menge Enthusiasmus und Lob willkommengeheißen – andererseits gibt es immer wieder Stimmen, die Männern vorwerfen, Plus-Size-Frauen zu fetischisieren und somit das Ziel von Feminismus und Körperpositivität zu verfehlen.
Somit werfen solche Beiträge eine interessante Frage auf: Ist es in Ordnung, sich von einem bestimmten Körpertyp angezogen zu fühlen? Die Antwort darauf ist kompliziert. Zuerst ist es notwendig, herauszufinden, was der Ursprung von Verlangen und Anziehung ist, erklärt Dr. Sheila Addison, eine sexpositive und größeninklusive Paartherapeutin. Da sich Verlangen auf einer unbewussten Ebene abspielt, kann es in gewisser Weise unkontrollierbar sein, sagt Dr. Addison. Die Art und Weise, wie wir unser eigenes Verlangen wahrnehmen, wird sowohl von unseren eigenen Werten und Meinungen geprägt als auch von dem, was in unserer Gesellschaft als normal und wünschenswert angesehen wird, erklärt sie.
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Wenn eine Person sagt, dass sie einen bestimmten „Typ“ hat, ist es schwieriger, das als bloße Nebenerscheinung eines aufgezwungenen Verlangens abzutun. „Einerseits sind Gefühle nun mal Gefühle; es gibt keine unlogischen Emotionen“, sagt Dr. Addison. Manche Menschen erklären sich ihre Anziehung aber auf unlogische Weise, was zu einer Fetischisierung führen kann, sagt sie. Es gibt Personen, die beim Daten zum Beispiel nur große Menschen als potenzielle Partner:innen in Betracht ziehen, weil sie glauben, sich so einer gesellschaftlichen Norm entsprechend zu verhalten. In Wirklichkeit fühlen sie sich vielleicht aber einfach zu größeren Personen besonders hingezogen. Da wir Menschen Muster sehr gerne mögen, versuchen wir, diese komplexen Umstände zu vereinfachen, indem wir behaupten, wir hätten einen konkreten Typ, sagt Dr. Addison. Wenn wir unser vorheriges Beispiel hernehmen, bedeutet es also, dass die Personen in Frage beim Ausgehen zuerst die Größe ihres Gegenübers checken, bevor sie sich auf ein erstes Gespräch einlassen. Damit lassen sie bei der Partnersuche alle anderen möglichen Kandidat:innen außen vor, denn schließlich muss ja ihre „Unbedingt groß“-Anforderung erfüllt werden – ganz schön problematisch!
Diese Denkweise wird dann zu einem Problem, wenn sie eine Person davon abhält, über den Tellerrand hinauszuschauen und jemanden außerhalb ihres „Beuteschemas“ kennenlernen zu wollen, sagt Dr. Addison. Sie fügt hinzu: „Wenn deine Partnerwahl immer gleich ausfällt, entwickelst du mit der Zeit eine Vorliebe für einen bestimmten Körpertyp.“ Sei dir aber dessen bewusst, dass es einen großen Unterschied gibt zwischen einem „Typ“, den du anziehend findest, und dem Fetischisieren von Menschen, die einer bestimmten Charakterisierung entsprechen.
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In der Psychologie wird ganz klar zwischen einem Typ und einem Fetisch unterschieden, sagt Dr. Addison. „Psychiater:innen haben entschieden, dass die Trennlinie da anzusetzen ist, wo Fetische zum Schwerpunkt des sexuellen Akts oder des sexuellen Verlangens werden“, sagt sie. Wenn eine Person also einen körperbezogenen Fetisch hat, interessiert sie sich nicht wirklich für ihr Gegenüber, sondern nur für dessen Körper. „Im Mittelpunkt der Begierde steht der Fetisch und nicht die Person selbst“, sagt sie.
Ein Fetisch ist aber nicht automatisch gleichbedeutend mit Vergegenständlichung. Außerdem gibt es Möglichkeiten, wie sich Partner:innen auf sichere Weise und mit gegenseitigem Einverständnis an einem Fetisch erfreuen können. „Wenn jemand einen Fetisch für einen bestimmten Körpertyp hat, kann die Sache schnell schwierig werden“, fügt Dr. Addison hinzu. Der Grund dafür: Mit einem Fetisch stellt man etwas Bestimmtes über die eigentliche Person. In manchen Posts, die man in den sozialen Medien herumkursieren sieht, wird oft absatzweise von Körperteilen geschwärmt, bis dann endlich auch der Name der angebeteten Person erwähnt wird. Das kann einen negativen Beigeschmack haben und dazu führen, dass sich Sex oder die ganze Beziehung ein wenig wie eine Transaktion anfühlt, sagt sie.
„Für mich gibt es nichts Heißeres als diese Frau hier: dicke Schenkel, großer Hintern, niedliche kleine Speckröllchen an der Taille, usw.“, schreibt ein Instagram-User. Was ist aber mit – hmm, lass mich kurz nachdenken – ihrer Persönlichkeit oder allem anderen außer ihrer Figur? Für viele von uns sind diese Kommentare problematisch, weil sie fetischisieren, indem die menschliche Seite einer Person komplett ignoriert und stattdessen bloß auf ihre körperlichen Aspekte hingewiesen wird, die jemand scheinbar anregend findet. Fetischisierung schafft aber ein Machtgefälle in einer Beziehung.
„Gesellschaftlich ist die Einstellung weit verbreitet, dass es für dicke Menschen, besonders Frauen, unmöglich sei, Partner:innen zu finden, die sie als vollständige Menschen wahrnehmen und sie so lieben, wie sie sind“, sagt Dr. Addison. Obwohl viele Menschen diese Denkweise komplett ablehnen, ist sie für Betroffene immer noch unglaublich schmerzhaft, denn „unter dem Deckmantel von Aufmerksamkeit, Zuneigung oder sogar einer Beziehung kann sich oft ein Fetisch verstecken“, sagt sie. Jemanden an deiner Seite zu haben, der deinen Körper sexuell anregend findet, kann sich anfangs wirklich gut anfühlen. Wenn du aber hoffst, dass sich daraus eine gesunde, ausgeglichene Beziehung entwickelt, könnte es sein, dass du dich auf eine Enttäuschung gefasst machen musst.
Was ist also die Lösung dieses Problems? Wir vergessen häufig, dass wir unser Anziehungsspektrum erweitern können, sagt Dr. Addison. Gesellschaftlich angelernte Präferenzen sind ein wichtiges Thema, das aber hier den Kern der Sache auch ein wenig verfehlt. Klar ist es gut, Schönheitsideale oder allgemein akzeptierte Kriterien bei der Partnerwahl in Frage zu stellen. Hinterfrag auch deine eigenen Wünsche und Vorlieben, vor allem dann, wenn du das Gefühl hast, sie würden dich in irgendeiner Weise zurückhalten. „Die Leute, denen Gespräche über dieses Thema am unangenehmsten sind, sind oft diejenigen, denen es schwerfällt, zu erkennen, wie erlernte Werte und Vorstellungen von Ästhetik wirklich dazu beitragen, wer oder was wir anziehend finden“, sagt Dr. Addison. Wenn du dich also beim nächsten Mal dabei ertappst, dass du mal wieder nach der größten Person im Raum Ausschau hältst, solltest du mal darüber nachdenken, warum das der Fall ist und vielleicht auch einer Person, die nicht in dein übliches Schema passt, eine Chance geben.
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