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Ich habe meine Verhütung umgestellt, um meine Beziehung zu retten

Foto: Savanna Ruedy.
„Ich erkenne mich inzwischen selbst nicht mehr wieder. Andauernd werde ich rasend wütend wegen irgendwelcher Kleinigkeiten. Ich bin total reizbar und egozentrisch“, erzählt die 29-jährige Fitnesstrainerin Jess gegenüber Refinery29. „Im April letzten Jahres habe ich mir ein Nexplanon-Implantat einsetzen lassen [ein Hormonimplantat zur Verhütung, das in den Oberarm eingesetzt wird] und seitdem habe ich mich komplett verändert.“
Während der nächsten sechs Monate nach der Implantation bemerkte Jess psychologische Symptome wie Stimmungsschwankungen, Depressionen und ein geringes Selbstwertgefühl. All das wirkte sich enorm auf ihre Beziehung aus. „Vor dem Implantat haben mein Mann und ich uns kaum gestritten. Seit dem Einsetzen werde ich aber wegen der kleinsten Sachen wütend auf ihn. Das ist immer eine totale Überreaktion. Ich schreie ihn zum Beispiel dafür an, wenn er den Abwasch noch nicht gemacht hat. Ich bin einfach dauernd müde, wütend und fühle mich aufgebläht“, erklärt sie.
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„Es fühlt sich an, als würde ich den Verstand verlieren, und ich weiß, dass ich gar nicht so wütend auf ihn werden sollte, aber ich kann es einfach nicht kontrollieren.“ Jess will sich das Implantat jetzt wieder entfernen lassen und hofft, dadurch ihre Beziehung zu sich selbst und zu ihrem Mann zu verbessern. „Um ganz ehrlich zu sein: Seit dem Implantat bin ich ein absoluter Albtraum. Mein Mann möchte, dass ich es mir entfernen lasse, weil ich mich damit so schlecht fühle, und ich will es rausnehmen lassen, weil ich ihn damit auch so belaste.“
Mit ihrer Erfahrung ist Jess nicht allein. Viele Menschen geben an, schon einmal ihre Verhütungsmethode gewechselt zu haben, um ihre Beziehung zu verbessern.
Dr. Becky Mawson ist die klinische Leiterin der Verhütungs-Bewertungsplattform The Lowdown und erzählt Refinery29, dass langzeitige Verhütungsoptionen zwar immer beliebter werden, doch etwa jede vierte Person ihre LARC (das steht für „long-acting reversible contraceptive method“, also „langwirksame umkehrbare Verhütungsmethode“) aufgrund von Nebenwirkungen frühzeitig wieder entfernen lässt. Dazu zählen auch Personen, deren Beziehungen unter dem Verhütungsmittel leiden.
„Einige Nebenwirkungen der hormonellen Verhütung sind direkt erkennbar – wie Schmierblutungen oder anderweitig unregelmäßige Blutungen. Andere Nebenwirkungen zeigen sich aber erst mit der Zeit, und das sind diejenigen, die oft für Probleme in Beziehungen sorgen“, erklärt Mawson. Einige dieser häufigen Beschwerden sind beispielsweise der Verlust der Libido, Stimmungsschwankungen und vaginale Trockenheit.
„Die in solchen Implantaten, Injektionen oder Hormonspiralen enthaltenen synthetischen Progestine können solche Nebenwirkungen hervorrufen und deine Beziehung damit stark beeinträchtigen. Wenn gegen diese Nebenwirkungen nichts unternommen wird, können sich daraus Probleme mit der Intimität und Kommunikation entwickeln, die schließlich sogar zum Ende der Beziehung führen können. Mir haben schon viele Menschen von ihren Erfahrungen mit diesen Nebenwirkungen erzählt.“
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Eine kürzlich durchgeführte Umfrage mit 500 weiblichen Teilnehmerinnen, veröffentlicht in einer Pressemitteilung von Stowe Family Law, spiegelt Mawsons Beobachtungen wieder. Die Umfrage ergab, dass 73 Prozent der Befragten unter dem Einfluss von hormoneller Verhütung schon Nebenwirkungen wie Stimmungsschwankungen, Depressionen, Angstzustände und den Verlust der Libido festgestellt hatten. Von diesen Befragten gaben 89 Prozent an, ihre Beziehung habe unter diesen Nebenwirkungen gelitten, und 64 Prozent berichteten, die Stimmungsschwankungen hätten für Streitigkeiten und Kommunikationsschwierigkeiten mit ihren Partner:innen gesorgt. Wie auch Jess entschieden sich ganze 65 Prozent der Befragten, ihre (hormonelle) Verhütung abzusetzen, um damit etwas gegen diese Beziehungsprobleme zu unternehmen.
Die 26-jährige Lehrerin Charlie erzählt, sie wisse „nur allzu gut“, wie es sich anfühlt, wenn die Hormone plötzlich die Beziehung kapern. Charlie ist mit ihrem Freund seit sieben Jahren zusammen und habe sich mit ihm nur selten gestritten, bevor sie sich die Hormonspirale einsetzen ließ. „Danach stritt ich mich mit ihm aber quasi über alles.“

Körperlich bemerkte ich keine Veränderung, aber mein Gehirn war ein einziges Chaos. Ich wachte morgens schon wütend und aufgeregt auf, ohne dass es dafür einen Grund gab.

Charlie
Wie Jess litt auch Charlie unter Stimmungsschwankungen und einem schwachen Selbstwertgefühl, was sich negativ auf ihre Beziehung auswirkte. „Körperlich bemerkte ich keine Veränderung, aber mein Gehirn war ein einziges Chaos. Ich wachte morgens schon wütend und aufgeregt auf, ohne dass es dafür einen Grund gab“, erklärt sie. „Du kannst dir vorstellen, wie sehr eine Beziehung darunter leiden kann.“
Seit sie sich die Spirale entfernen ließ und wieder mit Kondomen verhütet, ist die Beziehung zwischen Charlie und ihrem Freund wieder ganz die alte, erzählt sie. „Ich habe mir die Spirale rausnehmen lassen, um mich und meine Beziehung zu retten. Es tat niemandem von uns gut, wie mich die Spirale veränderte“, sagt sie.
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Hormonelle Verhütung ist inzwischen berüchtigt für ihre psychologischen Auswirkungen. Symptome wie Depressionen und Stimmungsschwankungen sind unter jenen weit verbreitet, die langwirksame Verhütungsmittel wie die Pille, Hormonimplantate, -injektionen oder -spiralen nutzen. Obwohl diese Nebenwirkungen bekannt sind, werden sie oft als „kleiner Preis“ dessen dargestellt, sich die Sorgen um eine ungewollte Schwangerschaft zu ersparen. Diese Einstellung berücksichtigt allerdings nicht, wie stark diese Symptome den Alltag beeinträchtigen können.
Die Sexualtherapeutin Tamara Hoyton erklärt, sie habe viele Patient:innen, die unter den Nebenwirkungen der Verhütung leiden – und unter deren Auswirkungen auf ihre romantischen Beziehungen.
„Wenn du eine Depression oder Stimmungsschwankungen erlebst, beeinflusst das auch deine Beziehung zu dir selbst“, sagt sie. „In einer Beziehung hörst du dich dann vielleicht selbst Dinge sagen, auf die du im Nachhinein nicht gerade stolz bist. Das kann sich vor allem auf dein Selbstwertgefühl auswirken, aber auch auf deine Beziehung im Ganzen, weil es das Vertrauen zwischen euch schwächt.“ Diese unberechenbaren Konflikte sorgen dafür, dass sich beide Partner:innen unsicher fühlen.
Wenn diese Gefühle innerhalb einer Beziehung irgendwann die Oberhand gewinnen, ist es Hoyton zufolge kaum überraschend, dass sich viele Menschen dazu entscheiden, die Quelle der Probleme zu entfernen – in diesem Fall die hormonelle Verhütung.
Die Verhütungsmittel und ihre Nebenwirkungen tragen hierbei aber nicht die alleinige Schuld. Viele der Befragten in der Umfrage von Stowe Family Law gaben an, dass es ihren männlichen Partnern oft an Verständnis und Wissen dazu fehlte, wie sich die hormonelle Verhütung auf ihre Partnerinnen auswirkte. In der Studie berichtete ein Viertel aller Befragten, ihre Partner verstünden weder die körperlichen noch die emotionalen Beschwerden, die die Hormone in ihnen auslösten.
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Hoyton erklärt, dass all das – sowie die fehlende „Pille für den Mann“ – dafür sorge, dass viele Frauen in ihrer Beziehung nicht nur allein dafür verantwortlich sind, sich für eine Verhütungsmethode zu entscheiden und damit klarzukommen, sondern auch mit den Nebenwirkungen allein dastehen.
„Ein:e Langzeitpartner:in sollte unbedingt am Gespräch über die Verhütungsoptionen beteiligt sein, damit Frauen nicht automatisch die komplette Verantwortung dafür übernehmen“, meint Hoyton. „Verhütung betrifft alle Partner:innen in der Beziehung, und das kann eine ganz schöne Belastung sein. Es ist schön, wenn der:die Partner:in dabei hilft und einen Teil dieser Last mitträgt.“

Wenn dich ein:e Partner:in zwingt oder unter Druck setzt, dein Verhütungsmittel umzustellen, ist das eine Form von Missbrauch. In manchen Fällen will diese Person nämlich nicht nur das Beste für dich, sondern versucht womöglich, dich zu kontrollieren.

TAMARA HOYTON, Sextherapeutin
Dennoch sind alle langfristigen hormonellen Verhütungsmittel eben für Frauen entwickelt. Somit ist es letztlich ihre Entscheidung, was sie ihren Körpern zuführen möchten – vor allem, weil einige Verhütungsmittel sehr invasiv sind. Zumindest sollte es ihre Entscheidung sein. 
Die 25-jährige Kinderpflegerin Sophie* erzählt, sie habe die Pille abgesetzt, nachdem ihr Freund sie dazu gedrängt hatte. „Ich hatte [innerhalb der ersten drei Einnahmemonate] stark zugenommen, und er gab zu, dass er sich dazu weniger zu mir hingezogen fühlte. Das Abnehmen fiel mir allerdings schwer, und ich fand heraus, dass die Pille dafür verantwortlich sein könnte. Das erklärte ich ihm, in der Hoffnung, er würde mein Gewicht deswegen einfach hinnehmen, aber er wollte, dass ich die Pille komplett absetzte“, sagt sie.
Um sich über andere Verhütungsoptionen zu informieren, bat sie um einen Termin bei ihrer Gynäkologin. Auf den musste sie aber eine Weile warten, und während der Wartezeit bemerkte sie auch andere Nebenwirkungen der Pille, die durch die Einstellung ihres Freundes zu ihren unkontrollierbaren körperlichen Veränderungen nur noch verschlimmert wurden.
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„Meine Stimmung war ich schlecht, und wochenlang kam mir Sex nicht mal in den Sinn. Ich und meine Freundinnen (die auch die Pille nehmen) machen immer wieder Witze darüber, dass die Pille nur deshalb so effektiv verhütet, weil sie dir die Lust auf Sex einfach wegnimmt“, erklärt sie. „Vielleicht wollte ich keinen Sex haben, weil mein Freund so gemein zu mir war – vielleicht lag es aber auch wirklich an der Pille. So oder so: Ich fühlte mich dick und hatte überhaupt keine Lust auf Sex, und er fing an, ganz offen darüber zu reden, dass er nicht wusste, wieso er überhaupt mit mir zusammen war.“
Diese Veränderung der Gefühle ihres Partners für sie sorgte dafür, dass Sophie „täglich am Telefon hing“, um ihren Termin bei ihrer Ärztin nach vorne zu verschieben. Inzwischen hat sie die Pille abgesetzt und sich vor ein paar Wochen ein Implantat einsetzen lassen – in der Hoffnung, ihre Beziehung könne davon profitieren.
Hoyton betont, wie wichtig es ist, Verhütungsoptionen in einer Beziehung zu besprechen. Gleichzeitig warnt sie aber auch davor, dass manche Beschwerden und Forderungen rund um die Verhütung auch ein Anzeichen einer Zwangskontrolle sein können.
„Wenn dich ein:e Partner:in zwingt oder unter Druck setzt, dein Verhütungsmittel umzustellen, ist das eine Form von Missbrauch. In manchen Fällen will diese Person nämlich nicht nur das Beste für dich, sondern versucht womöglich, dich zu kontrollieren“, erklärt sie.
Weil wir von Natur aus soziale Wesen sind, sind unsere Beziehungen entscheidend für unsere Lebensqualität. Es leuchtet absolut ein, ein Verhütungsmittel mit Nebenwirkungen abzusetzen, das diese Lebensqualität beeinträchtigt. Wenn sich deine Pille, dein Implantat oder ein anderes Verhütungsmittel negativ auf deine mentale Gesundheit und deine Beziehungen auswirkt, ist es völlig okay, auf eine Alternative umzusteigen.
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Dr. Mawson sieht das ähnlich. „Ich bin absolut dafür, ein langwirksames Verhütungsmittel frühzeitig abzusetzen, wenn es zu Beziehungsproblemen führt. Es gibt so viele Optionen, und jede Verhütung ist anders – mit ganz eigenen Nebenwirkungen. Es kann sich also lohnen, Verschiedenes auszuprobieren, um herauszufinden, was für dich funktioniert.“
Es kann schwierig zu erkennen sein, ob deine Beziehung „nur“ unter den Nebenwirkungen deiner Verhütung leidet oder doch etwas Finstereres dahintersteckt – vor allem, wenn dein:e Partner:in dich unter Druck setzt. Wenn sich dein:e Partner:in über die Nebenwirkungen deiner Verhütung beschwert, macht sich er oder sie womöglich wirklich Sorgen um dich. Hoyton rät aber dazu, ganz genau hinzuhören. „Es ist ein Warnsignal, wenn dabei selbstsüchtige oder oberflächliche Gründe wie dein Gewicht, deine Libido oder die Abneigung für Kondome genannt werden“, betont sie. „In diesen Fällen bezieht diese Person die Nebenwirkungen deiner Verhütung nämlich nur auf sich selbst, nicht auf dich oder auf euch beide als Paar.“
*Name wurde von der Redaktion geändert.
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