WERBUNG
WERBUNG

Binge-Eating-Störung & Weihnachtsvöllerei: So bewältigst du diese Zeit

Foto: Anna Jay
Warnung: In diesem Artikel geht es um Essstörungen, was einige Leser:innen verstören könnte.
„Ich esse, bis ich so voll bin, dass es weh tut“, erzählte ich meiner Therapeutin, die, wie es sich für eine Therapeutin gehört, verständnisvoll nickte. „Ich liege mit geschlossenen Augen im Bett, bis es nicht mehr weh tut, und sobald der Schmerz aufhört, esse ich weiter, bis ich nicht mehr kann.“ Ihre Antwort war wohlwollend, aber bestimmt: „Hört sich das deiner Meinung nach gesund an?“ Obwohl ich schon immer wusste, dass ich eine ungesunde Beziehung zum Essen habe, habe ich mein Essverhalten nie als Problem betrachtet. In einer Gesellschaft, wo Trostessen akzeptiert ist, sind mir meine Essanfälle nie so ernst vorgekommen wie die Zeiten, in denen ich hungerte.
WerbungWERBUNG
Das Hin- und Herpendeln zwischen Hungern und Essen, bis es körperlich schmerzt, erinnert mich an all die Diäten mit Jo-Jo-Effekt, die viele Frauen um mich herum machten, als ich noch klein war. Ob das zu meinen Essproblemen beigetragen hat, kann ich nicht sagen. Dich mit einem Kuchen zu belohnen, wann immer du „brav“ gewesen bist, und dich zu bestrafen, wann immer du zu viel gegessen und deshalb zugenommen hast, erinnert aber sehr stark an eine Binge-Eating-Störung (BES).
Wenn es ums Essen geht, ist in unserer Gesellschaft oft von „brav sein“ und „sündigen“ die Rede. Diese Art von Zweispaltung und Sprache zeichnet unsere Diätkultur aus. Während der Weihnachtszeit wird all das aber für gewöhnlich über den Haufen geworfen. Die Weihnachtsmärkte sind voll mit all unseren Lieblingsleckereien. Unsere Familienhäuser quellen über mit Chips und Schokolade. Da Schlemmen ein fester Bestandteil der Festtage ist, scheinen Genuss und Völlerei zu dieser Zeit des Jahres allgegenwärtig zu sein. Wenn du eine Essstörung oder – so wie ich – ein allgemein gestörtes Essverhalten hast, können diese Umstände katastrophale Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben.
Aimee, 23, die seit über zehn Jahren an BES leidet, sieht das ähnlich. Sie sagt Folgendes dazu: „Zu Weihnachten ist unser Haus immer randvoll mit Essen und alle essen übermäßig viel. Das und ständig von so vielen Lebensmitteln umgeben zu sein, kann triggernd wirken. Es fällt mir schwer, mich zu beherrschen und Essanfälle vor meiner Familie zu verbergen, wenn ich bei ihnen zu Hause bin.“

Versuch, so viel wie möglich im Voraus zu planen und sprich mit den Personen, mit denen du Weihnachten verbringen wirst, über dieses Thema. So wird die Weihnachtszeit gleich weniger beängstigend wirken.

Rebecca Willgress, BEAT
Ich denke, dass Weihnachten mein Essverhalten in gewisser Weise normalisiert, weil es die einzige Zeit im Jahr ist, in der wir alle „übermäßig viel essen“ und unsere „normalen“ Essgewohnheiten über den Haufen werfen. Dadurch fühle ich mich weniger schuldig“, meint Aimee. „Dadurch, dass sich die anderen ebenfalls den Bauch vollschlagen, schäme ich mich zwar weniger für meine Essstörung – die eine sehr ernste Angelegenheit ist, mit der ich das ganze Jahr über zu kämpfen habe –, es verbessert meine Lage aber nicht.“
WerbungWERBUNG
Kirsty, 34, die bereits ihr ganzes Leben lang mit BES kämpft, stimmt Aimee in dem Punkt zu, dass die Weihnachtszeit sehr triggernd sein kann. „All die Völlerei rund um die Weihnachtszeit verschlimmern mein ohne hin schon gestörtes Essverhalten. Für mich hängt alles damit zusammen, wie ich mich während der Festtage fühle, und meine Gefühle beeinflussen wiederum meine Essgewohnheiten“, Sie fährt fort: „Da es in der Weihnachtszeit darum geht, sich all das zu gönnen, was wir normalerweise nicht essen würden, ist die Versuchung allzu groß, zu viel zu essen und dann auf einen Neuanfang im neuen Jahr zu hoffen.“
Wie Kirsty sagt, zeichnet sich diese Jahreszeit nicht nur durch Völlerei aus, sondern auch das Mantra „Neues Jahr, neues Ich“, das um die Weihnachtszeit herum in aller Munde ist. Dieses fühlt sich wie ein Freifahrtschein an, im Dezember das tun und essen zu können, was immer wir wollen – selbst wenn diese Herangehensweise ungesund ist. Das Versprechen, Dinge in Zukunft „besser zu machen“, hilft dabei, Schuldgefühle für unser gestörtes Essverhalten für eine Weile zu unterdrücken.
Rebecca Willgress, Head of Communications bei Beat, einer Wohltätigkeitsorganisation für Essstörungen, gab mir folgenden Rat, als ich sie fragte, wie Menschen mit BES die Feiertage am besten überstehen können. „Versuch, so viel wie möglich im Voraus zu planen und sprich mit den Personen, mit denen du Weihnachten verbringen wirst, über dieses Thema. So wird die Weihnachtszeit gleich weniger beängstigend wirken. Es kann hilfreich sein, in Erfahrung zu bringen, welche Lebensmittel während der Feiertage im Haus sein und wo sie sich befinden werden“, sagt Rebecca. „Vermeide auch Werbungen, in denen es um Essen geht und versuch, einen Bogen um Supermärkte zu machen. Leg dir also am besten einen Werbeblocker zu und bzw. oder bitte jemanden darum, die Einkäufe für dich zu erledigen.“
WerbungWERBUNG

Zu einer Zeit, in der sich alles ums Essen dreht, ist es sehr wichtig, „Ausrutscher“ als Symptome deiner Essstörung und nicht als Misserfolg zu sehen.

Über deine Sorgen zu sprechen, ist immer eine gute Idee – egal, um welche psychischen Probleme es sich auch handelt. Nicht alle Zuhörer:innen können aber die Schwierigkeiten, die mit BES zusammenhängen, nachvollziehen. Kirsty und Aimee vertrauten uns an, dass sich ihre Essstörungen und ihr Problem damit, mit anderen darüber zu sprechen, durch einen Mangel an Aufklärung über BES sowie durch das Stigma, das damit verbunden ist, nur noch verschlimmern.
Kirsty ist der Meinung, dass BES häufig als eine Kombination aus „Schwäche, Unreife und Gier“ angesehen wird. Sie fügt hinzu: „All diese Dinge wirken sich auf das Selbstwertgefühl einer Person aus und darauf, wie sie von anderen gesehen wird, was dazu führt, dass sie sich schämt und nur ungern über ihre Erfahrungen spricht.“
Um die Feiertage gut zu überstehen, sollten Betroffene sich mental vorbereiten. Selbst wenn du alleine bist, rät Beat dazu, Tagesabläufe zu planen. „Erstell einen Essensplan für die Weihnachtstage. So wirst du dich beim Essen nicht einschränken, was zu einem Essanfall führen kann“, sagt Rebecca. „Versuch, ablenkende Aktivitäten für die Zeit nach dem Essen zu organisieren, denn dann ist die Wahrscheinlichkeit am grössten, dass du den Drang verspürst, wieder zu essen. Geh also mit Freund:innen oder deiner Familie spazieren, spielt Brettspiele oder seht euch einen lustigen Film an.“
Zu einer Zeit, in der sich alles ums Essen dreht, ist es sehr wichtig, „Ausrutscher“ als Symptome deiner Essstörung und nicht als Misserfolg zu sehen. Auch wenn das neue Jahr nicht unbedingt ein neues Ich bedeutet, ist es nicht nur verständlich, sondern auch vernünftig, auf eine ruhigere Zeit zu warten, um deine BES anzugehen. Versuch in der Zwischenzeit, mit den oben genannten Ratschlägen zu überleben, und sieh eventuelle Fressattacken als Begleiterscheinung der stressigen Jahreszeit und nicht als Zeichen dafür, dass du keine Disziplin hast. Du solltest dich nicht für deine Essstörung schämen. Außerdem bist du nicht allein.
Wenn du selbst an einer Essstörung leidest oder eine Person kennst, die eventuell Hilfe braucht, kannst du dich beispielsweise per Email, Chat, Video-Beratung oder Telefon an das ANAD e.V. Versorgungszentrum Essstörungen wenden.
WerbungWERBUNG

More from Wellness

WERBUNG