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Fotoserie: Cora ist 10 & trans. So sieht ihr Alltag aus

Foto: Gabo Caruso.
„Cora meint, sie hat sich schon immer wie ein Mädchen gefühlt. Sobald sie sprechen konnte, drückte sie das auch aus: Vor dem Schlafengehen fragte sie ihre Mama, ob eigentlich jede:r ein Mädchen werden könnte. Sie sagte, sie wolle mal eins werden. Und wenn sie jemand ‚schick‘ nannte, korrigierte sie das direkt: ‚Ich bin nicht schick, sondern hübsch. Ich bin hübsch.‘“ Die argentinische Fotografin Gabo Caruso (35) spricht vom jungen Star ihres dreijährigen Fotoprojekts – dem trans Mädchen Cora (10), die mit ihrer Familie in Barcelona lebt. 
Foto: Gabo Caruso.
Caruso lernte Cora kennen, nachdem die Fotografin 2018 nach Spanien zog und dort Chrysalis kontaktierte, einen Verband für Familien mit trans Kindern. „Als ich noch in Argentinien wohnte, war dort gerade das Gender-Identitäts-Gesetz eingeführt worden – und die Geschichte von Luana, einem argentinischen trans Mädchen, war überall in den Nachrichten, weil sie weltweit das erste Mädchen war, das sich den Namen für ihren Personalausweis selbst aussuchen durfte. Diese Geschichte berührte mich zutiefst, und ich wusste: Ich wollte mehr Menschen wie sie finden.“
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Zwei Wochen, nachdem sie Coras Eltern über die Organisation kennengelernt und ihnen ganz offen erklärt hatte, sie wolle die Transition ihrer Tochter dokumentieren, wurde Caruso Cora schließlich vorgestellt. „Dieses Treffen hat mein Leben für immer verändert“, erzählt Caruso. „[Cora] lud mich in ihr Zimmer ein. Während wir uns kennen lernten, machten wir zusammen Fotos. Ich hatte vor dem Treffen so viele Bilderideen gehabt – aber als ich sie traf, fiel das alles weg. Wir spielten einfach zusammen, und von da an ergab sich alles ganz natürlich.“
Nach ein paar Wochen schlug Caruso vor, häufiger vorbeizukommen, um Coras Leben zu fotografieren; ein Tag und ein Fotoshooting wären niemals genug. „Ich wollte ihre tägliche Entwicklung als trans Mädchen ausführlich dokumentieren, und das würde lange dauern. Ihre Familie sagte ja, aber vor allem Cora traf letztlich die Entscheidung – und ich empfinde es immer noch als absolutes Privileg, dass sie mit mir zusammenarbeiten wollte.“
Foto: Gabo Caruso.
Coras Transition begann, als sie fünf Jahre alt war. Bei einem Spaziergang durch den Park mit ihrer Mutter sagte sie eines Tages: „Ich habe überhaupt kein Glück. Niemand sieht mich“, und an die Traurigkeit dahinter werden sich beide ewig erinnern. „Dieser eine Satz änderte alles“, erzählt Caruso, „und daraufhin wandten sich ihre Eltern an Coras Kinderärzt:innen. Die wussten damals noch gar nichts über eine Transition während der Kindheit, waren aber direkt dazu bereit, für Cora dazuzulernen. Und so kam es, dass Cora am 16. November 2016 endlich zu dem Mädchen wurde, das sie schon immer gewesen war.“
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Foto: Gabo Caruso.
Foto: Gabo Caruso.
Carusos Bilder sind ein wunderschöner Einblick in Coras Welt und echtes Teamwork: Cora präsentiert sich vor der Kamera ganz offen und fühlt sich eindeutig wohl. In sonnigen, bunten Aufnahmen sehen wir sie zu Hause oder in der Schule, beim Friseur, beim Schwimmen, Schlafen oder Spielen, allein oder mit Freund:innen. Manche Fotos zeigen aber auch Szenen der leichten Unruhe, von denen sowohl Cora als auch Caruso finden, dass sie zum Gesamtbild ihres Alltags nun mal dazugehören. „Unabhängig von irgendwelchen Bezeichnungen ist Cora vor allem ein Mensch. Ein Kind – das lacht, weint, singt, spielt, leidet, lernt und manchmal auch frustriert ist“, erzählt Caruso. „Wir wollen das ganze Spektrum ihrer Gefühle zeigen.“
Foto: Gabo Caruso.
Foto: Gabo Caruso.
Foto: Gabo Caruso.
Die Beziehungen, die Cora zu ihrem Umfeld hat, stehen im Herzen des Projekts. „Cora hat eine tolle Beziehung zu ihrer Familie. Die haben sie immer unterstützt und begleitet – von einem respektvollen Standpunkt aus, in dessen Zentrum nicht die Erwachsenen stehen.“ Coras Großmutter war ein wichtiger Bestandteil ihrer Transition, erzählt Caruso, und ergänzt, dass die 80-jährige Frau auf die Nachricht, ihr Enkelkind hieße nun Cora, nur geantwortet habe: „Großmutterliebe ist für alle gleich.“
„Dabei sollten wir nicht vergessen, dass trans Menschen häufig zuerst in der eigenen Familie diskriminiert werden – Coras Support-Netzwerk ist demnach revolutionär. Dasselbe gilt für ihre Schule – eine Institution, die trans Menschen oft nicht unterstützt. In Coras Fall wusste die Schule überhaupt nichts über Situationen wie diese, war aber dazu bereit, sich darüber bilden zu lassen. Ein paar Tage später berief sie dann zu einem Elternabend. Coras Lehrerin weiß noch, dass auch die Klasse selbst die Veränderung ganz natürlich akzeptierte, weil sie sie schon gespürt hatten; auch das ist echt stark.“
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Foto: Gabo Caruso.
Foto: Gabo Caruso.
„Hallo, wir sind Ramon und Ana. Wir möchten Sie darüber in Kenntnis setzen, dass unsere Tochter (die Sie bisher als [zensiert] kannten) einen wichtigen Schritt gemacht hat: Sie lebt jetzt entsprechend ihrer wahren Gender-Identität, also als das Mädchen, das sie schon immer war. Seien Sie sich sicher, dass das keine spontane Entscheidung war. Die Gender-Identität wird durch das psychologische Geschlecht bestimmt, das ab etwa dem dritten Lebensjahr gefestigt wird, manchmal aber – wie in Coras Fall – nicht dem Geschlecht entspricht, das bei der Geburt festgelegt wurde. Wie Sie sich sicher vorstellen können, haben wir diesen Prozess gründlich durchdacht und sind gut im Bilde. Wir danken Ihnen schon im Voraus für ihre Zusammenarbeit dabei, unser kleines Mädchen zu integrieren. Ramon und Ana, Vater und Mutter von Cora“
Die Transition während der Kindheit ist ein kontroverses Thema, und die damit verbundene Sozialpolitik ist enorm kompliziert. Das weiß Caruso natürlich, und will durch ihre Arbeit etwas Positives zu dieser Debatte hinzufügen, inspiriert von Coras sonniger Sicht auf ihr Leben und ihre Identität. „All den Leuten, denen das nicht gefällt, möchte ich sagen: Wir alle erschaffen uns unsere Identität schon sehr früh – aber die wird nur dann angefochten, wenn sie nicht mit dem Geschlecht übereinstimmt, das uns bei der Geburt zugeteilt wurde. Eine Identität von den Genitalien abhängig zu machen, hat schon viele Schäden angerichtet, und Fakt ist, dass eine Gender-Identität nichts mit den Geschlechtsorganen oder Chromosomen zu tun hat. Eine Identität entsteht aus der Frage: ‚Wer bin ich?‘, und diese Frage kann nur jede Person für sich selbst beantworten. In der trans Kindheit spielt auch der Erwachsenen-Zentrismus eine problematische Rolle: Minderjährige werden unterschätzt, weil sie eben minderjährig sind – als seien sie unvollständige Menschen, denen erst beigebracht werden muss, wer sie eigentlich sind. Dabei erkannte die UN-Konvention über die Rechte des Kindes von 1989 Kinder als Personen mit Rechten an. Wenn du einen trans Menschen in deinem Leben hast, hast du keinen Zweifel daran, dass der genau weiß, wer er ist – ganz egal, wie alt er ist. Ich hoffe, dass die Leute durch meine Fotoreihe nicht nur Cora sehen, sondern auch verstehen, wie viele andere wie sie es in dieser Welt gibt.“
Foto: Gabo Caruso.
Aus ihrer Zeit mit Cora hat Caruso viele wertvolle Lektionen gelernt. „Cora lehrt mich jeden Tag etwas Neues – mit ihren Fragen, ihren Aussagen, ihren Freund:innen. Ich sehe meinen Job jetzt auch etwas anders. In den Medien wurden trans Menschen oft mit Einsamkeit, Ausgrenzung und Armut in Verbindung gebracht, und diese Ungerechtigkeiten sorgten für Stigmatisierung. Jetzt glaube ich mehr denn je daran, dass der Fotojournalismus unseren Horizont erweitern und einfühlsame, glückliche Geschichten zelebrieren kann, die sich außerhalb des Status Quo abspielen. Ich will die Fotografie nutzen, um Brücken zu bauen, nicht um Grenzen zu ziehen. Die Welt verändert sich, und Cora ist eine tolle Konsequenz davon.“ Caruso ist außerdem davon überzeugt, dass ihre Werke umso eindrucksvoller sind, je mehr sie selbst in den Bildern als deren Erschafferin verschwindet. „Wir reden so oft von der Autonomie von Kindern und ihrem Recht darauf, eigene Entscheidungen zu treffen. Wer könnte der Welt also besser von Cora erzählen als Cora selbst?“
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Foto: Gabo Caruso.
Cora spricht Caruso zufolge ganz sehnsüchtig von ihrer Zukunft und träumt, wie es jedes andere Mädchen täte. „Sie ist sich bewusst, dass ihr Veränderungen bevorstehen. Sie weiß, dass sie dann einige große Entscheidungen wird treffen müssen, und dass sicher auch mal negative Kommentare kommen werden. Sie ist aber gut informiert, und das verleiht ihr viel Stärke. Sie weiß, dass nicht jede:r trans Menschen akzeptiert; gleichzeitig ist ihr aber klar, dass sich nicht sie, sondern die Gesellschaft verändern muss. Cora kommt aus einer deutlich offeneren Generation als vorherige, und sie weiß, dass das Konzept, ‚im falschen Körper geboren‘ zu sein, inzwischen veraltet ist. Sie hat schon immer daran geglaubt, dass alle Körper rechtmäßig uns gehören, und lässt nicht zu, dass ihre Existenz ausgegrenzt wird. Während sie heranwächst, schafft sie sich selbst ihren eigenen Raum – und das ist etwas Historisches.“
Foto: Gabo Caruso.
Einige von Carusos Lieblingsbildern des Projekts zeigen Cora, die im Meer spielt. Auf einem Foto macht sie einen Handstand im Wasser; auf einem anderen treibt sie verträumt an der Oberfläche, mit den Armen und Beinen weit ausgestreckt. Das aber wohl eindrucksvollste zeigt Cora, die im rosafarbenen Bikini bis zu den Schultern im Wasser steht und zufrieden in die Kamera schaut. „An den Tag werde ich mich immer erinnern können“, sagt Caruso lächelnd. „Wir waren zur Dämmerung am Strand, und während ich sie dabei fotografierte, wie sie im Wasser herumplanschte und Pirouetten drehte, fragte ich sie, wie sie sich ihren Namen ausgesucht habe. Zu dem Zeitpunkt kannte darauf niemand in ihrer Familie die Antwort, und auch mir hatte sie es bis dahin nicht verraten. Sie sah mir über die Kamera direkt in die Augen und antwortete: ‚Als ich fünf war, sah ich im Fernsehen eine kleine Meerjungfrau namens Cora, und ich wusste einfach: Das war MEIN Name. Später, als meine Familie meinte, wir sollten uns einen neuen Namen für mich ausdenken, sagte ich ihnen: Müssen wir nicht, ich bin Cora.‘ Und so kam das. Ein paar Sekunden später machte ich das Foto, und sie verschwand wie eine kleine Meerjungfrau im Wasser.“
Foto: Gabo Caruso.
Foto: Gabo Caruso.
„Hallo, wir sind Ramon und Ana. Wir möchten Sie darüber in Kenntnis setzen, dass unsere Tochter (die Sie bisher als [zensiert] kannten) einen wichtigen Schritt gemacht hat: Sie lebt jetzt entsprechend ihrer wahren Gender-Identität, also als das Mädchen, das sie schon immer war. Seien Sie sich sicher, dass das keine spontane Entscheidung war. Die Gender-Identität wird durch das psychologische Geschlecht bestimmt, das ab etwa dem dritten Lebensjahr gefestigt wird, manchmal aber – wie in Coras Fall – nicht dem Geschlecht entspricht, das bei der Geburt festgelegt wurde. Wie Sie sich sicher vorstellen können, haben wir diesen Prozess gründlich durchdacht und sind gut im Bilde. Wir danken Ihnen schon im Voraus für ihre Zusammenarbeit dabei, unser kleines Mädchen zu integrieren. Ramon und Ana, Vater und Mutter von Cora“

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